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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Relief von Giorgos Sykomitellis
27.Februar 2006 - Vögel und Delphine
Aus
dem Englischen von Gabriele Podzierski
Langsam hält der Frühling Einzug auf der Insel. Einige heftige Regengüsse verwandelten die Straße zum Hafen, die nun oft für Kraftfahrzeuge gesperrt ist, in einen unpassierbaren matschigen Tümpel. Aber dieselbe Nässe sorgt nun mal auch dafür, dass es zur Zeit in der Natur in einem ungeheurem Tempo sprießt und grünt. Das sowieso schon grüne Lesvos wird jetzt noch grüner. Vielleicht hat ein Flüchtling aus
Afghanistan den Frühling im Kopf gehabt, als er beschloss, von der Türkei nach Lesvos zu schwimmen. Doch die Wärme der Sonne unterscheidet sich derzeit ziemlich arg von dem noch immer eiskalten Meer. Der Mann hat mit einer Lungenentzündung und den Anzeichen einer Grippe überlebt. Logisch, werden Sie sagen, aber die Autoritäten hier denken anders: Da er aus einem „ansteckenden“ Land kommt, musste er vorsichtshalber in Quarantäne, um sicherzugehen, dass er nicht mit dem Vogelgrippe-Virus infiziert ist. Bisher ist noch kein Fall dieser Krankheit auf der Insel aufgetreten. Bleibt abzuwarten, was die
Untersuchung ergibt. Vögel und Delphine haben wir letzte Woche zuhauf gefunden, und zwar auf den wundervollen Holzreliefs des Künstlers Giorgos Sykomitellis. Er kommt aus Kalloni, lebt aber seit 2 Jahren in dem Bergdorf Assómatos, in der Nähe von Agiássos. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass Giorgos dort sehr glücklich ist, so umgeben von all den Wäldern und dem vielen Holz, dass dort zum Aufsammeln überall herumliegt.
Eines seiner Meisterstücke ist ein kunstvoll herausgearbeitetes Altarstück für die „Agia Ana Kirche“ an der Kreuzung in Hafennähe von Skála Kalonis. Um seinen Beitrag für die Kirche zu leisten, schuf er - für nur wenig Geld - ein offenes Altarstück mit einem Reliefbildnis von St. Georg und dem Drachen. Das Dach des fast 2 Meter hohen Objekts, ist geformt aus dicken Ästen, die ineinander greifen, wie sich tummelnde Delphine. Eine gläubige Dame aus Skála Kalonis erkannte jedoch den Teufel in diesem Kunstwerk, und somit musste es entfernt
werden. Nun steht es wie eine geweihte Reliquie in Giorgos Atelier in Assómatos. Im Gegensatz zu den Tischlern in Agiássos, die auch Holz aus Kanada und anderen Ländern verarbeiten, benutzt Giorgos ausschließlich das Holz der Insel, wie zum Beispiel von dem Olivenbaum, der Kastanie und der Pinie, je nachdem, was ihn mehr anspricht. Er gebraucht die Astknoten als Ausgangspunkt für seine Entwürfe. Sie stellen die Augen von Vögeln, Drachen und Delphinen dar oder gar ganz frech, die Brustwarzen einer
Frau. Er fertigt Kisten, die wie quadratische Comics zu lesen sind, er schnitzt streng dreinschauende Gesichter von Männern, die zwar Bärte wie Popen haben, aber mehr die Ausstrahlung eines Bodhisattwa (buddhistischer Heiliger). Er schafft beeindruckende Holzarbeiten von Vögeln, Delphinen und Fischen, die auf der Wand zu schwimmen scheinen. Kurzum, ein Besuch in seinem Atelier ist bestimmt einen kleinen Umweg wert, wenn Ihr Weg sie einmal nach Agiássos führt. Wir haben keinen kleinen, sondern
einen großen Umweg gemacht, um den Künstler zu besuchen, und zwar durch die Berge Richtung Milies und nach Plomári, wo das leuchtend blaue Meer uns an den Sommer denken ließ. Von Melinda aus ging es nach Paleochóri, wo es einen Bäcker gibt, der das Brot noch im Holzofen backt. Für dieses schmackhafte, köstliche Brot und das ursprüngliche alte Lädchen, lohnt sich wirklich jeder Umweg. Wir setzten unsere Fahrt fort nach Megalochóri, wo es die besten Paidakias (Lammkoteletts) und einen großartigen Ladotiri (in Öl eingelegter Ziegenkäse) gibt. Bevor wir dann letztendlich Giorgos und seine wunderlichen
Holzarbeiten zu sehen bekamen, wurden wir hoch in den Bergen auch noch überrascht von „Zweiblütigen Krokussen“ (Crocus biflorus) und „Türkischen Schneeglöckchen“ (Galanthus elwesii), die so atemberaubend schön sind, mit ihren schaukelnden leuchtend weißen Blütenköpfchen. Wir durchquerten das Gebiet rund um Megalochóri, welches durch ein am 15. August 1994 ausgebrochenen Waldbrand ganz und gar verwüstet wurde und der auch die Berggipfel völlig kahl zurückließ. Elfeinhalb Jahre später, ragen immer noch schwarze Baumstämme wie
abschreckende Zeichen der Vergangenheit in den Himmel. Direkt neben ihnen wachsen kleine Bäumchen und andere grüne Strauchgewächse heran. Diese überwältigende Natur, mit ihrer rauen Berglandschaft und den friedlichen grünen Weiden, lässt uns spüren, dass sie nicht so schnell klein zu kriegen ist und auch der Mensch nicht, was die blutige Historie der Insel zeigt. Man sagt, dass die Vogelgrippe kommen wird... aber das Leben geht weiter. Mit Sicherheit! Copyright ©Julie Smit 2006
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