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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
9.Oktober 2006 -
Wahlfieber
Aus
dem Englischen von Gabriele Podzierski
So wie überall in Griechenland, ist auch in Molyvos das Wahlfieber ausgebrochen. Jeden Abend finden Wahlveranstaltungen statt, auf denen man auf Stimmenfang für einen neuen Bürgermeister ist. Nächsten Sonntag geht es in die erste Runde. Alle Griechen haben dann zur Wahl zu gehen, und zwar n ü c h t e r n ! Offiziell darf am Samstag, nach 24 Uhr, kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden. Na, das wird ja dann eine gesellige Samstagnacht.
Gewählt wird dort, wo man geboren bzw. registriert ist, was bedeutet, dass am nächsten Wochenende eine Völkerwanderung auf Griechenland zukommt. Die einen müssen nach Athen, die anderen von dort zurück, und die nächsten kommen von sonst wo her. Wollen wir mal hoffen, dass dann das Wetter besser wird, wie in der letzten Woche. Lesvos hat noch Glück gehabt. Hier gab es nur einige Regenschauer, aber im Norden – hauptsächlich um Thessaloniki – musste der Notstand ausgerufen werden, angesichts überfluteter Häuser und zerstörter Straßen.
Am 15. Oktober kann man seine Stimme für 2 Gemeinderatsmitglieder abgeben, die hinter einem Bürgermeisterkandidaten stehen. Die beiden „Bürgermeisterparteien“ mit den meisten Stimmen (man wählt eine Person und nicht eine Partei) gehen dann in den nächsten Wahlgang, in dem dann die Entscheidung fällt, welche von ihnen den Bürgermeister stellt. In Molyvos haben sich 5 Kandidaten aufstellen lassen: Nicos Molvalis, Dionisis Karatsalis,
Kralli Raloe (kurz Raloe) Kostantellis, Stelios Karadonis und der jetzige Bürgermeister, Lefteris Vogiatzis. Fragte man vor einigen Wochen einen Mitstreiter einer Partei, nach den Grundsätzen und Zielen des jeweiligen Bürgermeisterkandidaten, stieß man auf Unwissenheit. Aber letzte Woche erschienen die Programme, und ich versichere Ihnen, sie haben Großartiges zum Inhalt. Molyvos wird ein Paradies auf Erden, wenn man ihnen Glauben schenken kann. Dionisis Karatsalis steht klar und deutlich für die Kommunistische
Partei, abgekürzt KKE. Als ein echter roter Racker ist er gegen das kapitalistische Amerika, Europa und die NATO. Laut der KKE landet das ganze Geld aus Europa nur in Großbetrieben, weiterhin seien die Löhne in Griechenland zu niedrig, die Steuern zu hoch und Arbeitsstellen gäbe es auch nicht genug. Auf lokaler Ebene wird bemängelt, dass 5 Euro Eintritt für den Besuch der „Heißen Quelle“ zu hoch seien, die 2%ige Abgabe, die jede Taverne/Restaurant und auch jeder andere Shop in Molyvos zu leisten hat, sei zuviel und der Einfluss der Touristenveranstalter zu groß. Dionisis möchte ein Museum, eine bessere
Bibliothek und die „Heißen Quellen“ sollen besser genutzt werden. Aber seien wir doch ehrlich. Eigentlich wollen alle dasselbe. Dionisis hat wahrscheinlich das Programm des derzeitigen Bürgermeisters nicht richtig gelesen, in dem steht, was Lefteris in seiner 4-jährigen Amtszeit alles vollbracht hat: Neben den notwendigen Verbesserungen hinsichtlich Kanalisation, Abwasser und Straßen, bekam er von Europa Geld, um Wanderwege auszubauen und zu beschildern (44.000 Euro). Weitere 1.625.000 Euro Subventionen hat er in
die Erneuerung der Hauptstraße zum Hafen gesteckt. Nun begreife ich endlich, warum das Projekt mit der aufgerissenen Straße, über das sich jeder in Molyvos den ganzen Winter lang geärgert hat, eine solche Zeit in Anspruch nahm (s. Lesvos News vom 14.02.2006). Solch eine Summe gibt man ja nicht mal so in einem Monat aus. Eine weitere Schöpfung von Lefteris ist das neue Kafenion (es gab vorher keines in Molyvos) und das ich „Das Wohnzimmer des Bürgermeisters“ nenne, da dieser jeden Abend dort verbringt (s. Lesvos News vom
21.11.2005). Das eindrucksvolle Programmheft von Lefteris ist voll mit farbenprächtigen Fotos von den Werken, die er geschaffen hat, wie z.B. von neuen Türen für die öffentliche Toilette, Umziehkabinen an verschiedenen Stränden, und weiteren Kleinigkeiten, die für jeden anderen Bürgermeister selbstverständlich gewesen wären. Aber seine Pläne für die Zukunft lässt er im Unklaren, doch sie können sich nicht arg von den Vorhaben der anderen Kandidaten unterscheiden, denn ein jeder will doch das Beste für seine Gemeinde.
Die Ausführungen von Nikos Molvalis sind unendlich lang, und meiner Meinung nach, kann er diese alle gar nicht umsetzen, auch nicht, wenn seine Amtszeit 100 Jahre dauern würde. Jede Idee, die irgendwann mal irgendwer gehabt hat, sind in seinem Programm aufgelistet. Die bemerkenswertesten Vorhaben sind: Das heiße Quellwasser soll zu den Hotels geleitet, ein Fußweg vom Hafen zum Strand von Molyvos angelegt und ein Touristenzentrum eröffnet werden (ist ja nicht so, dass es ein solches noch nicht gibt). Außerdem möchte er sich an touristischen
Ausstellungen beteiligen (ich weiß nicht, was soll das bedeuten?), eine Schule für Tourismus soll eingerichtet, ein Kino eröffnet und einer der beiden alten Tunnel, die von der Burg zum Strand (bei der Disko „Conga´s“) wiederhergestellt werden. Meine Güte, wie aufregend! Wie auch immer, Nikos Molvalis meint es wirklich gut. Er möchte für die Menschen hier mehr Leben, mehr Kultur und mehr Bildung. Er will die Natur schützen, er möchte mehr Geld aus Europa für die Landwirtschaft, und die Bürger sollen mehr Sport
treiben können. Ja, und dann ist da etwas in seinen Plänen, was das Dorf wirklich dringend nötig hätte: Eine Kindertagesstätte. So wichtig, für all die vielen Mütter, die im Sommer arbeiten und die sich Tag und Nacht den Kopf darüber zerbrechen, wie sie ihren Kindern und auch gleichzeitig den Touristen eine schöne Zeit bereiten können. Die einzige Frau auf der Liste, Raloe, möchte so ungefähr das, was Nikos so aufzählt, aber, sie kann es besser rüberbringen, und: Sie hat als einzige der Kandidaten Visionen. Es
ist eine Dame, die einmal der KKE light (die Leicht-Version der Kommunistischen Partei) zugehörig war. Jetzt steht sie jedoch für die PASOK. Vor dem Pläneschmieden, macht sie sich erst einmal ein umfassendes Bild von der Zukunft der Gemeinde. Auch sie möchte mehr Kultur in allen Dörfern, tritt für den Naturschutz ein, möchte eine größere Auslastung der „Heißen Quellen“ und andere touristische Attraktionen. Sie strebt die Erneuerung der Bauplangesetze an, denkt darüber nach, welcher Tourismus für den Norden der Insel gut wäre (sie ist gegen „All-inclusive-Hotels“), sie möchte bei den jungen Leuten das
Interesse für die Landwirtschaft wecken, und ihr liegt die Organisation von mehr bildenden und kulturellen Veranstaltungen für die Jugend am Herzen. Der größte Aufhänger eines jeden Parteiprogramms ist jedoch die Mülldeponie. Letztendlich kommt zum Ausdruck, dass es eine zentrale Abfallbeseitigungsanlage auf der Insel geben wird, und zwar in der Nähe von Agia Paraskevi. Stelios Karadonis ist der Mann für den Mittelstand, und er macht seinen Direktwählern viele persönliche Versprechen. Er hat die brillante Idee,
den derzeitigen Müllplatz um 3 km zu verlegen, hin in ein verlassenes Tal (wo ein Fluss herläuft), wo niemand durch den entstehenden stinkenden Rauch (voll von Plastik, Asbest und anderen Giften) Schaden erleidet. Wie sagt man so schön: „Aus den Augen – aus dem Sinn“. Ich frage mich wirklich, wie er mit diesem Masterplan die Stimmen von logisch denkenden Menschen gewinnen will. Kurz gesagt, wir haben derzeit in Molyvos HAPPY HOURS. Das Dorf strotzt nur so von neuen Ideen und vor allen Dingen von den alten, die
für neu verkauft werden. Die Wähler werden aufgefordert, den Wahlzusammenkünften beizuwohnen, vielleicht nicht jeden Abend, aber dann doch bitte mindestens jeden Tag, und klappern ein Dorf nach dem anderen ab, um Stimmen zu fangen. Petra geht in der Hinsicht besser vor: Auf dem zentralen Marktplatz haben sie eine Art „speaker´s corner“ geschaffen, wo jeden Abend ein jeder sagen kann, was er möchte. Es wird ein spannendes Rennen, denn es stehen sich ganz klar zwei Lager gegenüber: Auf der einen Seite die mehr
traditionellen Griechen, die anstehende Probleme so angehen, wie sie es schon immer getan haben und die auf die Vetternwirtschaft zählen (Stelios und Lefteris) und auf der anderen Seite die Gruppierung die offen ist für neue Visionen, wie die der europäischen Ausländer, die hier wohnen (Raloe und Nikos). Mag sein, dass es so aussieht, als würde die Entscheidung in so einem touristischen Städtchen, wie Molyvos, leicht fallen, aber man darf nicht vergessen, dass die kleinen Dörfer Vafiós, Argenos, Lepétymnos, Sikaminiéa und Skála Sikaminéas ebenfalls zur Gemeinde gehören. All dies Dörfer, deren Bürger
überwiegend in der Landwirtschaft tätig sind und die von einer Frau Bürgermeisterin nicht wirklich begeistert wären oder gar von Ausländern in ihrem Gemeinderat. Ob jung oder alt, ob Einwohner oder Ausländer, niemand kommt vorbei an dem Wahlleben in Molyvos. Nicht nur dass das Dorf mit Wahlplakaten bepflastert ist, auf denen man die eventuellen neuen Bürgermeister bewundern kann (man sagt, wer es wird, das werde sich auf die typische griechische Weise, nämlich im letzten Moment entscheiden), es ist einfach so,
dass ein richtiges Wahlfieber in den Straßen grassiert. Obwohl die meisten Touristen schon abgereist sind, das Leben in Molyvos pulsiert. Und, wenn jeder zu seinem Wort steht, wird es demnächst der beste Platz auf Erden, mit lauter fröhlichen und glücklichen Menschen. Copyright ©Julie Smit 2006
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