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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
“Tulipa aegenensis”, Klapados
20.April 2008 -
Tulpen von Lesvos
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Haben Sie
nicht auch als Kind Zigarrenbänder, Zuckertütchen, Briefmarken oder ähnliche
Dinge gesammelt, die dann, als man erwachsen wurde, irgendwo in einem Schrank
oder der hintersten Schublade landeten, um in Vergessenheit zu geraten? Tja,
aber dann, dann kommt man Jahre später in ein Alter, in dem bei dem einen oder
anderen die Sammelleidenschaft erneut erwacht.
Die
Vogelkundler und Botaniker, die unsere Insel besuchen, sind ja auch irgendwie
Sammler. Anstatt Briefmarken in Alben zu platzieren, folgen sie den
Ortsbeschreibungen aus wissenschaftlichen Büchern und machen sich auf, überall
dorthin, wo etwas wachsen, blühen, fliegen oder flattern soll.
Erst in der
letzten Woche berichtete ich davon, dass es hier auf Lesvos
46
Libellen- und so um die 320 Vogelarten aufzuspüren gibt. Die Anzahl der
verschiedenen Pflanzen wird so um die 1400/1500 geschätzt. Eine echte
Herausforderung sie alle zu finden, zu katalogisieren und dokumentieren.
Letzte
Woche machte ich mich auf, zu einem Spaziergang mit zwei Pflanzenkennern, die
sich eigens nur für diesen einen Tag verabredet hatten. Schnell musste ich
erkennen, dass dies ein großer Fehler war, denn, es ist schön und sehr
interessant, mit einem Botaniker durch die Natur zu streifen, aber mit zweien
ist es eine Katastrophe: Vor einer jeden Blume, Gras, Kraut und Strauch bleiben
sie stehen, stecken ihre Nase in das Grün, und man kann warten und warten, aber
es geht nicht weiter. Sie debattieren eine kleine Ewigkeit über Namen, Arten,
Formen und Farben, tauschen ihr Wissen aus und finden kein Ende.
Aus
Erfahrung wird man klug, und so machte ich mich gestern wieder auf den Weg mit
nur einem Botaniker. Es war wiederum eine kleine Geduldsprobe, denn jetzt ist
Hochsaison in der Pflanzenwelt. Überall grünt und blüht es, und auf einem jeden
Spaziergang sind Gewächse zu entdecken, die man zuvor noch nicht gesehen hat.
Dann heißt es, Fotos und Notizen zu machen. Unser Weg führte uns von Lafiónas
(bei Petrá) bis zu dem verlassenen Dörfchen Klapados, in dem einst, bis zu ihrer
Vertreibung im Jahre 1920, Türken lebten. Hinter vorgehaltener Hand sagt man
sogar, dass alle Dorfbewohner hingerichtet worden seien. Nun hat die Natur einen
jeden Stein eingenommen.
Als wir an
dem Fuße eines kleinen plätschernden Wasserfalls verweilten, da dort ein großer
dunkelroter Aronstab (Arum dioscoridis) die Aufmerksamkeit meines Begleiters
erregt hatte, stellte ich mir wiederum die Frage, warum ich eigentlich nicht
daheim geblieben bin. Während ich also wieder wartete und wartete, folgte ich
einer Schildkröte, inspizierte dabei die Umgebung und lauschte dem Konzert eines
großen Vogelorchesters, dass aus den Baumwipfeln schallte. Aber dann, ein
Weilchen später, war ein jedes Bedauern darüber, mitgegangen zu sein, wie
weggeblasen... ich konnte es kaum fassen, da standen.... TULPEN!
Ich bin nun
mal eine Holländerin und, zugegeben, dazu noch eine, mit einem großen Faible für
Tulpen. Inzwischen ist zwar allgemein bekannt, dass dieses Zwiebelgewächs ja gar
nicht seinen Ursprung in den Niederlanden, sondern in Zentralasien hat, aber es
waren meine Landsleute, die diese Blume ab dem 16. Jahrhundert kultivierten. Es
sind ihre mittlerweile unzähligen, prachtvollen und bunten Züchtungen, an denen
man sich jetzt all überall auf der Welt erfreuen kann.
Es war der
österreichische Botschafter in der Türkei, der im 16. Jahrhundert die erste
Tulpenzwiebel als Geschenk für seinen Freund Charles de l´Ecluse (lateinisch:
Carolus Clusius) mitbrachte, als dieser noch in Wien für die Gärten des Kaisers
Ferdinand I. verantwortlich war. Die Universität in Leiden wurde auf Carolus
Clusius aufmerksam, und so kam er, mit einem Vorrat an Tulpenzwiebeln im Gepäck,
nach Holland. Er war einfach besessen von Tulpen und züchtete sie in den
prächtigsten Farben und Formen. Im Jahre 1592 publizierte er sein erstes Buch
über Tulpen und steckte die Menschen mit seiner Begeisterung dermaßen an, dass
die Jahre von 1630 – 1637 als Zeit der niederländischen „Großen Tulpen-Manie“
bezeichnet wurden. Ungeheuerliche Kurse wurden an den Börsen erzielt, so war
eine Tulpenzwiebel zu dieser Zeit teurer, als ein Haus, an einer Gracht in
Amsterdam...! Als es dann jedoch zum Zusammenbruch des Spekulationswahns kam,
standen nicht wenige vor dem finanziellen Ruin.
Erblickt
man die hier auf Lesvos niedrig wachsenden Tulpen, die „Ägäischen Tulpen“ (Tulipa
aegenensis), so fragt man sich schon, wie so ein kleines Blümchen solch einen
Boom auslösen konnte. Schaut man nur oberflächlich hin, so kann es sogar
geschehen, dass man sie für rote Anemonen hält, die derzeit auch in voller Blüte
stehen, aber lange nicht zu solch einer Berühmtheit gelangt sind.
Hier
gedeihen die Tulpen an den Hängen der Berge (ich schätze so ab einer Höhe von
500 m). Im letzten Jahr dachte ich noch, dass ich den Olympos oder den
Lepetimnos erklimmen müsste, um sie zu sehen, was ich jedoch aufgrund meiner
Höhenangst nur einmal und nie wieder schaffte, und dann, als ich mein
hochgestecktes Ziel endlich erreichte, fand ich sie eingezäunt vor und konnte
sie nur aus weiter Ferne betrachten. Und jetzt... Ich hatte die Kostbarkeiten so
nah, ja, zum Greifen nah vor mir. Es bedurfte einiger Disziplin, die unter
Naturschutz stehenden Tulpen nicht mit nach Hause zu nehmen.
Fruchttragender „Doldiger Milchstern“
Nach dem
blutroten Aronstab und den Tulpen wurden wir nochmals überrascht, und zwar von
einer sehr eigenartigen Blume, die aussah, wie der „Stern von Bethlehem“, aber
eine jede Blüte hatte einen großen Ball zwischen ihren Blättern, nun, platt
gesagt, eine Blume mit Bällen. Zunächst vermutete ich, dass es Kichererbsen
sind, zumal ich ja noch nie eine Kichererbsenpflanze gesehen habe. Aber, ein
Pflanzenkundler weiß, wo er suchen muss, und nach dem Durchforsten mehrer
botanischer Bücher fand er den Namen unserer seltsam ausschauenden Entdeckung:
Eine fruchttragendes Exemplar des „Star of Bethlehem“ (deutsch: „Doldiger
Milchstern, lat.: Ornithogalum sphaerocarpum). Eine sehr seltene Pflanze, da sie
nicht jedes Jahr Früchte trägt, sondern nur unter besonderen Umständen. Fragen
Sie mich jetzt aber nicht, was das für Umstände sind, die dieses Exemplar nun
dazu gebracht haben. Keine Ahnung.
Aber jetzt
langweile ich Sie nicht länger mit all den Namen der anderen Blumen, die wir
noch entdeckt haben. Wir wanderten durch kniehohe bunt gefärbte Blumenwiesen,
das hektische Brummen der Bienen in den Ohren und den Duft von süßem Honig in
der Nase, gerade so, als sei man zu Besuch in einer Imkerei (Warnender Hinweis:
Letzte Woche wurde eine Frau ins Krankenhaus eingeliefert, da sie mehrfach von
Bienen gestochen wurde, als sie an deren Stöcken vorbeispazierte).
Wir liefen
an Waldrändern vorbei, wo die strahlendgelbe „Herzblättrige Gemswurz“ (Doronicum
columnae) uns aus dem dunklen Unterholz entgegenleuchtete, wir sahen die
geheimnisvolle „Gemeine Drachenwurz“ (Dracunculus vulgaris), die gerade ihre
enorme Blüte geöffnet hatte, wir schwelgten in all den Düften und Farben, und
letztendlich konnten wir nicht mehr widerstehen und pflückten einen Riesenstrauß
blauer Kornblumen als Erinnerung an diesen ereignisreichen Spaziergang.
Sie sehen,
das Sammeln kann eine Leidenschaft sein, insbesondere dann, wenn es gilt ca.
1500 Pflanzen zu erkunden. Aber manchmal wird man auch ein bisschen verrückt,
wenn man nicht loslassen kann, von dem Vorhaben, sie alle auf dieser großen
Insel finden zu wollen. Muss man dafür doch zur richtigen Zeit am richtigen Ort
sein, denn Pflanzen leben nach ihrem eigenen Kalender, und man kann nicht
überall gleichzeitig sein. Aber noch bleiben uns einige Wochen für unsere
Besuche in der blumenreichen Natur, bevor die Hitze des Sommers sie in eine
trockene gelbbraune Landschaft verwandelt. Manchmal wünsche ich mir, der
Frühling würde ewig währen...
Copyright ©Julie Smit 2008 |