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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Seeigel
24.August 2008 -
„Griechisch essen“ für Fortgeschrittene
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Das
erste Mal, als ich auf einen Ouzo bei griechischen Freunden eingeladen
wurde, war es sehr spät abends, und ich, als Holländerin, ging davon
aus, dass zu diesem Getränk allerhöchstens etwas Käse gereicht würde.
Also, aßen wir zuvor daheim zu Abend. Tja, und dann traute ich meinen
Augen nicht, als unsere Gastgeber jedoch eine Schüssel nach der anderen
auf den Tisch stellten... Welch ein Unterschied zu der bescheidenen
Platte mit etwas Brot, Fisch und Käse, die in den Tavernen zum Ouzo
gereicht wird.
„Einen Ouzo trinken“ ist in Griechenland das Synonym für eine komplette
Mahlzeit. Die Gerichte, die von den Griechen daheim gekocht werden,
unterscheiden sich kaum von denen, die auf der Speisekarte der Tavernen
stehen, denn auch dort bekommt man „Hausmannskost wie bei Muttern“
serviert.
Wenn man Glück hat, vor allem um einen Feiertag herum, geht das Angebot
in den Restaurants über die üblichen Tagesgerichte hinaus. Mein Tipp:
Anstatt die Speisekarte zu studieren, fragen Sie doch einfach, was die
Küche an diesem Tag hergibt. Es wird Sie die eine oder andere köstliche
Überraschung erwarten.
Einer meiner Favoriten unter den Festtagsgerichten: Gefülltes Lamm („arnaki
jemista“). Die Füllung besteht aus Reis, kleine Stückchen Innereien,
Rosinen, Pinienkernen, Zimt und anderen Gewürzen. Um ein Lamm
zuzubereiten, benötigt man einen riesigen Backofen. Hat man so ein Gerät
nicht, kann man an Festtagen, wie z.B. Ostern, die Bäckerei des Dorfes
aufsuchen, die gerne ihren Ofen für die Öffentlichkeit zur Verfügung
stellt. Die leckerste Art jedoch, ein Lamm zuzubereiten, ist in einem
Außen-Holzkohleofen. Am Tage zuvor machen Sie ein Feuerchen darin,
warten eine halbe Stunde, bis die Kohlen glühendrot sind, schieben sie
an die Seite, und dann kommt die große Schale mit dem gefüllten Lamm und
ein klein wenig Wasser hinein. Das Fleisch wurde zuvor mit einer
Öl-Zitronensauce eingerieben. Der Ofen wird nun hermetisch verschlossen,
und wenn Sie ihn am nächsten Abend wieder öffnen, ist der Braten
wunderbar zart, und die Füllung ist perfekt.
Eine andere gefüllte Speise, die ab und an in hiesigen Restaurants (z.B.
in der 2. Taverne in Petri) zu bekommen ist, heißt „kalamaria jemista“
(gefüllter Tintenfisch). Die Reisfüllung nimmt den herrlich süßen
Geschmack des Calamari und der diversen Gewürze (darunter fein
geraspelte Orangenschale) an.
Als
ultimatives Häppchen zum Ouzo gilt hier der Seeigel (achinoes), ein
Gericht, was Sie auf der Speisekarte jedoch meist vergeblich suchen
werden (manchmal aber im Fischrestaurant in Achladeri zu bekommen). Wenn
Sie Glück haben, bietet Ihnen ein Fischer am Strand diese Delikatesse
an, aber am besten ist es, wenn Sie die Seeigel selbst aus dem Wasser
holen. Für die sichere „Ernte“ gibt es einen speziellen Stab mit einem
„Greifer“. Um sie dann zu köpfen (ähnlich einem Ei), benötigt man eine
Art Zange. Wenn man dann die Innereien sorgfältig herausgespült hat,
verbleibt in der Schale der helle orangefarbene Rogen, der mit seinem
wunderbar salzigen Geschmack so fantastisch zum würzigen Ouzo passt. Wie
sie auch Fleisch-, Fisch- und manch Gemüsegericht mit Zitrone abrunden,
beträufeln viele Griechen auch den Seeigel damit. Mir jedoch schmeckt er
pur am besten.
Schalentiere sind eine Spezialität, die der Golf von Kalloni freigibt:
Muscheln (midia), Venusmuscheln (Kidonia), wilde Austern (stridi),
kleine Jakobsmuscheln (chtenia). Herrliche Köstlichkeiten, die vor allem
im Winter in den Tavernen, rund um den Golf von Kalloni, und manchmal
auch in einigen wenigen anderen Restaurants auf der Insel, serviert
werden. Griechen lieben es, Schalentiere roh zu essen, so auch Muscheln
und Austern. Da rohe Austern nicht mein Fall sind, bitte ich den Koch
höflich darum, sie mir zu kochen, was nie ein Problem darstellt. Daheim
bereite ich Austern auf holländische Art zu: In Weißwein und mit einigen
Gewürzen. Eine Meeresfrucht, die sich jedoch nach dem Kochen nicht
öffnet, esse ich nicht.
Schlachtet ein Bauer ein Tier, behält er die besten Stücke. Dies ist der
Grund dafür, weshalb auch das nachfolgende beliebte „Ouzo-Gericht“ so
selten auf der Karte steht: Lämmerhoden (ameletita) und Kalbsbries (glikadia)
(es besteht die Chance, es im Restaurant „Ellis“ in Anaxos zu bekommen).
Schon allein jetzt, wo ich darüber schreibe, läuft mir das Wasser im
Munde zusammen, wenn ich mir den herrlich süß-wilden Geschmack der in
viel Olivenöl zubereiteten Speise auf der Zunge vorstelle. Besser noch
als der Hoden selbst, ist der Fond, der durch die Zubereitung entsteht.
Stunden kann man damit verbringen, am Ouzo zu nippen und diese Sauce mit
Brot zu stippen.
Leber (sikoti) ist keine Rarität. Im Gegensatz zu allem anderen Fleisch,
dass die Griechen gerne gut durchgebraten essen, wird diese Innerei aber
„medium“ serviert.
Für
all diejenigen von Ihnen, die an dieser Stelle etwas angewidert denken,
dass ich mich wohl vor gar nichts ekele, was hier in Lesvos auf den
Tisch kommt, hier ein Gericht, bei dem auch ich Schwierigkeiten habe, es
zu essen: Schafskopf (kevali profaton). Der Kopf wird als Ganzes auf
einer Platte serviert, aber man verzehrt natürlich nicht alles von ihm.
Die Schädeldecke wird ein wenig geöffnet, so dass man dann ganz bequem
das Gehirn herauslöffeln kann. Auch Wangen, Augen und Zunge gelten als
Delikatesse. Ich bin sicher, wenn Sie genug Ouzo intus haben, werden
auch Sie diese Spezialität genau so zu schätzen wissen, wie Ihre
Gastgeber.
Zum
Schluss möchte ich noch über die „Patza“ schreiben, eine fette Suppe aus
Innereien und ein gutes Mittel, gegen einen Kater. Die Griechen beugen
damit sogar den Folgen einer durchgezechten Nacht vor. In Großstädten,
wie z.B. in Athen, gibt es spezielle „Patza-Restaurants“, die auch in
der Nacht geöffnet und meist rappelvoll sind. Hier in Molyvos bekommt
man sie ab und an serviert, wenn man bei Freunden eingeladen ist. Nach
einem üppigen Mahl, das gekrönt wurde von Massen an Süßigkeiten, dann,
wenn man nicht mehr „Papp“ sagen kann und auch die Flaschen geleert
sind, kommt der Kessel mit „Patza“ auf den Tisch. Das ist jedoch der
Moment, wo ich so satt bin, dass ich nicht einen Löffel mehr
runterkriegen kann, selbst dann nicht, wenn das eine Suppe aus
köstlichster Schokolade wäre. Die Einheimischen jedoch langen kräftig
zu, und wenn Sie jetzt den Eindruck gewonnen haben, dass die Griechen
standfeste Trinker sind, so kann ich Ihnen aber versichern, einem
verkaterten Griechen werden Sie selten begegnen...
Copyright ©Julie Smit 2008 |