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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
5.Juni 2006 - Die Tränen eines Küchenmädchens
Aus
dem Englischen von Gabriele Podzierski
Griechen sind ganz verrückt nach Süßigkeiten. Die Lust darauf saugen sie wahrscheinlich schon mit der Muttermilch ein. Viele griechische Kinder sind zu dick, und es ist schockierend zu sehen, welch’ Unmengen an Schleckereien sie aus einem Shop schleppen. Die hier beliebteste Nascherei für die Erwachsenen ist „Baklavás“, und davon wird hier mindestens soviel gegessen wie gegenüber in der Türkei. Den
Touristen ist „Baklavás“ zu süß, und dieses Gebäck ist wirklich reichlich süß, aber es gibt durch den Honig und die Nüsse das Gefühl, sich trotzdem gesund zu ernähren. Eine andere traditionelle Süßigkeit ist der „Süße Löffel“ („Glika Koutaliou“). Ist man in einem griechischen Haus das erste Mal zu Besuch, bekommt man diese Köstlichkeit auf einem kleinen Teller serviert, dazu einen Kaffee und ein Glas Wasser. Sie besteht aus Gemüse oder Früchten, eingelegt in Zuckerwasser. Feigen, Pistazien,
Walnüsse, Aprikosen, aber auch Tomaten, Zitronen und Kürbisstückchen finden so ihren Weg zum Zuckertopf. Das Beste, was ich je gegessen habe, waren eingemachte Zitronen. Der frische saure Geschmack der Zitrone, verbunden mit der Süße des Zuckers, hinterließ bei meinen Geschmacksnerven einen unvergesslichen Eindruck. Leider ist aber diese Variation nicht so oft zu finden. Die gängigsten „Süßen Löffel“ sind die, hergestellt aus grünen Tomaten, Feigen, Kürbis oder Pistazien. Letztere sind meine Favoriten.
Wie glücklich war ich, als ich in der Nähe unseres Hauses einen Pistazienbaum entdeckte. Sofort plante ich, aus den Früchten die geliebten „Glika Koutaliou“ zuzubereiten und dann natürlich auch diese Knabbereien, die einfach zum kühlen Drink gehören. Aber, ich hatte mich zu früh gefreut. Zunächst stellte sich heraus, dass der Baum verwildert ist und nur wenig Früchte trägt. Letztes Jahr im Mai pflückte ich dreiviertel der Früchte, als sie noch grün waren. Für die Herstellung von „Glika
Koutaliou“ dürfen sie nicht reif sein und müssen ihre typische Form und ihren Eigengeschmack besitzen. Nun, ich hatte eine Ausbeute von meinem Lieblings-Candy, die in ein kleines Schüsselchen passte, aber es war sooo köstlich. Im September erntete ich dann die restlichen Pistazien. Sie waren nun reif, die äußere Schale war aufgebrochen, und die Nüsse lugten heraus. Ich trocknete sie in der Sonne, in der Hoffnung, sie würden sich in diese Pistazien verwandeln, die man fertig im Geschäft zu kaufen
bekommt: Mit offener Schale und einer leuchtendgrünen Nuss innen. Aber, als die äußeren Hüllen schon ohne Probleme zu entfernen waren, blieben die harten Schalen um die Nüsse hartnäckig geschlossen. Ich habe sie geröstet, wieder in die Sonne getragen, abermals geröstet und noch einmal in die Sonne getragen, wiederum geröstet und wieder in die Sonne getragen...ohne Erfolg. Ich habe wirklich alles versucht, und noch heute bin ich auf der Suche nach dem Geheimnis, wie man die Frucht in die herrliche Drink-Beigabe verwandelt.
Dieses Jahr habe ich einen ganzen Garten voller Pistazienbäume entdeckt. Ich mag diese Frucht so sehr, dass ich einen großen Sack voll gepflückt habe, um sie in die geliebte Leckerei zu verwandeln. Tja, aber ich hatte vergessen, wie es mir im vorigen Jahr gelungen ist. So bekam ich ein Rezept dafür von einer griechischen Freundin. Ich wunderte mich jedoch, dass ich mich an rein gar nichts erinnern konnte, was dort geschrieben stand. Ich sollte die Früchte anstechen und in heißem Wasser kochen, bis die Haut sich löst...??? Haut? Ich habe
noch nie gesehen, dass eine Pistazie eine äußere Haut hat. Es war so ein Tag, an dem eine Hitzewelle über die Insel schwappte. Ich hantierte mit 3 riesigen Kochtiegeln in der Küche herum. In dem einen waren die Pistazien, an denen ich noch immer keine Haut entdecken konnte, in dem anderen vergnügte sich der Zucker mit Wasser und in dem dritten Tiegel standen die kleinen Töpfchen in heißem Wasser, in die die süße Masse schließlich eingefüllt werden sollte. Ich verbrannte mir die Finger, als ich die
kochendheißen Pistazien nach der Haut absuchte, ich verbrannte mir die Nase als ich überprüfen wollte, ob aus Zucker schon Sirup geworden war...es verdarb mir nicht meine Freude, obwohl mir der Schweiß in Strömen vom Köper rann. Dann, nach einer Zeit, die mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam und ich kurz davor war, aufzugeben, entdeckte ich erstaunt dünne weiße Häutchen, die sich von den Pistazien lösten. Ich stand bereits in einer Wasserlache, aber ich war so vertieft in meine Tätigkeit, dass es mir
gar nicht in den Sinn kam, dass diese Feuchtigkeit von etwas anderem herrühren könnte, als von dem Wasser, mit dem ich mir die verbrannten Finger und die Nase kühlte. Überglücklich schüttete ich die Früchte mit den Häuten in ein Sieb, schaltete die Herdplatte unter dem Tiegel mit der Zuckermasse aus, da sie wie Sirup aussah, und dann, dann drehte ich mich um... Die ganze Küche stand unter Wasser! Ich verstand es erst einmal gar nicht, bis ich in das Behältnis schaute, in dem die Töpfchen standen. Sie waren fast angebrannt, das gesamte Wasser war verdampft. Ich nahm sie – so kochendheiß wie sie waren –
heraus und füllte Wasser nach. Tropf, tropf, tropf... ein Loch war im Tiegel! Dies hatte zur Folge, dass ich in glühender Hitze die Küche trocken wischen musste. Und das war leider nur der Anfang...Wie, um Himmels willen, sollte ich die Haut von unzähligen Pistazien kriegen? Das war eine Arbeit, die den Schweiß genauso schnell von meinem Körper tropfen ließ, wie das Wasser aus dem löchrigen Kochtopf. Jede einzelne Pistazie musste ich vorsichtig abreiben, um die Haut zu entfernen. Als ich es
geschafft hatte, die kleinste meiner Schüsseln zu füllen, war es mit meiner Ausdauer vorbei. Dann, als ich den Deckel vom Tiegel mit dem erwarteten Sirup nahm, musste ich feststellen, dass sich darin nur Zucker befand. Ich hatte alles wahrscheinlich zu gut gekocht, so dass es sich in einen harten Klumpen verwandelt hat. Das war der Moment der Aufgabe! Ich schmiss verzweifelt die Deckel auf die Töpfe, floh zu Freunden und weinte bitterlich. Am folgenden Tag, das Thermometer zeigte 37 Grad im Schatten
an, entfernte ich wütend die restlichen kleinen Häutchen, die mich stundenlange Schweißausbrüche gekostet hatten, braute aus sämtlichen Zuckervorräten, die das Haus hergab, einen Sirup, sterilisierte 3 kleine Schüsselchen in einem anderen Topf und füllte sie mit Pistazien. Bei einer Kostprobe erwiesen sie sich immer noch als reichlich hart, wahrscheinlich hatte ich sie zu spät geerntet. Ich ließ die Schüsseln auskühlen, und dann stellte ich sie so weit weg, dass ich sie nicht mehr sehen musste. Kann sein, dass ich eines Tages eine Überraschung erlebe und die Früchte in ein paar Monaten butterweich sind,
zumal, wenn man an all die Tränen denkt, die darüber geflossen sind. Ich bin mir sicher, dass ich letztes Jahr, als ich das erste Mal „Süße Löffel“ aus Pistazien machte und sie mir so herrlich gelungen sind, ein anderes Rezept hatte. Denn hätte ich mich daran erinnert, dass ich dünne Häutchen zu entfernen habe, dann, glauben Sie mir, hätte ich niemals einen so großen Beutel voller Pistazien gesammelt.
Nun sind die Temperaturen wieder normal geworden, die Tränen sind getrocknet, und ich halte nach einer neuen Rezeptur Ausschau. Mit diesen neuen Erkenntnissen werde ich dann erneut die Pistazien in Angriff nehmen und sie in schmackhafte Nüsse verwandeln, die ich zum Drink reichen werde. Tja, das Leben ist schwer in der griechischen Küche, besonders, wenn es sooo heiß ist... Copyright ©Julie Smit 2006
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