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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
3.April 2006 - Lieder von Lesvos
Aus
dem Englischen von Gabriele Podzierski
Wenn man im Frühling über die Insel wandert, die lieblichen Hügel um Lisvori und die bunt gefärbten Weiden unter den Olivenbäumen in der Gegend von Tsonia bewundert, sich an den saftig grün gefärbten Bergen über Plomari erfreut, entzückt ist von den himmelblauen Lupinen, lilienweißen Margeriten, leuchtendgelben Senfblumen und blutroten Anemonen, dann, wenn man sich im Paradies wähnt und in der zeitlosen Landschaft auflebt, ist es nicht schwer, sich vorzustellen, dass vor 26 Jahrhunderten hier eine Poetin lebte, die
nie in Vergessenheit geriet. Die meisten Menschen haben schon von ihr gehört: Sappho aus Lesvos. Viele ihrer Werke haben die Geschichte nicht überlebt. Kriege und fremde Herrscher vernichteten viele kulturelle Schätze, und auch die Worte der Sappho, die in der Antike von so vielen Schriftstellern als große Lyrikerin verehrt wurde. Nur 4 vollständige Gedichte der Sappho sind unversehrt geblieben,
daneben auch zahlreiche Gedichtfragmente. All diese sind Zeugen von der unbeschreiblichen Schönheit ihrer Werke. Bis in unsere Zeit sind die Arbeiten dieser Frau von Lesvos eine beliebte Quelle für Forschungen, und Jahr für Jahr versuchen Übersetzer, ihre Verse von der ursprünglichen äolischen Fassung in die heutige Sprache zu übertragen. So sind die Gedichte der Sappho auch für den Leser der Neuzeit zugänglich, und die Gelehrten bleiben eifrig dabei, dem Leben der Sappho auf den Grund zu gehen.
Wieder und wieder bringen archäologische Funde Textfragmente der Sappho zu Tage, wie erst kürzlich auf einem Papyrus in Ägypten. Die Meinung der Forscher geht jedoch bezüglich vieler Geschehnisse im Leben der Sappho auseinander: War sie verheiratet? War sie Mutter einer Tochter (Kleïs)? War sie lesbisch, oder stürzte sie sich gar von einem Felsen, weil ihre Liebe zu einem Mann nicht erwidert
wurde. All dies ein Mysterium. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass Sappho eine Art schulisches Institut für Mädchen leitete, in dem nicht nur die Poesie, sondern auch Tanz und Gesang unterrichtet wurde. Letzte Woche besuchten wir die heißen Quellen von Lisvori. Während ich es genoß, in dem warmen Wasser zu liegen, dachte ich an Sappho. Die eindringenden Sonnenstrahlen, die die aufsteigenden Nebelschwaden durchbrachen und das Wasser berührten, ließen das 500 Jahre alte Badehaus zeitlos
erscheinen. Hat auch Sappho ihre Zeit in einem Badehaus verbracht? Hat auch sie dem Gesang der Vögel gelauscht und diese friedvolle Stimmung genossen? Draußen hatten junge Leute ihre Instrumente ausgepackt und begannen darauf zu spielen. Da war keine Sappho, die die Melodien mit ihren Versen schmückte, obwohl das Thermalbad von Lisvori zeitweise an einen Konzertsaal erinnerte. Zu Zeiten der Sappho war Lesvos ein Zentrum für Kultur und Kunst, so wie die Hauptstadt des Lydischen Reiches, Sardes. Auch
Sappho hat diese Stadt besucht. Die dortigen Ausgrabungen, nicht allzu weit von dem alten Smyrna (das heutige Izmir) in der Türkei, brachte ein riesiges Badehaus zum Vorschein, mit prächtig verzierten Säulen und kunstvollen Mosaikböden. Diese Pracht ist natürlich heute nicht mehr in den einfachen Badehäusern auf Lesvos zu finden, jedoch das unbeschreibliche Gefühl von Wohltat und Ruhe, dass den Körper durchströmt, wenn man in dem warmen Wasser liegt, dass einen umspielt, vermittelt ein Gefühl von
Ewigkeit. Weit entfernt war diese Ruhe letzte Woche, als wir uns auf den Weg nach Tsonia machten und ich etwas in Panik geriet. Ein befremdendes Gefühl überkam mich, ich setzte meine Sonnenbrille auf und ab, aber egal wie, das Tageslicht verdunkelte sich ungewöhnlich. Gegen 13.30 Uhr schoben sich zwar einige Schleierwolken vor die Sonne, aber das allein konnte nicht der Grund für das eigenartige Licht sein. Der schreckliche Gedanke zu erblinden schoss durch meinen Kopf...dann, plötzlich fiel mir
ein, dass eine Sonnenfinsternis angekündigt war, die im Süden der Türkei am besten zu sehen sei. Wir hatten das komplett vergessen. Am anderen Ufer des Meeres lag nun die Türkei in völliger Dunkelheit, und das Licht auf unserer Insel konnte man am besten mit dem Wort „gespenstisch“ beschreiben. Ohne das Wissen über dieses Naturereignis, hätte man meinen können, die Welt ginge unter. 5 Jahre nach Sapphos Tod, im Jahre 585 nach Christus, als König Alyattes II. von Lydien schon seit Jahren mit dem
Mederreich Krieg führte, fand die Schlacht von Hadys (das heutige türkische Kizilirmak) statt. Sie fand ihr jähes Ende, als sich auch dort damals die Sonne verdunkelte. Man glaubte an ein Zeichen Gottes, den Krieg zu beenden. Frieden wurde geschlossen, und der Fluß Haydes stellte die Grenze zwischen Lydien und dem Mederreich dar. Sappho, die sicher von dem Krieg gehört hatte, lebte nicht mehr, als die Sonnenfinsternis stattfand. In ihren Versen erzählt sie jedoch von tapferen Kriegern, die kamen und
gingen. Das ist nichts Neues unter der Sonne. Auch zu ihrer Zeit wurden Schlachten geschlagen und Krieger in ferne Länder gesandt. Im Gegensatz zu den Schreibern und Dichtern der damaligen Zeit – meist Männer, die über Götter und ihre Heldentaten berichteten, Kriege verklärten und Schlachten hoch priesen, vermied Sappho es, die Politik in ihre Texte einzuflechten. Sie war eine der Ersten, deren Werke Gefühle, wie Verlangen, Sehnsucht, Liebe, Eifersucht, etc. zum Inhalt hatten.
„Liederen van Lesvos“ („Lieder von Lesvos“, herausgegeben von Meulenhoff/Manteau) heißt das Buch von Paul Claes mit der neuesten holländischen Übersetzung der Gedichte der Sappho. Es basiert auf der Übersetzung der Arbeit von David A Campbell. Es sind zwar keine Lieder über Lesvos, aber die Verse haben eine solch magische Aussagekraft und umfangen einen so, wie die Natur es hier tut. Sie rufen nach Aphrodite, die Göttin der Liebe, sie sind eine Ode an Braut und Bräutigam, an geliebte Schüler und schöne Jünglinge. Und
gerade weil ihre Werke unvollständig sind, sind die Worte der Sappho für die Ewigkeit gemacht. „A beautiful shild is mine, Formed like a golden flower, Cleis the loved
one. And above her I value Not all the Lydian land, Nor lovely Hellas.” Aus: Sappho: one hundred lyrics,
by Bliss Carman (internet) “Jij bent mijn mooie meisje, Je lijkt enn gouden ruiker, mijn
allerliefde Kleis, voor jou gaf ik heel Lydie en het lieflijke Lesbos weg…” Aus: Liederen van Lesbos, vertald
door Paul Claes,
Meulenhoff /Manteau Copyright ©Julie Smit 2006
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