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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
3.September 2007 -
Stilles Leid
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Gerade
haben wir die 4. Hitzewelle des Jahres durchlebt, und wiederum ist Lesvos ohne
einen einzigen Brand davongekommen, derweil in anderen Teilen Griechenlands noch
mit den Flammen gekämpft wird. Obgleich einige Schauer vorausgesagt wurden, ist
auf Lesvos nicht ein Tropfen gefallen. Es regnete auf der Insel Evia und auf dem
Peloponnes, dort, wo der verbrannten und ausgedorrten Landschaft die nächste
Katastrophe nach dem Feuer droht: Überschwemmung!
Inzwischen
ist die Zeit der Ernte angebrochen: Die Mandeln fallen von den Bäumen, die
Feigen sind schon seit Wochen reif, die Trauben hängen malerisch an den Stöcken
und warten darauf, gepflückt zu werden, bald werden die Walnüsse folgen, dann
die Quitten, und wenn die Wettergötter uns gut gesinnt sind, schicken sie uns
Regen, der Schnecken und Pilze hervorlocken wird. Tja, und dann kommt die Zeit
der Olivenernte. Im Oktober werden die Netze unter den Bäumen ausgelegt.
Lesvos ist
eine Insel der Landwirtschaft. Das heißt nicht, das viel von den Erzeugnissen
(eingelegte Sardinen, Olivenöl, Ouzo) exportiert wird, aber die meisten Bewohner
haben eine Menge Olivenbäume, einige Obstbäume und ein Stückchen Land, wo ihr
Gemüse gedeiht. Sie haben Schafe und Ziegen (bei Agia Paraskavi werden auch Kühe
gehalten) und somit Milch und Käse, also, es ist alles da, damit die Insel sich
selbst versorgen kann.
Die
Insulaner leben von ihren eigenen Produkten. Hier ist kaum ein Mensch reich, und
das Leben in Griechenland ist teuer. Gemüse und Früchte aus eigenem Anbau,
Mandeln und Walnüsse, um Süßigkeiten zubereiten zu können, der eigene Wein… das
hilft, um das Dasein ein Stückchen angenehmer zu machen. Im Herbst machen sich
die Leute auf nach Agiassos, um Kastanien zu sammeln (auch in Argenos sind
einige Kastanienbäume zu finden). Herbst und Winter ist die Zeit der Pilze, und
im Frühjahr machen sich die Sammler auf in die Wiesen und Felder, um Chorta und
wilden Spargel zu suchen. In den meisten Dörfern sind Frauen-Kooperativen
ansässig, die emsig damit beschäftigt sind, ;Marmeladen, süße Früchte („Süße
Löffel“ = „koutalia gliko“), Tomatensaucen, Gebäck, Marzipankuchen, etc.
zuzubereiten.
Und dann
sind da noch die Oliven, die eingelegt oder zu Öl verarbeitet werden. Der
Pro-Kopf-Verbrauch eines Griechen liegt bei 35 Liter im Jahr. Doch die Oliven
sind nicht nur Nahrungsmittel, inzwischen wurde z.B. auf Lesvos die
Seifenproduktion, dank der Touristen, aufgenommen. Der größte Teil der
Inselbewohner hat sein eigenes Öl, das mit der ganzen Familie geteilt wird und
auch mit den Angehörigen, die in Athen leben, und wann immer sie damit etwas
Geld verdienen möchten, können sie dies durch den Verkauf an die Kooperativen.
Es war
nicht einfach zu lernen, wie Marmeladen zubereitet und Oliven eingelegt werden,
und wir sind dabei durch Höhen und Tiefen gegangen. Wir haben die Quitte kennen
gelernt und erfahren, welch großartige Grundlage sie für köstliche Liköre ist.
Ich habe unzählige Mandeln und Pinienkerne geknackt und sie zu Marzipan, Pesto
und Kuchen verarbeitet. Es gab Zeiten, da waren meine Hände und Fingernägel
tagelang hässlich braun gefärbt, weil ich vergaß, Handschuhe anzuziehen, bevor
ich Walnüsse schälte. Ich habe hunderte Tomaten gehäutet, um literweise Sauce zu
kochen, kiloweise Erdbeeren gepflückt und tausende Kirschen und Aprikosen
entkernt. Ich habe gelernt, wo wilder Spargel wächst und kann inzwischen die
Pilze von gut und böse unterscheiden. Ich habe Kratzwunden bei der
Brombeer-Ernte davongetragen, weil der Likör dieser Frucht so lecker ist, und
würde man all die von mir gebackenen Apfelkuchen aufeinander stapeln, so käme
schon ein stattliches Türmchen zustande. Ich weiß inzwischen, welch wildes
Wiesengrün essbar ist und wie man aus einem riesigen Kessel voller Feigen
köstlichen Sirup zaubert.
Käse
herstellen, kann ich noch nicht, denn wir haben weder Ziege noch Schaf. Im
Schnecken sammeln bin ich zwar gut, esse sie auch sehr gerne, besonders, wenn
sie nach einem hier üblichen Rezept, mit Quitten, serviert werden, aber sie für
ein Abendessen vorzubereiten, das habe ich bisher nicht übers Herz gebracht.
Besonders,
wenn man aus einer Großstadt auf diese grüne Insel kommt, so wie ich, wird man
schier verrückt, wenn man diesen Überfluss an Früchten sieht. Seit Jahrhunderten
konservieren die Griechen die Erntegaben für den Winter, wenngleich heutzutage
mehr und mehr Menschen in der Stadt leben und die moderne Hausfrau, die Kunst
des Einmachens gar nicht erst erlernt.
Griechen,
die nicht in der Großstadt leben aber auch keine Bauersleute sind, lieben es,
nach ihrem Job auf ihr Land zu gehen, um sich um Früchte und Tiere zu kümmern.
Sind die Touristen nach der Saison verschwunden, so eilen sie in ihre
Olivenhaine, um alles für die Ernte vorzubereiten.
Den Opfern
der katastrophalen Brände auf Evia und der Peloponnes stehen unsagbar harte
Zeiten bevor: Viele von ihnen haben nicht nur Familienangehörige, Freunde und
ihr Dach über dem Kopf verloren, auch ihre Gärten sind schwarz verkohlt. Diese
Erde, die sie jahrelang mühsam beackert haben, um Oliven, Obst, Gemüse zu
ernten, um sich mit Öl, Fleisch und Milch versorgen zu können, liegt verbrannt
vor ihnen. 3% der Olivenernte des Landes ist vernichtet, 60.000 Ziege/Schafe
sind bei lebendigem Leib verbrannt. Diese Zahlen können kaum zum Ausdruck
bringen, wie das Leben der Menschen zerstört wurde. Ihre Häuser können wieder
aufgebaut werden, aber sie können nicht mehr zu ihrem Stückchen Land gehen, die
Bäume beschneiden, die Früchte ernten, die Netze unter den Olivenbäumen
ausbreiten. Sie können sich nicht mehr um das Vieh kümmern oder Feta herstellen.
Und selbst wenn sie sich neue Tiere leisten könnten, was sollen sie essen? Es
dauert 8 – 10 Jahre, bevor ein Olivenbaum Früchte trägt, und die besten und
meisten Oliven hängen an einem Baum, der zwischen 80 und 100 Jahre alt ist. Es
wird Jahre dauern, bis das verkohlte Land wieder Gras und Chorta hergeben wird.
Millionen
Spendengelder sind im In- und Ausland für die Opfer gesammelt worden, und sie
werden auch noch im nächsten Monat Gespräch sein und die nötige Aufmerksamkeit
erhalten, aber dann, wenn die Griechen in ihre Gärten gehen, um das „griechische
Gold“ zu ernten, werden eine Menge Menschen für eine ganze Zeit in Vergessenheit
geraten, und zwar diejenigen, die verzweifelt an ihrem Küchentisch sitzen
bleiben, weil es keine Ernte gibt, die einzubringen ist und die sich fragen, was
um Himmelswillen sie mit ihrem Stück verbranntem, schwarz verkohltem Land
anfangen sollen.
Copyright ©Julie Smit 2007 |