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BOULEVARD NEWS AUS LESVOS

 

"SCORPIONS"

Scorpions

 

7.Juli 2009 - Nachbarschaftsbesuch

Aus dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski 

 

Es ist allgemein bekannt, dass Türken und Griechen nicht gerade eine freundschaftliche Beziehung pflegen. Seit der „moderne“ Staat Griechenland (1829) und die junge Türkei (1923) bestehen, versucht man, ein gutes Verhältnis aufzubauen. Ist man sich aber gerade ein Stück näher gekommen, so zerbricht die Brücke jedoch auch immer wieder durch irgendeine Problematik. Derzeit streiten die beiden Regierungen über den Grenzverlauf in der Ägäis und den nicht abreißenden Flüchtlingsstrom aus der Türkei ins griechische Staatsgebiet.

 

Trotzdem versucht man hier auf Lesvos, den Reiseverkehr zwischen den beiden Küsten wiederzubeleben, der ja nach der Zypern-Krise 1974 recht minimal war. Immerhin haben Handels-Delegationen es geschafft, dass es seit Jahren mehrmals in der Woche eine Fährverbindung zwischen Mytilini und Ayvalik gibt, und nun kann man seit kurzem auch die türkische Stadt Dikili erreichen.

 

Vor einem Jahrhundert sah das noch ganz anders aus. Da war Mytilini noch ein blühendes Handelsstädtchen, dass den Westen und Osten verband, und die Seeverbindung nach Ayvalik; war eine stark befahrene Handelsstraße, die täglich von unzähligen Booten genutzt wurde. Lesvos gehörte noch zum Osmanischen Reich und betrieb rege Geschäftsbeziehungen mit den Ottomanen, in den Gebieten rund um das Schwarze Meer und Russland.

 

Im 19. Jahrhundert konzentrierte sich der Handel auf Edremit und Ayvalik (griech.= Kydonies, Skala Kydonies zw. Mytilini und Mandamados ist also nach Ayvalik benannt). Aber nicht nur Handelsgüter wurden verschifft (Olivenöl und Seife waren die wichtigsten Ausfuhren – Getreide wurde aus dem Osmanischen Reich importiert), sondern auch viele Menschen aus Lesvos buchten eine Schiffspassage ans gegenüberliegende Ufer, um sich ihr Geld von August bis Oktober als Arbeiter bei der Roggen- und Weizenernte zu verdienen. Tja, und so manch ein Erntehelfer fand dann sein Glück dort und ließ Frau und Kinder auf Lesvos zurück, so dass einige Eheversprechen in dieser Zeit aufgelöst wurden.

 

Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Dampfschiffe die Meere befuhren, blühte Mytilini als Umschlagsplatz und Durchgangshafen noch mehr auf, da diese Boote zu groß waren, um in den kleinen Häfen an der türkischen Küste vor Anker zu gehen. Das Geschäft florierte dermaßen gut, dass bis zum Ende des 19.Jahrhunderts große Kirchen, imposante öffentliche Gebäude und Industrieanlagen auf Lesvos errichtet wurden. Die Baumaterialien dafür stammten aus dem Osmanischen Reich, wie z.B. das besonders schöne rosa Felsgestein von der Insel Sarmousak (nah bei Edremit), Ziegel und riesige Baumstämme, um robuste Dächer zu bauen, und auch die nötigen Materialien für die Lederherstellung und Ölproduktion importierte man von dort.

 

Zu jener Zeit florierte nicht nur der Handel zwischen den beiden Ländern, sondern auch das kulturelle und soziale Leben pulsierte. Die Bewohner von Lesvos kauften Häuser, Güter und Betriebe in der Türkei.

 

Im Jahr 1912 wurden die ost-ägäischen Inseln Lesvos, Chios und Samos wieder zurückerobert und gehörten von dann an wieder zu Griechenland, einer inzwischen modernen Nation. Mit der Leichtigkeit des Handels war es vorbei, Steuern fielen an: 1% Ausfuhrsteuer und 11% Einfuhrabgabe an die Türkei. Somit wurde die Ware aus Lesvos sehr viel teurer, und nach und nach stagnierte der bis dahin so stark florierende Markt. Ja, und dann, 1922, am Ende des griechisch-türkischen Krieges, als die griechische Armee und die griechisch- orthodoxe Bevölkerung zur Räumung Kleinasiens gezwungen wurde (und die Muslime aus Griechenland), kam es zum Tod der Handelsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. Diese „kleinasiatische Katastrophe“ ist Ursache für die immer noch anhaltenden Spannungen.

 

Viele Menschen auf Lesvos sind enttäuscht von der schleppenden Diplomatie zwischen den beiden Staaten und versuchen den Aufbau der Beziehungen selbst in die Hand zu nehmen. So exportiert Lesvos tonnenweise Sardinen aus dem Golf von Kalloni in die Türkei, und nicht wenige Inselbewohner wagen sich nur allzu gerne, angelockt durch die günstigen Preise, ans nachbarliche Ufer. Wenn man die Heimkehrer dann abends im Hafen von Mytilini von Bord kommen sieht, dann sind sie meist vollbepackt mit allem möglichen Hausrat, den sie in Ayvalik erstanden haben. Nicht nur der Einkauf lockt, sondern auch die Neugier auf das Land, das einst die Heimat ihrer Vorväter war und auch Ländereien und Häuser, die ihnen immer noch gehören.

 

Der nachbarschaftliche Besuch ist jedoch nicht einseitig. Auch die Türken machen sich auf nach Lesvos. Letzten Samstag war es die deutsche Rockgruppe „Scorpions“, die Anlass gab, dass 500 – 1000 Türken in der Burg von Mytilini erwartet wurden. Als dann, um 19 Uhr, die Konzertbesucher Einlass fanden, war es bei der einströmenden Menge schwer, zwischen griechisch- und türkischstämmigen Fans zu unterscheiden.

 

Tausende von Menschen genossen ein, für die Insel Lesvos, besonderes musikalisches Highlight. Die Organisation war perfekt, und das Konzert war über und durch die Burgmauern hinaus in der ganzen Metropole zu hören. Die Band, ja, man kann sie ja schon zu den Oldies zählen, war in Höchstform und begeisterte die Menge, die jubelte und ganze Textpassagen lautstark mitsang. Unzählige Fotos und Videomitschnitte wurden mit Handys gemacht, man lauschte begeistert dem großartigen Gitarrenspiel von Rudolf Schenker, den mitreißenden Schlagzeugsolos von James Kottak, tja, und natürlich der unverwechselbaren, unter die Haut gehenden Stimme von Frontmann Klaus Meine.

 

Dieser Abend wird für Lesvos unvergessen bleiben. Was für ein Erlebnis, Türken und Griechen begeistert und friedlich vereint, gemeinsam Songs wie "Wind of Change", Send me an Angel, "Still loving you", "Rock you like an Hurricane“ singen zu hören. Unwillkürlich musste ich an das Erdbeben 1999 in der Türkei und das kleinere ein Jahr später in Athen denken. War es nicht damals ein erster großer Schritt hin zu einer wieder auflebenden Freundschaft zwischen Griechen und Türken? Auch die „Scorpions“ haben mit ihrem Konzert dafür gesorgt, dass die beiden Völker, die doch eigentlich durch mehrere hunderte von Jahren Geschichte verbunden sind, sich wieder ganz nah gekommen sind ... zumindest für einen Abend.

 

Copyright ©Julie Smit 2009