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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Vitaminchen
12.Dezember 2009 - Grippe-Tratsch
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Immer, wenn das Thema Grippe in aller Munde war, dachte ich, dass mir
diese Krankheit nichts anhaben könne, so gesund wie ich hier auf der
Insel, außerhalb des Dorfes, inmitten der Natur, lebe. Tja, und nun
wurde ich eines besseren belehrt: Ein gesundes Umfeld ist kein Garant
dafür, von Grippe oder Erkältung verschont zu bleiben, denn es hat mich
voll erwischt!
Was
genau ich mir da eingefangen habe, weiß ich nicht. Ich habe weder Hals-
noch Gliederschmerzen, kein Fieber, keinen Husten und die Lungen sind
frei, aber mein Kopf! Wie soll ich es erklären? Es ist, als sei er
separiert von meinem Körper, denn allein in meinem Schädel wütet eine
hartnäckige Grippe. Haben Sie auch von dem 12-jährigen amerikanischen
Mädchen gehört, dass letzten Monat für Schlagzeilen sorgte, weil sie am
Tag um die 12.000 (i.W.: Zwölftausend) mal niesen muss und niemand ihr
helfen kann? Wie dieses Kind leidet kann ich nun fast nachempfinden,
obwohl ich an einem ganz besonders schlimmen Tag, „nur“ so an die 1000
Nieser komme. Beruhigend, denn damit gehöre ich wohl hoffentlich nicht
zu den ca. 40 Menschen auf der Welt, die, wie die kleine Lauren Johnson,
an diesem extremen Niesreiz leiden.
Der
Apotheker des Dorfes ist der Überzeugung, dass ich eine Allergie habe,
denn wenn man niest ohne zu husten, sei das die einzige Erklärung. Na,
von den ungewöhnlichen Qualen der Lauren Johnson aus Virginia hat der
Mann wohl noch gar nichts gehört, ansonsten hätte er mir wohl auch die
Medien auf den Hals geschickt, anstatt mir, so wie geschehen,
Anti-Allergie-Pillen zu geben, um das Niesen zu stoppen. Ja, in
Griechenland ist das so, dass man eigentlich fast alle Medikamente ohne
ärztliches Rezept bekommt, selbst Antibiotika. Folglich kläre ich, wenn
ich mich krank fühle, in der Apotheke ab, was zu tun ist. Zusätzlich zum
Antihystamin, inhalierte ich heißen Dampf, trank literweise frisch
gepressten Orangensaft und schluckte Vitamin-C-Tabletten. Geholfen hat
das alles nicht, so dass ich schlussendlich den Doktor rufen musste, der
eine schlimme Erkältung diagnostizierte, die ich jetzt einfach geduldig
auss(chw)itzen muss.
Erzählt man jemandem aus unserem Dorf, dass man krank (arostos) ist,
wird dies mit verständnisvollem Kopfnicken erwidert. „Es herrscht“ sagt
man dann achselzuckend und zählt eine Anzahl Personen namentlich auf,
die sich auch gerade nicht wohl fühlen. Irgendwie ist es ein jedes Mal
so, als sei das halbe Dorf ebenfalls krank.
Irgendeine Art von „Grippe“ kursiert immer auf der Insel. Selbst im
Sommer wird einem dieses „es herrscht“ entgegnet, klagt man mal einen
Tag über Unwohlsein. Doch es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen
Sommer- und Wintergrippe. Sind es in der Saison Magen- und Darm, die –
manchmal auch nur an einem Tag - rebellieren und auf Hochtouren laufen,
so ist es winters die Nase, die läuft, verbunden mit Halsweh und Husten,
und das nicht nur an einem Tag, sondern meist ziemlich hartnäckig über
einen längeren Zeitraum. Diese „Grippe“ (in Anführungszeichen, weil es
ja eigentlich gar keine richtige Grippe ist) gehört auf Lesvos zum
alltäglichen Leben dazu und das trotz des gesunden Lebensraums.
Derzeit hat ein jeder Angst an der „Mexikanischen Grippe“ (besser
bekannt unter der Bezeichnung „Schweinegrippe“) zu erkranken, und nur
die Medien wagen es diesen Begriff in den Mund zu nehmen. Ihr
Gesprächspartner reagiert auf das Wort „Grippe“ mit 2 Schritten zurück.
Auch auf Lesvos wird über eine Impfung diskutiert: Hat sie überhaupt
Sinn? Ist es nicht sowieso schon zu spät dafür? Schadet sie nicht der
Gesundheit? (Kritische Anmerkung des klassischen Homöopathen), denn die
„Schweinegrippe“ ist auf der Insel angekommen. Die ersten Fälle wurden
bereits im Sommer gemeldet und inzwischen hat man, um die
Asteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten, viele Schulen
geschlossen, hauptsächlich in Mytilini und Umgebung, dort wo die meisten
Menschen wohnen, aber auch im Osten der Insel sowie in Kalloni, Pérama
und Ilios.
Kürzlich sagte jemand, dass ich wahrscheinlich eine Art der
„Schweinegrippe“ hätte. Im Zusammenhang mit dieser Variante kommt wieder
das „es herrscht“ ins Spiel. Obwohl niemand wagt, die Furcht erregende
Grippe beim Namen zu nennen, ist ein jegliches Unwohlsein, was einer
Grippe auch nur minimal ähnelt, bei den Inselbewohnern nun ganz klar
eine Form der Schweinegrippe. Um auf die Impfung zurückzukommen:
Experten raten gesunden Menschen davon ab, da nur eine ganz leichte
Variante der „Mexikanischen Grippe“ auf Lesvos kursieren soll.
Und
so grassiert die Grippe-Epidemie weiter und weiter, und inzwischen kann
ein jeder bereits an 10 Fingern die aufzählen, von denen er weiß, dass
sie an einer „Variante“ erkrankt sind und manch ein Unglückswurm auch
schon im Krankenhaus gelandet ist. Aber darüber spricht man nicht, denn
alleine das Reden darüber als auch das Aussprechen des Krankheitsnamens,
ist ansteckend...
Der
Vorteil der Grippewelle ist, dass viele Menschen ihre Pläne, die Insel –
wie üblich – in den Wintermonaten zu verlassen, aufgegeben haben, aus
Angst sich im Flugzeug bzw. im Ausland anzustecken. Diese Personenzahl
erhöht sich um die diejenigen, denen in diesem Jahr, aufgrund der
wirtschaftlich schlecht gelaufenen Saison, schlichtweg die finanziellen
Mittel dafür fehlen. Die Zahlen sprechen für sich: Im Vergleich zum
Vorjahr, sind die Buchungen in diesem Winter um 70% zurückgegangen, und
so ist derzeit der eine oder andere Billigflug nach Athen oder ins
europäische Ausland zu ergattern. Aber mal ehrlich, warum sollte man in
dieser Situation eine Insel verlassen, deren Zitronen- und Orangenbäume
sich derzeit nur so biegen vor lauter Vitamin C?
Copyright ©Julie Smit 2009 |