Molyvos (Mithimna)

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BOULEVARD NEWS AUS LESVOS

 

Das alte türkische Kurhotel in Thermi

7.Februar 2006 - Hüzün

Aus dem Englischen von Gabriele Podzierski

Nachdem wir einige Tage herrlichstes Frühlingswetter genießen konnten, sind nun wieder bitterkalte Tage eingekehrt, mit Schnee, fast bis hoch nach Molyvos, und der gut bekannte harte Nordostwind weht. Obwohl ganz Griechenland wegen des Handy-Abhörskandals auf dem Kopf steht,  bleibt in den Nachrichten noch genügend Raum für den erneuten meterhohen Schneefall im Norden und in der Mitte des Landes. Dabei werden auch nicht die Bilder aus dem Nachbarland Türkei vergessen, das größtenteils noch stärker betroffen ist. In diesen Tagen sieht man die Hauptstadt Istanbul von den schweren Schneefällen stark beeinträchtigt.  

Wer das Buch „Istanbul“ von Orhan Pamuk gelesen und nebenbei auch gut angesehen hat, weiß, dass Schnee in Istanbul keine Neuigkeit ist. Neben den leidenschaftlichen Erzählungen von Orhan Pamuk über seine geliebte Stadt, in  der er geboren ist und immer noch lebt, enthält das Buch viele schwarz-weiß Fotografien, die mehr als einmal zeigen, dass der Schnee die Stadt schon seit Menschengedenken heimsucht. 

Dieses Buch, in dem Orhan Pamuk die Zeit seiner Jugend beschreibt, ist vor allem eine Ode an eine Stadt, die, nach seinen Worten, stark vom Verfall gekennzeichnet ist. Einst war sie die mächtige Hauptstadt des Osmanischen Reiches, mit prächtigen Villen und beeindruckenden Bauwerken. Als Kemal Atatürk im Jahre 1923 den Staat Türkei gründete, wurden viele Ausländer, hauptsächlich Griechen und Armenier, aus dem Land vertrieben oder ermordet. Der Aufbau musste ohne diese erfolgreichen Handels- und Geschäftsleute erfolgen. Ein neues Alphabet wurde eingeführt und versucht, einen möglichst westlich orientierten Staat zu schaffen.  

Orhan Pamuk, 1952 geboren, wuchs auf in einer Stadt, wo prachtvolle Villen für westlich angehauchte Wohnblocks verlassen wurden und wo die großen Landhäuser und Paläste entlang des Bosporus regelmäßig ausbrechenden Bränden zum Opfer fielen. Auch die authentischen Holzbauten, die das Bild vieler Stadtteile bestimmten, brannten ab oder wurden abgerissen. Danach brach eine Bauwut aus, durch die sich Istanbul in rasendem Tempo ausbreitete. Es entstanden neue Gebäude an jedem Fleck, um jeden Preis, neben, zwischen oder entlang alten Festungswerken, oder was immer da noch stand aus der prunkvollen Vergangenheit. Das Lesen von Orhan Pamuks „Istanbul“ lässt Heimweh verspüren nach dieser einst so strahlenden Stadt, ohne je selbst dort gewesen zu sein. 

So ein Gefühl wird hinsichtlich Lesvos nie aufkommen, obwohl diese Insel seinen eigenen Teil von verfallenen Bauwerken früherer Epochen hat. Kein Hüzün, wie Pamuk seine Wehmut nach der vergangenen Zeit nennt, obwohl man die Gebäude vor der Nase verfallen sieht. Weder das alte Kurhotel in Thermi, bei Mytilini, mit seinen großen türkischen Rundbögen, lässt die vergangenen prachtvollen Zeiten in der Phantasie wieder aufleben, noch das langsam verrottende  Hotel „Arion“ an der Straße nach Molyvos, hinter dem Hotel „Delphinia“, lässt das Gefühl von Hüzün nach den guten alten Achtzigern aufkommen. Es ist eher ein ärgerliches Gefühl, das aufsteigt, über eine Gemeindeverwaltung, die so mit ihren Gebäuden und Grundstücken umgeht.  

Man verspürt auch kein Hüzün, wenn man die Bücher von Stratis Myrivilis, einem bekannten Schriftsteller der Insel, liest. Schauplatz seiner Bücher „Die Madonna mit dem Fischleib“ und „Die Lehrerin mit den Goldaugen“ ist Lesvos. Das erste Buch erzählt von Skala Sykaminia, wo um das Jahr 1920 große Gruppen aus der Türkei vertriebener Griechen aufgenommen und in das Leben hier integriert wurden. Das zweite Buch spielt ebenfalls in dieser Zeit und handelt von einem Soldaten, der der Frau seines Kriegskameraden und Freundes beibringen muss, dass dieser gefallen ist. Es waren schwere Zeiten für die Insel, dessen Einwohner erst 1912 ihren griechischen Pass zurück bekommen hatten.  

Da ist kein Hüzün in dem beeindruckenden  Werk „Traum aus Stein und Federn“ von Louis de Bernières, der darin die Vertreibung aller griechischen Einwohner aus einem kleinen anatolischen Dorf beschreibt. Dank diesem spannend geschriebenen Buch, erlangt man eine guten Einblick in das Leben zu Zeiten des Osmanischen Reiches.  Griechen, Armenier und Muslime, alle lebten brüderlich zusammen, und das ohne große Probleme. Der ausdrucksvolle Roman „La masseria delle allodole“ („Das Haus der Lerchen“) von Antonia Arslan, erzählt aus armenischer Sicht von dem Drama der Vertriebenen. Das bezaubernde Buch „Middlesex“ des amerikanischen Schriftstellers Jeffrey Euginides, beginnt mit dem Völkermord und erzählt die Geschichte eines griechischen Geschwisterpaares, das die Schlacht bei Smyrna (dem heutigen Izmir) überlebt und als Ehepaar ins amerikanische Detroit auswandert. Annähernd wird das Gefühl  Hüzün  in dem fast magisch realistischem Buch „The maze“ des griechischen Autors Panis Karnezis beschrieben, obwohl es sich in diesem Fall mehr um Heimweh handelt. Nach dem Krieg geht  eine griechische Armee in den Bergen Anatoliens verloren und taucht letztendlich in einem abgelegenen Dorf wieder auf, an dem der Krieg vorbeigegangen ist.  

Hüzün empfindet man nun einmal nicht in Zeiten des Krieges. Aber das warme Gefühl der Liebe steigt beim Lesen des Buches „Captain Corelli´s Mandolin, von Louis de Bernières, in einem auf. Hintergrund ist der 2. Weltkrieg, eine zu Tränen rührende Liebesgeschichte ist die Handlung. Auch in „In Gestalt eines Ebers“, von Lawrence Norfolk, geht es um den 2. Weltkrieg.  Ein genialer Plot von alten und  neuen griechischen Mythen, die so ineinander spielen, dass es unmöglich ist, dieses faszinierende Werk aus den Händen zu legen. Ein weiterer unvergleichlicher Lesegenuss ist das Familienepos von Zyranna Zanteli „Und beim Licht des Wolfes kehren sie wieder“. Kein Krieg ist Hintergrund, sondern das Leben, das dem Gesetz der Armut unterliegt. Die Geschichte gibt Einblick in die damalige griechische Lebensweise, einem Leben das dem auf dem Land und den Inseln immer noch ähnelt. 

Es gibt zu viele Bücher über Alexander den Großen und die griechische Mythologie. Besonders unterhaltsam ist das Buch „The Songs for the Kings“ des Engländers Barry Unsworth, der den Mythen um den Trojanischen Krieg neues Leben einhaucht. Er beschreibt denkwürdige Szenen, wie die, über den kleinen und den großen Ajax, die versuchen, eine Art Olympischer Spiele ins Leben zu rufen, als ihre Legion gestrandet ist, weil die Götter des Windes ihnen jegliche Hilfe versagen, um nach Troja zu gelangen. 

Es ist offensichtlich: Wir lesen viel in den Zeiten, in denen der Strom ausfällt und wir an den Kamin verbannt sind und auch in den Zeiten, wenn die Sonne ununterbrochen am Himmel steht und man draußen mit einem Buch ihre Wärme genießt. Der Winter auf Lesvos ist sehr abwechslungsreich, und ich hoffe, dass ich mit der Auswahl dieser Bücher, die alle um das griechische Leben ranken, ein wenig Hüzün in Ihnen hervorrufen konnte. 

 Copyright ©Julie Smit 2006