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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
1.Oktober 2007 -
Monumentale Platanen
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Wenn ein Baum hier
in Griechenland keine Früchte trägt, so hat er einen anderen Nutzen, und zwar
den, Schatten zu spenden. Die populärsten Schattenbäume sind die weit
verbreiteten Platanen, die vor allem inmitten der Dörfer zu finden sind.
Ungewöhnlich sind diese Bäume nicht, aber doch ein jeder von ihnen in seiner Art
einzigartig und faszinierend in seinem knorrigen und interessanten Wuchs. Bei
den älteren von ihnen kann man Hohlräume im Inneren bewundern, und wenn man
bedenkt, dass sie bis über 200 Jahre alt werden können...
Der Berühmteste
dieser Art steht auf der Insel Kos: Der Baum des Hippokrates.
Unter seinen Zweigen
unterrichtete der Begründer der Heilkunst seine Schüler. Nun Hippokrates lebte
von 460 – 370 vor Christus, was bedeuten würde, dass diese Platane 2.400 Jahre
alt wäre, was jedoch eigentlich unmöglich ist. Wissenschaftlich geht man davon
aus, dass dieser Baum, dessen Krone einen Durchmesser von 12 Meter hat, ein
halbes Jahrtausend alt ist, was ja wohl auch schon ein beeindruckendes Alter
ist. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia weist ihn als ältesten Baum Europas
aus.
Im Dörfchen Aegio,
im Norden des Peleponnes, soll jedoch eine noch ältere Platane stehen. Pausanias,
griechischer Geograph und Schriftsteller, der im 2. Jahrhundert n.Chr. lebte,
erwähnte diesen Baum in seinen Aufzeichnungen, und somit trägt er auch den Namen
„Die Platane des Pausanias“. Der Archäologe Heinrich Schliemann schätzte das
Alter des Baumes in seinem Buch über Troja und den Peleponnes aus dem Jahre 1868
auf 1.450 Lenze. Die Platane wacht in Aegio über jahrhundertealte Fontänen.
Nachgewiesen sind bisher 600 Jahre, die diese Platane mit einem Stammdurchmesser
von 12 Metern auf dem Buckel bzw. auf der Rinde hat. Auch dies eine beachtliche
Zeit.
Eine weitere
berühmte Platane und einem jedem aus der Geschichte des Herodes über den
persischen König Xerxes bekannt: Der König traf auf diese Platane, als er
Griechenland eroberte und war fasziniert von ihrem Anblick. Er ließ sie alsdann
mit Goldschmuck behängen und stellte einen Posten ab, der sie von nun an
bewachte.
Wandert man auf
Lesvos durch das alte Ruinendorf Chalikas, so stößt man auf einen Pfad, der zum
Gipfel des Lepetimnos führt. Auch dort trifft man auf riesengroße Platanen. Es
ist das betörendste Stück des Weges, wenn man unter den hohen Kronen dieser
Riesen, die über einer Schlucht schweben, einherspaziert. Man muss sie nicht
erst mit goldenem Schmuck behängen, damit sie begeistern. Die knorrigen Äste,
die sich ellenlang in das blaue Firmament recken, die dicken Verknotungen,
ellenbogengleich, die Hohlräume, die ein faszinierend mit Licht und Schatten
spielen, einfach atemberaubende zauberhafte Gebilde, die kein noch so
meisterlicher Bildhauer, je so formen könnte. Mit einem enormen Wurzelwerk
klammern sich die Bäume fest an den Rand der Schlucht.
Gleich hinter
Sykaminia ist eine ähnliche Schlucht zu finden, wo jedoch bereits einige der
Platanen umgestürzt sind, da das Erdreich vom strömenden Regenwasser im Winter
unterspült wurde, das seinen Weg nach unten bahnte. Selbst diese gefallenen
Riesen hinterlassen noch einen bleibenden Eindruck. Aber die Platanen von
Chalikas werden noch manchen Angriff aushalten. Ich denke, dass sie schon einige
hundert Jahre alt sind und stelle mir manchmal vor, was so eine im Inneren
versteckte Kamera der Nachwelt preisgeben würde: Liebespaare und Großfamilien
beim sonntäglichen Picknick? Böse Buben, die ihr Opfer an einem Ast aufknüpfen?
Morde im Unterholz? Verfolgung? Oder die Idylle einer grasenden Schafherde, die
die Kühle unter den beblätterten Zweigen und das Rascheln des herunterfallenden
Laubes genießt? Fast unbenutzt liegt dieser Pfad da, und das wird wohl die
Erklärung dafür sein, dass noch keine Naturschutzorgansisation aufmerksam
geworden ist auf diese prachtvollen Platanen.
Es gibt nicht wenige
Platanen in Griechenland, die unter Natur- und Denkmalschutz stehen. Außer den
beschriebenen von Pausanias und Hippokrates, sind geschützte Baumriesen in
Scholari, Geroplátanos, Vavdos, Kambotades, Arta, Heraklion, Veria, Nafplion,
Dimitsana, Valtos, Fthiodia, im Lamia, in den Ilia, in Azogirón, Messina,
Thessaloniki und in Kalavryton zu finden. Dann gibt es noch einige geschützte
Olivenbäume, einen jahrhundertealten Rebstock, eine Kiefer, eine Eiche, eine
Palme, einen Buchenwald und last but not least, den „Versteinerten Wald“ bei
Sigri/Lesvos.
Bei diesem
Naturwunder bin ich mir jedoch nicht so ganz sicher, ob man diese Gebilde noch
als Bäume bezeichnen kann, wenngleich ja auf gar keinen Fall bestritten werden
kann, dass diese inzwischen versteinerten Mammutbäume und Kiefern mit ihren
Millionen von Jahren älter sind, als ein jeder Baum, der auf der Liste der
geschützten Bäume Erwähnung findet.
Eine berühmte
Platane in Lesvos ist, wenngleich auch nicht ein verzeichnetes geschütztes
Monument, der Baum von Theophilos in Karini. Theophilos, ein Maler von Lesvos,
geboren 1873 und gestorben 1934, lebte eine geraume Zeit wahrhaftig in diesem
Baum. Geht man in die Platane hinein, so ist es leicht vorstellbar, dass dort
ein schmales Bett, ein Tisch und ein Stuhl Platz gefunden haben und sogar noch
Raum genug da war, sich darin zu bewegen. Um seinen Lebensunterhalt zu
verdienen, führte Theophilos in Tavernen Wandmalereien aus, so auch in Karini.
Die Werke dieses Künstlers der naiven Malerei, stellen das volkstümliche
Alltagsleben seiner Landsleute auf Lesvos dar.
Stelios
In Molyvos wohnt
auch ein kleiner Theophilos. Stelios ist sein Name, er arbeitet auf der Burg
(der Umbau des Kastells geht nur langsam voran, so dass es immer noch für
Besucher geschlossen ist), und ein kleiner Raum ist voll von seinen Werken. Die
fröhlichen Abbildungen stellen das Leben um Molyvos dar. Zwar ist Stelios nicht
ein solch bunter Vogel wie Theophilos es war, der Zeit seines Lebens in einem
Kilt oder in alten Soldatenuniformen herumlief, aber er ist zweifelsohne ein
Original des Ortes.
Letzte Woche erst
kreuzte er unsere Wege, in jeder Hand 2 schwere Plastikbeutel. Neugierig, was
sich darin verbarg, fragte ich ihn höflich danach, vermutend, dass es Feta sein
könnte. Als er mir den Inhalt anbot, konnte ich diesem Angebot nicht
widerstehen, denn frischer Feta ist nun mal ein Gedicht und weit besser, als ein
jeder Feta, den man in den Geschäften kaufen kann. Aber anstatt des erwarteten
Molkereiprodukts, zog Stelios die riesige Keule eines frisch geschlachteten
Lamms aus der Tüte und stopfte diese in meine Tasche. Als er meinen überraschten
Gesichtsausdruck sah, nahm er ein weiteres Stück des Tieres und fügte es
hinzu...
Maler leben
heutzutage nicht mehr in Platanen, aber Stelios, der gleichzeitig auch
Archäologe ist, steht mit seinen Werken nicht hinter Theophilos zurück. Ich bin
sicher, dass er später als „ Der Maler von Molyvos“ in die Geschichte eingehen
wird. Zwar wird keine Platane seinen Namen tragen und unter Denkmalschutz
fallen, aber wahrscheinlich wird das Kastell irgendwann „Die Burg von Stelios“
genannt werden, und die steht bereits auf der Liste der geschützten Monumente.
Copyright ©Julie Smit 2007 |