|
BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Weihnachten in Molyvos
21.Dezember 2008 - Gedanken zum
Weihnachtsfest
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
In
Athen und Thessaloniki dauern die Unruhen immer noch an. Nicht nur ein
TV-Sender in Athen wurde besetzt, sondern auch das Filmtheater in
Thessaloniki, wo im November das Internationale Filmfestival abgehalten
wurde und im März 2009 das alljährliche Dokumentar-Filmfestival
stattfinden soll. Der in Athen aufgestellte Ersatzweihnachtsbaum (der
erste ist in Flammen aufgegangen) erstickt mittlerweile in Müll, und an
der Akropolis flattern riesige Banner, die zu neuen Protesten und zum
Widerstand gegen die Regierung aufrufen.
Nahezu unbeeinträchtigt von den Unruhen und den zahlreichen Streiks,
sind auf Lesvos die Gemüter ruhig geblieben. Was derzeit zählt, sind die
rapide gesunkenen Öl- und Benzinpreise, ein Hoffnungsschimmer für viele,
jetzt, wo der Winter vor der Tür steht, denn außerhalb der Saison ist
das Geld knapp. Verstärkt wird diese finanzielle Notlage auch noch von
den Ämtern, wie z.B. der IKA, die nicht dafür Sorge trägt, dass den
Menschen das ihnen im Winter zustehende „Arbeitslosengeld“ pünktlich
ausgezahlt wird.
Unverändert ist die Flüchtlingssituation: Egal, wie schlecht das Wetter
ist, der Strom der Fliehenden reißt nicht ab. Erst letzte Woche
entgingen 26 Insassen eines Schlauchbootes nur knapp einer Tragödie, als
ein heftiger Südwind sie in der Nacht kurz vor Molyvos erwischte.
Aufgrund der hohen Wellen kämpfte die Küstenwache stundenlang, bis kurz
vor Mitternacht, um die vor Angst, Nässe und Kälte zitternden Männer,
Frauen und auch Kinder in den sicheren Hafen zu bringen. Es war jedoch
zu spät, um sie dann noch nach Mytilini ins Flüchtlingslager zu bringen,
und so übernachteten sie in der St.-Nikolaus-Kirche von Molyvos. Melinda
und Theo Kosmetos (die Inhaber der Taverne „Captain´s Table“ im Hafen)
kümmerten sich darum, dass die vor dem Ertrinken geretteten Flüchtlinge
mit trockener Kleidung, Decken und Essen versorgt wurden, um die Nacht
in Molyvos zu überstehen.
Der
Bürgermeister brachte sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass die
Polizei hinsichtlich der Flüchtlingssituation so schlecht organisiert
und ausgerüstet ist. Schon vor Monaten hat er dies kritisiert, aber die
Politiker in Athen scheinen mit „wichtigeren“ Dingen beschäftigt zu
sein. Die Küstenwache ist also immer noch unterbesetzt und es schier
nicht möglich, den Flüchtlingen adäquate Hilfe zu geben, und der
Transfer in die Hauptstadt ist unter aller Würde. Das Angebot einiger
Bewohner von Molyvos, die Asylbewerber nach Mytilini zu bringen, wird
abgelehnt, da dies strengstens verboten ist, denn schließlich ist die
Gefahr „sich eine Krankheit einzufangen oder zu verunfallen“ zu groß.
(Welch ein Hohn, wenn man bedenkt, dass fast jeder Bürger mindestens
einmal in der Woche in die Hauptstadt fährt). Nicht die Regierung,
sondern die Einwohner von Molyvos sind es nun, die sich zusammensetzen,
um zu organisieren, dass die Flüchtlinge angemessen respektvoll in ihrem
Dorf aufgenommen und behandelt werden, waren es in der letzten Woche
doch erst 40 Somalier, die mitten in der Nacht strandeten und bis zum
Morgen in strömendem Regen auf den Straßen ausharren mussten.
Die
Nächte derzeit sind glücklicherweise noch recht mild, aber die
Vorhersage für die Festtage zeigt ein anderes Bild. Die Temperaturen
sollen bis auf den Gefrierpunkt fallen, der Nordostwind wird aufdrehen,
und in manchen Regionen Griechenlands kann man mit einer weißen
Weihnacht rechnen. Kein Wetter für die Flüchtlinge sich auf den (See-)
Weg zu machen...
Während wir behaglich am Kaminchen sitzen und beratschlagen, welche
Köstlichkeiten an den Festtagen auf den Tisch kommen sollen, ist das für
die Griechen kein Diskussionspunkt, denn das traditionelle
Weihnachtsessen ist Schweinefleisch mit Sellerie (selinato) und evtl.
auch etwas Lamm, für den Fall, dass jemand kein Schweinefleisch mag.
Serviert wird dies mit den bekannten griechischen Beilagen, wie z.B.
Fava (Püree aus Erbsen), Tsatsiki und Salat. Den ganzen Tag über wird
Gebäck, wie Melomakarona (trieft vor Honig), gereicht.
Das
Weihnachtsessen findet am Mittag des 25. Dezember statt; den 2.
Weihnachtsfeiertag gibt es offiziell in Griechenland nicht, aber so
manch einer nutzt diesen Tag, um sich von der Völlerei am Vortag zu
erholen.
Während wir gemütlich vor dem behaglichen Kaminchen sitzen und von einer
weißen Weihnacht träumen, sitzen am gegenüberliegenden türkischen Ufer
in Hunderte von Menschen in überfüllten Auffanglagern, in denen
unwürdige Zustände herrschen, und warten auf ihre Chance, Europa zu
erreichen. Sie sind abhängig vom Wetter, von Schlepperbanden und
Menschenhändlern, die von ihnen horrende Geldsummen verlangen, um sie
dann trotzdem in seeuntüchtige Schlauchboote zu setzen, in denen sie
dann die lebensgefährliche Überfahrt wagen. Die Flüchtlinge haben ja nur
einen Gedanken im Kopf: Sie wollen das schillernde Europa erreichen, und
sie verschwenden nicht einen Gedanken daran, dass diese für sie so
glitzernde Welt gerade in einer wirtschaftlichen Krise steckt.
Ich
weiß, dies ist kein schönes Thema zu Weihnachten, aber bitte, lassen Sie
uns trotzdem in dieser besinnlichen Zeit auch an die Menschen denken,
die jetzt für eine ungewisse Zukunft das Zuhause und alles hinter sich
lassen und ihr Leben riskieren, um dem Krieg, der Folter oder dem
Hungertod zu entgehen.
Ich
wünsche Ihnen frohe Weihnachten!
Copyright ©Julie Smit 2008 |