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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Weinende
Ikone in den Niederlanden
16.November 2009 - Die wundersame Welt der blutenden Ikonen
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Kürzlich erhielt ich folgende E-Mail aus Holland:
„Guten Tag, ich habe eine merkwürdige Geschichte zu erzählen. Letzten
Monat bin ich von einer Urlaubsreise aus Rhodos zurückgekehrt. Ich hatte
mir dort eine Ikone gekauft, mit der ich schon im letzten Jahr
liebäugelte, mir aber zu teuer war. Diese Saison konnte ich nicht mehr
widerstehen und das nicht, weil ich so gläubig bin, sondern das
Heiligenbild einfach nur schön fand. Bei meiner Rückkehr hängte ich es
einfach an einen sich schon in der Wand befindlichen Nagel. Kurze Zeit
später fiel mir, etwa 10 – 15 cm unterhalb der Ikone, ein roter Fleck
auf. Sowohl ein Baufachmann als auch ein Maler- und Lackierer, die ich
zu Rate zog, konnten die Flüssigkeit nicht identifizieren. Ein
klinisches Labor, dass ich mit der Untersuchung beauftragte, stellte
fest, dass es kein Blut und schwer wasserlöslich ist. Aber was ist es
denn nun? Freunde auf Rhodos sagen, es sei ein Wunder. Ein orthodoxer
Priester war auch dieser Meinung und segnete die Ikone. Aber das bringt
mit alles nichts, und darum meine Frage an Sie: Haben Sie schon einmal
von ähnlichen Phänomenen gehört und das diese mit Positivität zu regeln
sind?“
Meine Güte, stellen Sie sich mal vor, Ihnen passiert so etwas. Sie
kaufen sich eine Ikone, nur einfach so, weil sie diese bezaubernd
finden, und dann erweist sich das Heiligenbild nicht nur als Kunstwerk
sondern als ein angebliches Wunder. Na klar, in den Zeitungen liest man
häufig von solchen „Erscheinungen“, und diese Artikel bringen Hunderte
von Gläubigen auf die Beine, aber die Absenderin der E-Mail bat darum,
anonym zu bleiben, damit aus ihrem Wohnzimmer, wie sie schrieb, kein
Wallfahrtsort würde. Recht hat sie! Nehmen wir das Beispiel Amerika, wo
regelmäßig Meldungen über blutende Statuen und Heiligenbilder erscheinen
und Massen von Gläubigen, Sensationsreportern und Schaulustigen an den
Ort des Geschehens ziehen.
Während im katholischen Milieu hauptsächlich Erscheinungen und anderen
Sinneswahrnehmungen hinsichtlich der Jungfrau Maria auftreten, ist es
bei den Orthodoxen weitreichender, man berichtet dort auch über
Phänomene, wie z.B. das Bluten, bei anderen Heiligendarstellungen, und
das nicht erst heutzutage, sondern diese Legenden kursieren schon seit
der byzantinischen Zeit. So schrieben drei Patriarchen um das Jahr 861
einen Brief an den damaligen Kaiser Theophilos, in denen von 3 blutenden
Ikonen die Rede war: Einer Marienabbildung auf Zypern, durchbohrt von
dem Pfeil eines arabischen Kriegers, einer Christus-Ikone in Beirut,
getroffen von einem Speer aus der Hand eines Juden, und einem weiteren
Jesussymbol in der „Hagia Sophia“ in Konstantinopel (das heutige
Istanbul), das eine augenscheinliche Verwundung durch den Dolchangriff,
ebenfalls von einem Juden ausgeführt, davongetragen habe. Dieses
letztgenannte Phänomen wurde über Jahrhunderte weitergetragen (manchmal
war aber auch von der Darstellung der Maria die Rede). Offensichtlich
ist, dass zu damaliger Zeit ein Abbild nur blutete, wenn eine
Beschädigung vorausgegangen war.
Viele alte Schriften geben Zeugnis von Blut weinenden Ikonen, aber
ernsthaft untersucht wurden diese Geschehnisse nie. Dieses Unterfangen
gestaltete sich schon deshalb als schwierig, weil die Glaubenssymbole
auch viel auf Wanderschaft waren, wie z.B. auch die vorgenannte Ikone
aus der „Hagia Sofia“, die, nachdem die Türken Konstantinopel eroberten
und die große Kathedrale in eine Moschee verwandelten, Jahrhunderte
später in der „Periblebtos-Kirche“ in Mystras bzw. Mistra
(byzantinisches Städtchen, Peleponnes) wiederentdeckt wurde. Ein anderes
Besispiel ist die Ikone der „Agia Panagia“ (der „Heiligen Mutter
Gottes“) in Agiassos. Sie stammt aus dem 4. Jahrhundert, und auf ihr ist
Maria, Jesus als Säugling auf dem Arm haltend, zu sehen.
(s.Lesos-News vom
17.8.2008). Angeblich soll sie ein aus Konstantinopel verbannter
Priester und Ikonensammler aus Jerusalem mitgenommen haben, um sie der
nach Lesvos verbannten Kaiserin Irene als Geschenk zu überreichen. Als
er dann auf der Insel ankam, war diese aber schon verstorben, und er
floh in die Berge. Nachdem er Vertrauen zu den Menschen dort gefasst
hatte, offenbarte er seinen Schatz und berichtete, dass kein geringerer,
als der Evangelist Lukas sie geschaffen habe. Um diese Ikone zu
schützen, baute man eine klösterliche Anlage. Im Jahre 1170 wurde dann
die Genehmigung erteilt, eine Kirche zu Ehren Marias zu errichten,
woraufhin sich dann nach und nach im Umfeld das Bergdorf Agiassos
bildete.
Welche Wunder diese „Maria i Vrefokratousa“ (Maria mit Jesuskind)
vollbracht hat, weiß ich nicht so genau. Weinen tut sie jedenfalls nicht
und zieht trotzdem alljährlich Tausende von Pilgern an, genau wie ihre
größte Konkurrenz auf Lesvos, das aus Blut und Lehm geschaffene Bildnis
des Erzengel Michael in der Wallfahrtskirche „Taxiárches“ in Mandamádos.
Von dieser Ikone wird nicht nur gesagt, dass sie ab und mal ein paar
Tränen vergießen kann, sondern dass sie z.B. die Fähigkeit hat, Bilder
an andere Plätze zu zaubern, so geschehen 1974, als die Türken auf
Zypern einfielen: Eine lebensgroße Abbildung des Erzengels Michael war
für eine Woche aus der Klosterkirche in Mandamados verschwunden, um –
wie die Leute sich zuraunten, den griechischen Soldaten auf Zypern zur
Seite zu stehen.(Er soll dort wirklich von Augenzeugen kämpfend gesehen
worden sein).
Einige unter uns, die diese Thematik ganz nüchtern betrachten, erklären
die wundersamen tränenden Augen der Heiligenbilder folgendermaßen: Aus
Holzarbeiten kann Harz und Leim austreten, wenn die Materialien der
geklebten Rahmen oder der lackierten Kunstwerke schwitzen, und es gibt
bestimmt noch einige andere solch logischer Erklärungen, die an Wunder
glaubende Menschen in die Irre führen können.
So
hat man in Nordamerika sogar einen Spezialisten engagiert, dessen
Aufgabe es ist, Wunder zu entlarven. Vor Jahren wurde er gerufen, um
eine weinende Maria zu untersuchen. Das Kirchlein, in der das „Wunder“
bestaunt wurde, hatte mittlerweile Pilgerscharen zu Gast, aber schnell
konnte der Mann erkennen, dass die rollenden Tränen pures Öl waren. Als
dann bekannt wurde, dass der für die Gemeinde zuständige Priester schon
einmal eine weinende Ikone in einem Gotteshaus in New York entdeckt
hatte und als „Nebenjob“ ein Bordell in Athen betrieb, wurde es ganz
schnell ruhig um die Erscheinung. Tja, Priester lassen sich schon
manchmal seltsame Dinge einfallen, um ihre Kirche voll zu bekommen.
Dabei könnten die meisten von den unzähligen Kirchlein und Kapellchen,
die Lesvos zieren, solch ein Wunder echt gebrauchen, denn – vor allem
die kleinsten unbekannten unter ihnen – liegen verlassen da und
verfallen nach und nach, was ja auch bedeutet, dass Kulturgüter
verschwinden. So ein richtiges Wunder, würde Pilgerscharen anziehen und
den Klingelbeutel füllen, womit dann das Geld vorhanden wäre, das
benötigt wird, um wertvolle alte Bilder und uralte Fresken zu
restaurieren, die nun dort vor sich hingammeln. Schade, aber es gibt
keine weinenden Ikonen, obwohl sie, angesichts dieser Vernachlässigung
allen Grund dazu hätten.
Um
auf die E-Mail aus Holland zurückzukommen: Die Ikone blutet nun auch
nicht mehr. Sie hängt nun, zusammen mit einem Kreuz, an einem anderen
Platz, so dass die roten Tränen an der Wand mittlerweile getrocknet
sind. Tja, ich kann es auch nicht erklären, wie Maria es geschafft hat,
ihre Tränen einige Zentimeter weiter die Wand runterrollen zu lassen,
aber da war kein Priester, der seine Gemeinde betuppen wollte, noch eine
Person, die mit einem kleinen Schwindel nach Aufmerksamkeit schrie.
Sieht so aus, als müsse man das eine oder andere Phänomen als Wunder
hinnehmen und akzeptieren, so wie das Leben selbst. Man muss doch nicht
für alles eine Erklärung haben, oder?
Zum
Schluss noch eine „Do-it-yourself-Webseite, für diejenigen unter Ihnen,
die trotz allem Lust darauf haben, auch mal ein Wunder zu vollbringen:
"Weinende
Ikonen für die ganz Familie“!
Copyright ©Julie Smit 2009 |