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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Plakat für die Noborder-Aktion auf Lesvos
30.August 2009 - Grenzenloses
Europa
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Panik in Molyvos! Wo brennt es dieses Mal? Fette weiße Wolken und
Dunstschleier zogen am Morgen aus Richtung Türkei über den Norden von
Lesvos hinweg und verhüllten in kürzester Zeit das mittelalterliche Dorf
samt seiner Burg. All die Brände in der letzten Zeit und die Angst vor
einem erneuen Anschlag des Pyromanen ließ die Einwohner am Sonntagmorgen
hochschrecken, panisch zum Telefon greifen und sich umhören, wo denn das
Feuer ausgebrochen sei... Nach den schlechten Erfahrungen in den
vergangenen Monaten, assoziierte natürlich ein jeder die
undurchdringlichen Wolken mit einem Brand.
See-Nebel (auch Meeres- oder Seedampf genannt) ist hier ein so seltenes
Phänomen, dass kaum jemand darauf kam. Eine Freundin, deren Haus
ziemlich hoch gelegen ist, und die dadurch genau sehen konnte, wie eine
dicke undurchdringliche Nebelwand vom Meer aus heranwabberte, dachte
sogar kurz daran, dass ein Tsunami die Insel bedrohe...
Mit
der frischen Brise, die diese niedrige Wolkenschicht vor sich hintrieb,
kamen bei mir die Erinnerungen an meine Kindheit. Nur zu deutlich sah
ich es vor mir, wie meine Mutter hastig uns Kinder und alle Sachen
zusammenpackte und schleunigst den idyllischen Strand verließ, wenn
Seedampf auf mein Heimatstädtchen Zandvoort zurollte. Tja, war dieses
Wetterphänomen damals ein Ärgernis, weil es uns schöne Strandtage
verdarb, so wirkte es jetzt auf mich wie ein wohliger weißer Schleier,
der mir schöne Bilder aus der Vergangenheit schenkte.
Molyos lag also eine zeitlang im Verborgenen. Wenn ich mir jetzt
vorstelle, dass zu dieser Zeit Flüchtlinge sich vom Meer aus näherten...
Was sie wohl gedacht haben werden? Ob sie wohl Panik ergriff? Werden sie
sich ängstlich gefragt haben, wo Griechenland geblieben ist, das Land,
von dem sie immer noch meinen, dass dort Milch und Honig fließt?
Lesvos geriet erst kürzlich wieder einmal hinsichtlich des
Flüchtlingsproblems unangenehm in die Schlagzeilen, nachdem
Menschenrechtsorganisationen konstatierten, dass im Auffanglager Pagani,
2 km außerhalb von Mytilini, Menschen völlig unwürdig leben müssen.
Wurde dort einst für 250 Personen Platz geschaffen, so halten sich dort
mittlerweile 800 Flüchtlinge auf, darunter 200 Kinder! Die Medien
berichteten, dass viele von den Kindern in den Hungerstreik getreten
sind, um auf die besorgniserregende Situation aufmerksam zu machen.
Trotz des Zornes der humanitären Organisationen und der Wut und
Verzweiflung der Flüchtlinge, unternimmt die Regierung – wie auch bei
den Bränden in Attika – unverständlicherweise rein gar nichts! Die
Bearbeitung von Asylanträgen dauert in Griechenland dermaßen lange, dass
selbst 100 Jahre nicht genug wären, um all den Zuflucht suchenden
Menschen Gehör zu schenken und zu ihrem Recht zu verhelfen.
Nach all der Aufregung über die Aktion der eingesperrten Kinder,
schaltete sich nun die Organisation „Noborder“ ein. Das europaweite
antirassistische Aktionscamp
„Noborder Lesvos 2009“
wird vom 25. – 31.8. auf Lesbos veranstaltet und wendet sich gegen die
gegenwärtige griechische und europäische Flüchtlingspolitik. Ziel der
Gruppe ist es, unter dem Motto „Kein Mensch ist illegal“ alle Grenzen
abzuschaffen und den Menschen die Möglichkeit zu geben, ohne Dokumente
frei reisen zu können. Ich bin ein alter Pessimist und glaube nicht
daran, dass es gelingt, ein offenes Europa, geschweige denn, eine Welt
ohne Grenzen zu errichten. Genau, wie ich nicht mehr an den Frieden für
die ganze Welt glauben kann, so sehr und innig ich es mir auch
wünsche... Immer wird es Menschen geben, die gegen eine bessere Welt
ankämpfen werden, so schlimm und unverständlich das auch ist. Der Mensch
ist halt nicht perfekt. Nehmen wir nur die griechische Regierung, die
nicht nur fehlerhaft, sondern auch fahrlässig handelt. Waldbrände,
Flüchtlinge – Probleme, die seit Jahren bestehen, und? Nichts passiert!
Beispiel: Alle Flüchtlinge müssen, um einen Asylantrag zu stellen, mit
den öffentlichen Verkehrsverbindungen nach Athen. Jedes Kind weiß aber
doch, dass im August Fähren und Flieger mit in- und ausländischen
Touristen besetzt sind. Warum kann man hier kein Boot zusätzlich
einsetzen, sondern lässt die armen Menschen in den überfüllten Lagern
unter katastrophalen Bedingungen versauern?
Weiter: Das „Pagani-Zentrum“ steht mit Millionen in der Kreide bei den
Unternehmen, die all die Flüchtlinge mit Nahrung versorgen. Das Geld
soll aus Athen kommen, aber, egal ob es der Feuerwehrmann ist, der mit
Einsatz seines Lebens gegen die Flammen im Land kämpft, oder ob es
Firmen sind, die Lebensmittel in das Auffanglager liefern, die Regierung
bleibt ihnen das Geld schuldig!
Nein, ich bin nicht mit allen Aktionen von „Noborder“ einverstanden,
aber die Gruppe verdient meine Anerkennung dafür, dass sie nicht länger
nur zusieht, sondern aufsteht und was unternimmt. Während sich nun
Molyvos hinter dichten Wolken versteckt hielt, spielten sich in Mytilini
Szenen, wie in Athen zu Zeiten der Aufruhr ab: Mit Bestürzung wurden
Bewohner dort Zeugen, wie eiligst aus der Landesmetropole
herbeigetrommelte Ordnungshüter mit Schlagstöcken gegen demonstrierende
„Noborder“-Aktivisten vorgingen, die u.a. versuchten das Rathaus zu
besetzen, die Flüchtlinge zu befreien und „Frontex“-Boote aus dem Hafen
zu vertreiben (Frontex ist eine Einrichtung der EU, mit Sitz in
Warschau, die für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen
zuständig ist).
Am
25. August war der Startschuss für das „Noborder-Camp“, abgerissen
werden sollen die Zelte wieder am letzten Tag des Monats August.
Hoffentlich rütteln die Aktionen die Menschen auf, obwohl der Gouverneur
von Lesvos schon vor dem negativen Einfluss der drastischen Maßnahmen
auf die Öffentlichkeit gegenüber der Flüchtlinge gewarnt hat. Ich denke,
Athen ist immer noch so mit den Auswirkungen der Brandkatastrophe
beschäftigt, dass man dort kaum Notiz nehmen wird, von den Aufständen
auf der kleinen Insel, die so weit entfernt ist von den Haustüren der
Landeshauptstadt...
Copyright ©Julie Smit 2009 |