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BOULEVARD NEWS AUS LESVOS

 

Ein Anemonenfeld

Ein Anemonenfeld

9.Februar 2008 - Das Märchen von Lesvos

Aus dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski

Sappho lebte einige Jahrhunderte vor Christus auf Lesvos und wird heute als bedeutendste Lyrikerin des klassischen Altertums verehrt. Doch es ist nicht nur diese große Poetin, die Lesvos hervorbrachte, auf dieser Insel entstand auch der erste Hirtenroman (auch Schäferroman genannt), der den paradiesischen Reiz der griechischen Landschaft glorifizierend beschreibt. 

Kein anderer Ort wäre dafür besser geeignet, denn Lesvos konnte sich seine Idylle bewahren. Nun, da der eiskalte Nordwind um das Haus pfeift und die Temperaturen auf den Nullpunkt gesunken sind, was gibt es da Besseres zu tun, als sich mit einer sehr romantischen Schäfergeschichte vor dem knisternden Kaminfeuer einzukuscheln.

 

„Daphnis und Chloe“ ist ein antiker Liebesroman, den der sophistische Rhetor Longus wahrscheinlich im 3. Jahrhundert auf Lesvos schrieb. Er spielt nah bei der Hauptstadt Mytilini. Es ist die Geschichte zweier Kinder, die elternlos bei Schäfern aufwachsen, sich ineinander verlieben und nicht nur die ersten Erfahrungen in der Liebe machen, sondern auch mit der Eifersucht und Trennungsleid konfrontiert werden.

 

So schön sich Natur und Landleben auch präsentierten, überall lauerten Gefahren: Daphnis wurde von Piraten aus Pyrra entführt (jener Stadt, die von den Fluten des Golfs von Kalloni verschlungen wurde) und später von bösen Jünglingen aus Molyvos angegriffen (damals hieß das Dorf Míthimna und dies ist auch heute der offizielle Name). Nicht nur einmal erklärten die beiden Städte sich gegenseitig den Krieg, was zu damaliger Zeit nicht immer so schlimm war, wie es sich anhört. Einmal war dieser „Krieg“ zum Beispiel eine Razzia, und ein anderes Mal sah der Streitkampf so aus, dass Mytilini ein Heer gen Míthimna sandte, dass, bevor Molyvos aufrüsten konnte, abgezogen wurde, denn man hatte bereits wieder Frieden geschlossen.

 

Auch die Götter spielen in „Daphnis und Chloe“ mit, wenn auch nicht so gewichtig, wie sonst in den Mythen üblich. Pan, der Gott des Waldes und der Natur, von den Hirten verehrt, ist es, der in diesem ersten Schäferroman einen wichtigen Platz einnimmt. Er bringt Chloe wohlbehalten aus den Händen der Míthimner zurück, nachdem diese von ihnen entführt wurde.

 

„Daphnis und Chloe“ ist eine bezaubernde Geschichte, besonders, wenn man es schafft, sich vorzustellen, wie sich das Leben zu damaliger Zeit auf Lesvos abgespielt haben muss. Die vier Jahreszeiten werden bildhaft von Longus beschrieben, und wenn wir ihm Glauben schenken, so hat sich seit dieser Zeit nicht viel verändert. Auch zu damaliger Zeit zeigte der Winter seine eiskalte Seite, denn in der Geschichte wird erzählt, dass Schnee die Menschen in ihren Häusern hielt, und auch die Schäfer wachten nicht bei ihren Herden. Somit musste Daphnis sich etwas einfallen lassen, um seine geliebte Chloe zu sehen. Im Frühling, heißt es, wandelte das Paar an grünen Weiden, voller Blumenpracht vorbei, ein Bild, das sehr einfach vor meinem inneren Auge abrufbar ist, denn derzeit sind viele Flächen farbenprächtig übersät mit leuchtenden Anemonen.

 

Daphnis und Chloe“, war Vorlage für viele Liebesromane und inspirierte nicht nur Maurice Ravel zu einer Ballettkomposition. Nicht zu vergessen auch die großartigen Lithographien des Marc Chagall. Der Kunstkritiker und Verleger Stratis Eleftheriades (gen. Tériade), eine Sohn der Stadt Mytilini, war es, der Chagall bat, die Geschichte zu illustrieren. So kam es zu dem Griechenland-Besuch des französischen Malers, der sich schnell verliebte in das Meer, die griechische Landschaft und das alles verzaubernde Licht. Dieser Auftrag brachte ihn dazu, neue Blau- und Grüntöne zu schaffen, die ihm ermöglichten, seine Begeisterung für die griechischen Impressionen zum Ausdruck zu bringen. Seltsam ist jedoch, dass er Lesvos nicht besuchte (nur Athen, Delphi, Nauplia und Poros), denn hätte er seinen Fuß auf diese Insel gesetzt, ich bin sicher, die Anemonen, die in den Farbtönen von weiß bis rot, violett und hellrosa alle Register ziehen, hätten ihn dazu inspiriert, noch mehr Farbtöne zu kreieren.

 

Das Buch mit den Lithographien von Chagall ist im Tériade-Museum in Varia, etwas außerhalb von Mytilini, ausgestellt. Beim Betrachten der vergnügten fröhlichen Abbildungen, wird die Liebe zwischen Daphnis und Chloe sicherlich auch Sie bewegen. Wie ein Märchen mutet sich die Geschichte der beiden Findelkinder, die bei armen Schäfern aufwachsen, an, denn am Ende stellt sich heraus, dass sie aus wohlhabenden Häusern stammen, was den Unterschied zu anderen Märchen darstellt, denn dort ist es ja meist so, dass der reiche Prinz oder die reiche Prinzessin ein armes Menschenkind heiratet. Die Hochzeit von Daphnis und Chloe wurde in aller Pracht und mit jeglichem Prunk gefeiert, wie es zu damaliger Zeit üblich war.

 

Heutzutage finden die Schäfer zwar keine Findlinge mehr und keine Sklaven oder Bedienstete bestellen mehr die Felder (obwohl in einigen Teilen des Landes, Arbeiter aus anderen Teilen der Welt ausgebeutet werden), jedoch musste ich an die Seeräuberei denken, als ich einen Artikel in der englischsprachigen Ausgabe der „Turkish Daily News“ vom 10.2.08 las: Eine Gruppe Afghanen, die versuchte, von der Türkei aus Griechenland zu erreichen, wurden von 2 Booten, unter griechischer Flagge und mit uniformierter und teilweise vermummter Besatzung, gestoppt. Unter Anwendung von körperlicher Gewalt, nahm man ihnen Geld und Handys weg, setzte sie dann in lecke Gummiboote und jagte sie zurück in die Türkei. Glücklicherweise erreichten die Überfallenen Ayvalik, wo sie von dem Geschehenen berichten konnten.

 

Was da passiert ist, ist nicht nur moderne Piraterie sondern auch eine skandalöse Verletzung der Menschenrechte. „Amnesty International“ hat Griechenland aufgefordert, in diesem Fall genaueste Untersuchungen anzustellen. Ich bin zutiefst enttäuscht von dem Verhalten dieser – aller Wahrscheinlichkeit nach – Griechen, die ihren Fanatismus, Flüchtlinge unter keinen Umständen ins Land zu lassen, rücksichtslos freien Lauf lassen. Auch bedrückt es mich, dass das so nah bei Lesvos geschieht, der Insel, wo Longus sein romantisches Werk schuf. Nun ja, auch zur Zeit der beiden Liebenden war das Leben gefährlich, es hat sich halt nichts verändert auf der idyllischen Insel der Schäfer im Ägäischen Meer...

 

Copyright ©Julie Smit 2008