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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Blick auf die Türkei vom Norden der Insel Lesvos
1.Januar 2008 -
Traurige
Bilanz
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Der Himmel über
Lesvos ist grau. Nachdem die Sonne 14 Tage ihr Bestes getan hat, wechselte das
Wetter jetzt zu Regen, und frostige Zeiten sind angebrochen. Ist tagsüber der
Wind noch leicht, so bläst er nach Einruch der Dunkelheit eiskalte Luft. Keine
gute Situation für die Flüchtlinge, die die Nacht für ihre Reise übers Meer
wählen.
Schauen wir uns die
traurige Bilanz des letzten Jahres an: Etwa 10.000 Asylbewerber, hauptsächlich
aus dem Irak, aus Afghanistan, Somalia, Libyen, Eritrea, Palästina und dem Iran,
erreichten lebend die Küsten griechischer Inseln. Als ertrunken und vermisst
wurden etwa 100 Menschen gemeldet. In dieser großen Zahl sind noch nicht die 50
Opfer einbezogen, die letzten Monat, aufgrund des schlechten Wetters, nah der
türkischen Küste ertrunken sind.
Am 1. Dezember hat
man auf Samos ein Auffangzentrum neu eröffnet. Eine Reaktion auf die Tatsache,
dass im letzten Jahr 4.000 Menschen nach Samos flohen, eine hohe Zahl, gemessen
daran, dass die Insel selbst nur 35.000 Einwohner hat. Aber Samos ist nun mal
die Insel, die der Türkei am nächsten liegt. So erzählte ein Flüchtling ganz
stolz, dass er die Insel von der Türkei aus in einer Rekordzeit von 4o Minuten
erreichte. Der Preis für diese kurze Reise in einem Schlauchboot liegt zwischen
600 bis 900 Dollar.
Das Ankommen der
Flüchtlinge ist inzwischen eine alltägliche Meldung in den Medien, so dass Athen
endlich reagiert hat, um den Menschenstrom aufzufangen. Das Polizeiaufkommen auf
den Inseln wurde erhöht, man konzentriert sich mehr auf Auffanglager und bemüht
sich immer mehr um einen menschenwürdigeren Umgang mit den Heimatvertriebenen.
So viele
Flüchtlinge, wie auf Samos, wurden auf unserer Insel nicht gezählt, aber auch
hier hat sich die Zahl verdoppelt. Die Gruppen von Fremden, die an den
Bushaltestellen kauern, ist zu einem vertrauten Bild geworden, und auch die
durchlöcherten Schlauchboote gehören inzwischen zu unserer Strandlandschaft.
Nichts ungewöhnliches ist es mehr, wenn die auffallend rote und grüne Farbe
durch das Seegras schimmert. Wäre es nicht so, dass die Flüchtlinge ihre Boote
bei ihrer Ankunft aus Angst davor, dass sie damit zurückgeschickt werden,
vollends zerstören, so wäre ein jeder Einwohner von Molyvos inzwischen stolzer
Besitzer eines Gummibootes.
Vor Weihnachten
wurden große Kleidungs-Sammelaktionen gestartet, um die Flüchtlinge zu
unterstützen. Es wäre jedoch besser und auch ausreichend gewesen, wenn man eine
Person mit der Aufgabe des Sammelns, Waschens und des Ablieferns im
Flüchtlingslager betraut hätte. Auffällig ist derzeit, dass nicht nur die
Griechen die Natur mit ihrem Abfall beschmutzen, sondern dass die Strände
übersät sind mit zurückgelassener Kleidung. Klar, dass diese Menschen nach einer
Fahrt übers Meer ihre klatschnasse Kleidung wechseln wollen, aber ich verstehe
nicht, dass sie, die nichts haben, wertvollen Besitz, wie gute Jeans, Jacken und
Rucksäcke einfach zurücklassen.
Mir fällt dazu der
Athener Bürger George Semilis, ursprünglich beheimatet in Mytilini, ein An Krebs
erkrankt, war er zudem von Kaufsucht befallen. Er gab in den exquisitesten Läden
ein Vermögen für Jacken, Shirts, Schuhen, Hosen, etc, aus, ohne sie jedoch je zu
tragen. Nachdem er seiner schweren Krankheit erlag, wurde beschlossen, die
gesamte Kleidung dem Flüchtlingszentrum in Mytilini zu spenden. Ich frage mich,
was die Menschen dort wohl gesagt haben, als 150 Jacken, 58 Paar Schuhe und
unzählige Hemden und Hosen namhafter Designer dort abgegeben wurden.
Vor ca. 50 Jahren
waren es die Griechen, die ihr Land verließen, um in einem fernen Land ein
besseres Leben zu suchen. Jetzt ist Griechenland das Ziel von Flüchtlingen
geworden, eine Situation, in die man unvorbereitet gestolpert ist. Ich weiß
nicht, ob auch in der Silvesternacht Menschen übers Meer flohen. Wenn es so
gewesen ist, so hat das Feuerwerk von Molyvos sie empfangen, und sie haben
sicherlich unbemerkt das Land erreicht, denn der Jahreswechsel wurde ausgelassen
im Nachtclub „Bazar“ gefeiert und wer daran nicht teilnahm, lag tief schlummernd
in seinem Bett.
Hier hat also 2008
ruhig begonnen. Ich wünsche der Welt ein friedvolles Jahr, so dass nicht so
viele Menschen ihre Heimat und ihre Familie verlassen müssen, um sich auf die
Suche nach einem besseren und sicheren Leben zu machen...
Kali Chronia!
Copyright ©Julie Smit 2008 |