Molyvos (Mithimna)

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BOULEVARD NEWS AUS LESVOS

 

Die Farben Griechenlands

26.Juni 2006 - Helden

Aus dem Englischen von Gabriele Podzierski

Bin ich froh, dass ich in diesen Tagen nicht in Holland bin. Dort scheint das Fußballfieber ausgebrochen und das gesamte Land in orange getaucht zu sein. Hier, in Griechenland, ist alles blauweiß und auf Lesvos kommt, dank der üppigen Natur, auch noch grün hinzu. Blauweißes Meer beim Wellenspiel, blauweißer Himmel, wenn die Wolken über grüne Bäume ziehen. Hier ist es nicht nötig, die Straßen in den Nationalfarben zu schmücken, wenn ein Fußballspiel ansteht, denn wie die Farben der griechischen Flagge, erstrahlt hier alles jederzeit überwiegend blau und weiß. Auch haben sich die Griechen nicht vom Fußballfieber anstecken lassen, denn obwohl Europameister, haben sie die Teilnahme an der Weltmeisterschaft verfehlt.

Aber anders in Molyvos: Um Gäste anzulocken, haben viele Cafés, Tavernen, etc. einen Riesen-Bildschirm auf der Terrasse aufgebaut, so dass sich Menschen dort versammeln und gemeinsam den rollenden Ball verfolgen können. Wann immer ein Tor für Deutschland, Holland oder England fällt, hört man – genau wie in Amsterdam – aus jeder Ecke Jubelschreie. Treffen Länder, wie z.B. Ghana, Korea oder Portugal, bleibt es still, denn Touristen von dort sind hier nicht vertreten. 

Ich habe das gute alte Radio wiederentdeckt. Ich mag mir kein Spiel im TV ansehen, es ist mir einfach zu öde. Läuft Fußball auf dem Bildschirm, beschäftige ich mich unentwegt mit anderen Dingen, was auch gut so ist, denn ansonsten würde ich aus lauter Langeweile nur dumme Kommentare zum Spielverlauf abgeben. Jedoch einen Wettstreit über das Radio zu verfolgen, ist etwas anderes. Die Reporter können vor lauter Begeisterung nicht schnell genug sprechen und ihre Stimmen überschlagen sich, wenn sie jedes  Detail, das sie auf dem Spielfeld sehen, dem Zuhörer übermitteln. Es macht mir Spaß, ihrem aufgeregten Redeschwall zu lauschen. 

Gestern habe ich mich jedoch überreden lassen, mit ins Dorf zu gehen, wo am Abend Freunde zusammenkamen, um im „Resalto“, dem Café von Josif, das Spiel Holland gegen Portugal zu verfolgen. Genau wie Josif, einige griechische Gäste und auch unsere deutschen Freunde, trugen die Anwesenden T-Shirts in orange. Das einfarbige Heer war jedoch schlagartig still, als die Mannschaft Portugals den ersten Treffer erzielte.  

Und da saß man nun in großer Gemeinschaft direkt unter den Sternen. Prächtig schillerten die Lichter vom Hafen herüber, während die Menschen stur auf den Bildschirm starrten, anfänglich voller Hoffnung, die jedoch ganz allmählich verflog und in den zauberhaften Nachthimmel aufstieg. 

Ich war glücklich, in Doro jemanden gefunden zu haben, dessen Fußballbegeisterung sich auch in Grenzen hielt. So steckten wir flüsternd die Köpfe zusammen und erfreuten uns am Lichterspiel des Hafens. Zum ersten Mal in ihrem Leben, erblickte Doro eine Sternschnuppe. Ich habe schon des Öfteren ein Stern vom Himmel fallen sehen, aber jedes Mal vergesse ich, mir etwas zu wünschen.  

Ich habe Doro noch sagen wollen: „Wenn Du jetzt auf den Bildschirm schaust“ (wo kräftig mit gelben und roten Karten gewunken wurde), „ kannst Du auch Sterne fallen sehen, nämlich 22 an der Zahl + Schiedsrichter. Also, wenn es das ist, was man unter Spitzensport versteht, so kann man von mir aus Fußball abschaffen.“ Aber ich hab mich dann doch nicht getraut, denn die Gesichter um mich herum sahen allzu grimmig aus. 

Mehr und mehr fingen die Zuschauer an zu johlen, wenn sich mal wieder ein Spieler der portugiesischen Mannschaft auf den Rasen legte, und nach und nach hörte man auch ein Gekicher, als würde eine Slapstickkomödie dargeboten. Langsam jedoch machte sich Spannung breit, denn ein jeder sehnte den Sieg für Holland herbei, zumal das Oranje-Team in den letzten Minuten wirklich alles gab, um das Blatt noch zu wenden. 

Heute habe ich die Ilias von Homer gelesen, umgesetzt in eine moderne Fassung von dem italienischen Schriftsteller Alessandro Baricco. Auf dem Schlachtfeld vor Troja standen sich auch zwei Streitmächte gegenüber. Ohne Gnade fielen diese griechischen Helden übereinander her. Während sich die Kämpfe beim Lesen vor meinem inneren Auge abspielten, musste ich an das gestrige Fußballspiel denken. Hätten sich die Spieler in einer Arena oder vor den Toren Trojas gegenüber gestanden... mit freudigen Herzen hätten sie sich gegenseitig erschlagen.  

Damals gab es kein TV, und so hat man sich Geschichten erzählt. Die Schlacht von Troja wurde nicht auf Celluloid gebrannt. Ich frage mich, was das für Bilder gewesen wären, wenn man das gefilmt hätte? Wer weiß, wie viele gelbe und rote Karten dort verteilt worden wären? Womöglich hätte es dann aber auch keine griechischen Helden gegeben. Wir müssen uns mit den mündlichen Überlieferungen zufrieden geben, vermischt mit den Auslegungen und eigenen Ansichten des jeweiligen Erzählers. So entstanden sie nun, die Heldensagen über Achilles, Ajax und Odysseus. So großartig, wie von den Schreibern dargestellt, waren diese Männer bestimmt nicht. Die Wettkämpfe des Fußballs müssen nicht mehr nacherzählt werden, jeder kann sie mit eigenen Augen verfolgen. Es ist nun nicht mehr möglich, all die Fouls als Heldentaten auszulegen. 

Mehr als einem Holländer stieg gestern, angesichts des schlechten Spiels, die Schamesröte ins Gesicht. Es gibt Fußballer, die zu Helden wurden, so wie Cruijff oder Maradonna, um nur zwei zu nennen. Dieses Mal war da nicht ein Spieler, der Anspruch auf den Heldentitel hätte erheben können. Hätte das Match in früheren Zeiten stattgefunden,  hätte man das unfaire Nachtreten, Zerren und Schubsen zurechtbiegen können, in tapferes Wohlverhalten. So hat aber ein jeder das Spiel mit eigenen Augen verfolgen können, und die Spieler wurden mit  „rot“ bestraft.  

Das nächste Mal werde ich wieder vor dem Radio sitzen. Auch wenn der Reporter versucht, nur das beste vom Spiel zu übermitteln, kann ich mir meinen eigenen Eindruck machen oder mir gar die Ohren zuhalten, wenn wieder zu viele bunte Karten gezeigt werden. Dann brauche ich mich auch nicht zu schämen, wenn im Namen „Oranje“ Spieler foulen und unfair sind.

Im Dorf hat sich nun ein Vakuum aufgetan. Niemand will für die ewigen Helden von Deutschland, Brasilien oder Italien jubeln. Manch ein Grieche würde sich gerne hinter Australien stellen, da er dort einige Zeit gelebt oder jetzt noch Familie wohnen hat, aber so wie die Holländer, sind auch die Australier schon ausgeschieden. Nun, wen wird man demnächst bejubeln, auf den Terrassen unter dem prachtvollen Sternenhimmel von Molyvos?

Copyright ©Julie Smit 2006