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BOULEVARD NEWS AUS LESVOS

 

Singender Wald bei Anemotia

Singender Wald bei Anemotia

 

9.November 2009 - Ohrenbetäubende Stille

Aus dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski 

 

Was mir besonders auffällt, wenn ich in den Niederlanden bin, ist der stete Lärm all überall. Egal, wo man auch ist, unentwegt hört man nah oder fern die Autos auf den Straßen oder Autobahnen, das Dröhnen der Flugzeuge, oder andere störende Geräusche. Nach einem Artikel in der holländischen Tageszeitung „de Volkskrant“ vom 27.10.09 werden die vorgeschriebenen Dezibel-Grenzwerte in mehr als der Hälfte der Städte Europas überschritten. Fakt ist, dass es in den Niederlanden niemals ganz still ist.

 

Hier auf Lesvos ist es zwar auch selten ruhig, aber die Geräusche hier werden überwiegend von der Natur erzeugt, bis auf die folgenden Angriffe auf das Gehör: Baulärm, aufgemotzte Mopeds und Motorräder, die „fahrenden Händler“, die per Megaphon ihre Ware anpreisen, die aus den kreischenden Transistorradios, die bei jedweder Arbeit zur Unterstützung dudeln, die Klänge der Musikanten, die auf griechischen Abenden und Hochzeiten aufspielen, tja, und natürlich die der Griechen selber, die sich ja – bekannter Weise – recht lautstark untereinander verständigen.

 

Die anderen Laute, die ans Ohr dringen, kommen aus der Natur: der Wind, das Meer, der Regen, das Gebell der Hunde, das Blöken von Schafen, Ziegengemecker, Hühnergegacker, Eselsrufe, Fuchsgeheul, Vogelgesang und in den schwülen Sommern meist alles übertönend, das schrille Geschrei der Zikaden, welches, zugegeben, schon recht nerven kann, wenn man sich auf ein Nickerchen in die Hängematte verkrochen hat, und dagegen nur hilft, sich zum Mittagsschläfchen doch ins Haus zurückzuziehen.

 

Aufgeweckt werden kann man dann aber auch von recht unmelodiösen Geräuschen, wie dies eine Nichte von uns erlebte, die hier ihre Schwester besuchte: Ein unablässiges Knistern ließ sie ihr Nachtlager verlassen. Just, als sie entdeckte, dass es aus einer Tasche mit Papier kam, schoss auch schon ein riesiger Skorpion daraus hervor. Als ich diese Geschichte hörte, dachte ich beunruhigt an das dauernde Knacken in unserem Schlafzimmer und beschloss, diesem nun doch nachzugehen. Mein detektivischer Rundgang endete am Fenster: Holzwürmer! Oder sollten es gar Holzböcke sein? Mit Schrecken denke ich an Berichte, nach denen diese Tierchen ganze Häuser zerlegt haben sollen...

 

Lesvos ist bekannt für die Artenvielfalt von Vögeln, die beeindruckende Konzerte geben können, aber auch die vielstimmigen Glöckchen der Ziegen und Schafe schicken, begleitet von dem Gemecker und Geblöke der Tiere, melancholische Klänge über die Insel. Aber nach wie vor ist für mich der ungeschlagene Meister der faszinierenden Töne der Wind, der die Insel als riesigen natürlichen Klangkörper zu nutzen weiß. Auf Lesvos sagt man, es sei der ewige Gesang und das Spiel des Orpheus, denn die Mythologie berichtet, dass der Kopf des Orpheus, jenes begnadeten Musikers, der sogar Tiere und Pflanzen mit seinen Liedern bewegt haben soll, und auch seine legendäre Leier, bei Antissa an Land gespült wurden. Ich halte das gar nicht mal für so abwegig, und wenn auch Sie irgendwann einmal genau hinhören, werden auch Sie einem Konzert nach dem anderen lauschen können.

 

Streift man durch einen Kiefernwald, hört man den Wind sacht über die Nadeln streichen. Es ist ein sehr melodiöses Geräusch, mal laut, mal leise, je nachdem wie heftig oder sanft die Böen sind. Dann plötzlich hört man aus der Ferne ein Rauschen durch die Baumkronen fahren, das näher kommt, immer mehr anschwillt und dann über einen hinwegrollt, für mich wahrhaftig wie eine Symphonie, gespielt von einem Orchester.

 

Läuft man durch den Kastanienwald bei Agiassos und die Früchte sind reif, so harmonisiert das rhytmische dumpfe Ploppen der fallenden Früchte einfach großartig mit dem höhertonigem Rascheln des Laubes in den Ästen und Zweigen. Stimmt dann auch noch das ferne Glockengeläut unsichtbarer Schafherden und vielleicht das Knistern eines Holzfeuers, was der Förster gerade entzündet hat,  mit ein, dann ist das Ergebnis ein wahrhaft phänomenales Mittagskonzert.

 

Tja, und die Wellen des Meeres kann der Wind sogar zu fantastischen Percussion-Instrumenten aufrüsten. Unterschätzen Sie diesen Sound jedoch nie, denn schlafen sie dicht am Strand, so kann das Zusammenspiel von schlagenden Wellen und klackernden Kieselsteinen Ihnen manch schlaflose Nacht bereiten.

Aber nicht nur der Wind lässt die Wellen lautstark brechen: Vor einigen Jahren, als das Tragflügelboot Kenderis seine Fahrten an unseren Küsten aufnahm, schreckte ich durch ein mir bis dahin unbekanntes lautstarkes Bollern aus meinem Mittagsschlaf hoch, dass mich an einen Mini-Tsunami denken ließ. In meinen Ohren ein Crescendo, obwohl das Schiff meilenweit entfernt war.

 

Die größten Konzerte gibt der Wind jedoch, wenn er zu einem Sturm heranwächst, der durch die Baumkronen fegt, Äste herunter krachen und Türen und Fensterläden erzittern lässt. Begleitet von Donner und peitschendem Regen wird ein Rockkonzert zum Besten gegeben. Ich sage nur: ohrenbetäubend! Aber danach, wenn der Sturm sich legt, die Wellen sich wieder beruhigen, als habe der Wind sich schlafen gelegt, dann kann auch diese plötzlich eintretende Stille ohrenbetäubend sein, und nicht nur das, sondern auch schier beängstigend. Man sagt doch, dass die Tierwelt es schon vorher spürt, wenn ein Erdbeben aufkommt, und sich mucksmäuschenstill verhält. So sind diese tonlosen Momente dann so still, dass es in den Ohren wehtut, und ich lausche dann immer ganz angestrengt und ängstlich, ob ich nicht schon ein Grummeln in der Erde hören, welches das Unheil ankündigt.

 

Wenn Wind und Tiere schweigen, dann ist das Meer ein hellblaues glattes Feld, in dem sich die Wolken spiegeln. So wunderschön ist dieses Bild, dass ich besser an etwas Schönes denken und die Ohren besser spitzen sollte, um ein Geräusch einzufangen, dass unübertroffen auf der Insel ist: Das sanfte Klatschen, das entsteht, wenn Delfine während ihres gemeinsamen Spiels, die starre  Wasseroberfläche des Meeres zerschneiden. Eine Symphonie des Glücks ist das, die mich für eine Weile ganz still werden lässt...

 

Copyright ©Julie Smit 2009