|
|
BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Die erste
Mandelblüte in diesem Jahr
2.Januar 2006 - Heimweh
Aus
dem Englischen von Gabriele Podzierski
Bei dieser Gelegenheit möchte ich mich zunächst
bei all meinen Gastgebern entschuldigen, an deren Tischen ich während der
Festtage wunderbar gespeist habe. Sie haben uns und unsere Freunde gründlich
verwöhnt. Nun, ich will ja nicht undankbar erscheinen, aber manchmal vermisse
ich ein paar Dinge.
Manchmal fehlt mir ein 5-Gänge-Menü, das
sich über den ganzen Abend hinzieht: Angefangen mit einem festlichen Salat,
verfeinert mit Nüssen, Pastete oder Fisch oder Kaviar oder Pilzen. Danach eine
Cremesuppe oder eine heiße Apfelsuppe, abgekühlt mit einem „Spoom“ (Fruchteis
mit Champagner). Dann als Hauptspeise Wild mit Kartoffelpüree, grünen Erbsen,
Rahmsauce und Preiselbeeren. Tja, und dann als Dessert Mousse au Chocolat,
gefolgt von gutem französischem Käse, und zum guten Schluß noch ein
Mandarinchen. Dies alles serviert mit weißem und rotem Wein, etwas Champagner
zum Dessert und eventuell einem Glas Portwein zum Käse. Ach ja, das gute alte
Weihnachts-Dinner... Die Griechen kochen wirklich sehr gut, aber sie sind keine
kulinarischen Abenteurer.
Lesvos unterscheidet sich in der
Weihnachtszeit sehr von den Niederlanden. Zwar sieht man draußen mehr und mehr
beleuchtete Rudolphs, Weihnachts- und Schneemänner, Christbaumkugeln, aber in
den Häusern, mit Ausnahme einiger gefälschter Weihnachtsbäume (der echte gut
riechende Tannenbaum wächst auf der Insel nicht) findet ein ziemlich anderes
Weihnachten statt. Man kennt nicht die fantastischen Weihnachtsplätzchen,
Marzipan- und Schokoladenkugeln für den Baum oder gar ein „büche de Noel“.
Natürlich werden hier für die Festtage Plätzchen
und Kuchen gebacken, und sie sind auch sehr gut im Geschmack, aber sie
unterscheiden sich nicht von irgendeinem anderen Festtagskuchen.
In der orthodoxen Kirche begeht man die
Mitternachtsmesse zu Ostern und nicht zu Weihnachten. Zwar gibt es eine Messe um
5 Uhr morgens, also zu einer Zeit, zu der alle, die Weihnachten lieben, mit
Sicherheit noch schlafen. Das Jesuskind ist ganz sicher nicht in Griechenland
geboren, denn hier kennt man nicht die Nachmittagsmesse, in der man das
Jesuskind in den Schlaf wiegt, und gänzlich unbekannt ist das nächtliche
Weihnachtsfrühstück.
Am Weihnachtsabend laufen sehr wunderliche
Weihnachtsshows im TV, mit viel
Musik, frivolen Hostessen und Teller werfendem Publikum. Ich bin mir sicher,
dass in der Heiligen Nacht die meisten Bewohner hier auf der Insel wie
festgeklebt am TV verweilen.
Anstatt Weihnachtsfrühstück mit den
unentbehrlichen Wurstbrötchen, wie sie in meiner Familie jedes Jahr auf den
Tisch kamen, und Weihnachtsbrot mit Mandelspeise, gehen die Griechen ab 12 Uhr
mittags direkt zum Weihnachtsessen über, welches das Mittagessen ist. Die
Fastenzeit steht vor der Tür, so dass Berge von Fleisch während der
Weihnachtstage verzehrt werden. Jedoch keine 3-, 4- oder gar 5-Gänge-Menüs,
nein, ein alltägliches griechisches Essen
wird serviert, mit der einzigen Besonderheit, dass eine Menge Fleisch dabei ist.
Das typische Weihnachtsmahl ist
Schweinefleisch mit Staudensellerie. Ein ordentliches und gesundes Essen,
welches nicht mit Sahne oder Alkohol angemacht wird. In den meisten Haushalten
wird es zusammen mit Truthahn und Rindfleisch gereicht. Ergänzt wird die
Fleischmahlzeit durch die griechische Vielfalt an pikanten Beilagen, wie
Tarama-Salat, Marouli-Salat, gebackenem Käse, Nudel- und Kartoffelsalat, usw.
Die Griechen sind nun so gar keine
Glanzlichter in Sachen Dessert, und das gilt auch für Weihnachten. Selten
findet man einen guten Pudding, ein Schokoladenmousse, eine Fruchtcreme oder Eis
als Nachspeise. Hier wird Gebäck, Kuchen oder Obst serviert. Wohlverstanden:
natürlich ohne Sahne.
Also: Um ein richtiges Weihnachtsessen zu
genießen, sollte man nicht nach Griechenland kommen, auch wenn der Koch alles
gibt, um die allerbesten Speisen zu
servieren. Niemals habe ich mich über die großartige griechische Küche
beschweren können, das was ich vermisse, ist die Abwechslung. Selbst bei
Hochzeiten oder anderen großen Festen weicht man keinen Zentimeter von der
traditionellen Küche ab.
Selbst die Neujahrstraditionen sind ziemlich
langweilig auf dieser Insel. Hier kennt man kein Öl-Gebäck oder Apfeltaschen,
wie in Holland, oder Austern, wie in Frankreich, und auch kein ohrenbetäubendes
Feuerwerk um 24 Uhr. Allein der berühmte „Drei-Königs-Kuchen“ (Vasilopita),
der nach den Mahlzeiten gegessen wird, ist Tradition: Eine eingebackene Münze
soll dem Finder Glück bringen.
Als wir vor einigen Wochen mit einigen
Freunden, kurz vor ihrer Abreise nach Berlin, beim Essen zusammen saßen,
bekam ich etwas Heimweh. Ich konnte die belebten und hell erleuchteten
Straßen in Berlin vor mir sehen, erinnerte mich an fantastisch dekorierte
Schaufenster in New York, wo ich einige Weihnachten verbracht habe, konnte den
Duft der Tannenbäume riechen, die an jeder Straßenecke in Paris bis spät in
den Heiligen Abend verkauft wurden, stellte mir die hastenden Menschen vor, wie
sie die Grachten von Amsterdam überquerten und in die Geschäfte eilten, um
rechtzeitig alles für das Weihnachtsessen zu bekommen... Kurzum, ich versank in
ein Weihnachtstief.
Erneut ergriff mich das Heimweh, als große
Teile Europas mit einer wunderschönen Schneedecke überzogen waren. Ich war
schon glücklich mit einem bisschen Schnee, der zu Weihnachten auf dem Gipfel
des Lepetimnos (höchster Berg auf
Lesvos) zu sehen war. Jedoch die stimmungsvollen Schneehügel in den Grachten
von Amsterdam sind nun mal was ganz anderes.
Mit Schmerzen im Herzen schaute ich mir die
märchenhaften Schneelandschaften im TV an. Tränen standen mir in den Augen,
beim Anblick von Menschen, die vor ihren Haustüren hohen Schnee schippten, von
Schlittschuh fahrenden Kindern und traditionellen Schneemänner. Um die
Weihnachtszeit war es auf Lesvos eiskalt und mausgrau.
In Holland sagen wir: „Wer zuletzt lacht,
lacht am besten.“ Alles war vergessen, dank einem herrlichen Tag am 1. Januar.
Ein strahlend blauer Himmel und eine warme Sonne kündigten den Frühling auf
Lesvos an. Mandelblüten öffneten ihre rosa-weißen Blüten, und auch die
Anemonen, die schon weit vor Neujahr aus dem Boden gekommen sind, zeigten nun
ihre zarten Blütenblätter, um der Welt ein gutes Neues Jahr zu wünschen. Nun,
in welch herrlicher Schneedecke Europa auch immer gehüllt sein mag, wo in
Europa kann man sonst am Neujahrstag draußen in der Sonne frühstücken, den
betörenden Duft von Narzissen genießen und die Lämmer in den Sonnestrahlen
rumtollen sehen? Dies lässt schnell Feuerwerk und Heimweh vergessen.
Mein Weihnachtstief hielt dank eines
Freundes aus Holland nur kurz an. Er verwöhnte uns nicht nur durch seine
Anwesenheit hier, sondern auch mit einem riesigem Berg von Weihnachtsleckereien,
die so schnell weg waren, wie Schnee in der Sonne. Solange, wie wir so wunderschöne
Tage hier haben, brauche ich kein verschneites Holland mit all seinen 5-Gänge-Weihnachtsmenüs.
Für mich hat das Neue Jahr großartig begonnen und nächstes Weihnachten, werde
ich selbst kochen.
Copyright ©Julie Smit 2006
|