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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Blick von Lesvos aus auf den Berg Athos
13.Juli 2008 -
Ich sehe was, was Du nicht siehst...
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Es gibt
Touristen, die denken, Lesvos sei riesiggroß. Weist man auf die benachbarte
Türkei hin, reagieren sie überrascht, da sie bislang davon ausgingen, dass auch
dieses Stück Erde ein Teil unserer Insel sei. Ich muss zugeben, dass solch ein
Irrtum schnell aufkommen kann, denn die Türkei ist sehr präsent. Ob von Norden,
Osten oder Süden, Sie sehen Kleinasien: Auf einer Landkarte stellt sich Lesvos
umarmt von der Türkei dar.
Steigt man
aus dem Flugzeug und setzt seinen Fuß auf die Insel, sieht man das Nachbarland
in der Ferne lauern, denn direkt gegenüber von Mytilini liegen die geschäftigen
Städte Ayvalik und Dikili. Es ist romantisch, sich vorzustellen, es seien
Kreidefelsen , die sich als weiße Linie am Horizont erstrecken, tatsächlich sind
es jedoch weißgekalkte Häuser und andere Gebäude, die von den Türken in
Windeseile in dieser Region hochgezogen wurden. Lenkt man seinen Blick nach
Norden, Richtung Edremit und rund um den gleichnamigen Golf, erkennt man auch
dort viele Häuser, Ferienanlagen und Hotels. Im Anschluß an den Golf von Edremit,
im Westen, liegt das alte Städtchen Assos, das Molyvos sehr ähnlich ist. Diese
Region ist nicht so ein beliebtes türkisches Feriengebiet und ist
dementsprechend auch nicht so bevölkert.
Damals, als
Lesvos noch Teil des Osmanischen Reiches war, blühte der Handel zwischen der
Insel und dem türkischen Festland, heute laufen nur noch gute Geschäfte mit
Fisch und anderen Meeresfrüchten. Wenn Sie Ayvalik besuchen, werden Sie von dem
Warenangebot auf dem Markt begeistert sein. Eine breite Palette von frischem
Obst und Gemüse stapelt sich in farbenfroh leuchtenden Pyramiden an den Ständen.
Leider ist es Ihnen aber aus gesundheitlichen Vorsichtsmaßnahmen nicht
gestattet, Ihre Einkäufe nach Griechenland auszuführen. Also kaufen die Lesvoten
bei Ihren Shoppingtouren ins Nachbarland Möbel, Teppiche, Brautkleider, na, eben
all das, was dort im Preis günstiger ist und das ist, auf den Punkt gebracht,
jegliche Ware. Dann geht’s bepackt zurück, mit der Fähre von Ayvalik nach
Mytilini, und Sie werden nicht einen Griechen sehen, der weniger als 10 Pakete
in die Heimat schleppt.
Ich selbst
habe mich noch nie nach Ayvalik aufgemacht. Seit 5 Jahren genieße ich die Sicht
auf Assos am anderen Ufer und dachte bislang dort eine Olivenpresse zu erkennen,
deren Schornstein in den Himmel ragt. Jetzt habe ich den Küstenabschnitt mit
„Google Earth“ besucht, und es stellte sich heraus, dass es ein kleiner weißer
Leuchtturm ist.
„Google
Earth“ ersetzt natürlich nicht eine wirkliche Reise, aber um einen ersten
Eindruck von einem Gebiet zu bekommen, kann es sich als sehr nützlich erweisen.
Man kann z.B. die Häuser und auch die Sonnenschirme auf dem Bildschirm zählen
und schon kann man herausbekommen, wie touristisch erschlossen eine Region ist,
bevor man seinen Urlaub dorthin bucht.
Geologisch
gesehen, gehört Lesvos zu Kleinasien. Es gab eine Zeit, da war es Teil des
Festlandes der heutigen Türkei. Damals wuchsen Sequoias auf der Insel, jene
uralten Riesenbäume, die man jetzt nur noch im „Versteinerten Wald“, in der Nähe
von Sigri, bestaunen kann. Es gab große Rüsseltiere, die hier auf Wanderschaft
waren, Deinotherion genannt, eine Vorläuferform des heutigen Elefanten.
Forschungsarbeiten brachten 1999 in der Nähe von Gavathas die Knochen eines
Exemplares dieser gewaltigen Tiere mit dem schönen Namen „Prodeinotherium
bavaricum“ ans Licht. Diese wissenschaftliche Entdeckung war der Beweis dafür,
dass solche Mammuts auch in Europa lebten, denn zuvor hatte man sie bei
Ausgrabungen nur in Afrika entdeckt. Andere Wissenschaftler gehen sogar so weit,
dass sie darin die These bestätigt sehen, dass die Kontinente Asien und Europa
vor Urzeiten mit Afrika verbunden waren.
Heutzutage
gibt es keine Elefanten und kein Großwild mehr auf Lesvos (ich zähle die
Wildschweine nicht mit dazu, die in der Nähe von Agiássos zum Abschuss
freigegeben sind). Um andere wilde Tiere in freier Wildbahn zu erleben, müssen
sie in die Türkei, wo es noch Bären und Wölfe gibt. Klicken Sie mit „Google
Earth“ die Region gegenüber von Molyvos an, werden Sie dicht bewaldete Berge
erkennen. Dort leben sie noch, und auf einem Spaziergang kann es Ihnen schon
passieren, das Meister Petz Ihren Weg kreuzt. Letzte Woche ereignete es sich in
Australien, dass in einem an der Küste gelegenen Schwimmbad ein Hai schwamm.
Wahrscheinlich hat ihn eine große Welle in den Pool gespült. Also, alles ist
möglich, und so würde es mich nicht wundern, wenn eines Tages ein großer
Braunbär an unsere Tür klopft, denn schließlich können diese wolligen Tierchen
schwimmen. Auf machen werde ich ihm aber bestimmt nicht!
Vom Westen
der Insel, z.B. von Sigri aus, ist kein Land in Sicht. Nur große Schiffe kreuzen
das Meer auf der dort entlang führenden viel befahrenen Wasserstraße.
Und nicht
nur die Türkei ist von Lesvos aus zu sehen, sondern vom Süden, wie von Plomari
und Eressos aus, ist ganz deutlich die Nachbarinsel Chios zu erkennen sowie
rechts davon das Eiland Psara und links daneben das Inselchen Inousses, vor
dessen Staden vor zwei Wochen die Fähre „Theofilos“ auf einen Felsen auflief
(inzwischen wurde ein Ersatzboot eingesetzt). Linkerhand von Inousses erstreckt
sich wieder die Türkei.
Molyvos
bietet einen überwältigenden Blick über die Nordküste der Insel selbst, blickt
man aber übers Meer, so sieht man nur die Türkei. Kommt man jedoch, wie in
Richtung Vafios und dem Lepetimnos, etwas höher hinauf, so hat man bei klarem
Wetter eine Sicht von bis zu 200 Kilometern. Letzte Woche waren wir zum
Abendessen in der Taverne „To
Petrino“ in Vafios. Die Sonne war gerade dabei, im Meer zu versinken, und
direkt unter dem orangefarbenen Ball erhob sich pyramidengleich ein Berg am
Horizont: Der Mönchsberg Athos! Eine Halbinsel voller Klöster, jedoch nur für
Männer zugänglich. Rechts davon lag vor unseren Augen Limnos, die nördlichen
Nachbarinsel von Lesvos, ein wirklich seltener Anblick, da Limnos sehr flach
ist. Es war sogar so außergewöhnlich klar, dass das winzige Eiland Agios
Efstratios auf der linken Seite des Berges Athos zu erkennen war. Ich bin mir
sicher, dass wir an diesem Tag sogar bis nach Troja und Istanbul hätten gucken
können, wenn die von Bären bewohnten Berge der Türkei etwas niedriger wären.
Copyright ©Julie Smit 2008 |