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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
vespa orientalis (Foto: Robin Edwards)
8.Juni 2009 - Wo ist die Königin?
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Die
erste Hitzewelle in diesem Sommer hat uns erreicht und alle möglichen
Insektenarten im Gepäck gehabt, die sich jetzt in unserem Haus gemütlich
einrichten wollen. Spinnen, Ameisen und anderes gruseliges Krabbelgetier
streift durch unsere Zimmer auf der Suche nach Leckereien und Wasser. Ab
sofort heißt es, wie alle Jahre wieder, dass wir sorgfältiger putzen,
ein jedes Bröselchen entfernen und alle Vorratsdosen und
Lebensmittelpäckchen sehr gut verschließen müssen. So mal die Kaffee-
und Teetassen gebraucht auf dem Tisch stehen lassen, weil man in Eile
ist, geht jetzt für eine ganze Zeit nicht mehr. In kürzester Zeit wird
unser Haus jedoch trotzdem zu einer Walhalla für Entomologen, genauso,
wie das moderne griechische Politikparkett eine Walhalla für
Aristophanes wäre.
Aristophanes, ein griechischer Dichter und Dramatiker, lebte von 446 bis
386 vor Christus. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der
griechischen Komödie und hat einen großen Bekanntheitsgrad erlangt, da
11 seiner Theaterstücke bis in die heutige Zeit bewahrt geblieben sind.
Aufgeführt wurden die Werke allerdings nur ein einziges Mal, und zwar
anlässlich eines Festivals, zu dessen Besucher der „Jet-Set“ des antiken
Athens zählte. Scham und Anstand kannte die Führung des alten
Griechenlands auch schon nicht, und Aristophanes hatte keine Skrupel
sich kritisch und spöttisch, mit drastischer Darstellung und satirischer
Schärfe, über die hohen Persönlichkeiten, die meist in der ersten Reihe
saßen, zu äußern.
Tja, und in diesen Tagen steht die griechische Regierung wieder einmal
da in ihrem kurzen Hemd, denn fast die Hälfte der Bevölkerung ist am
Pfingstsonntag nicht zur Wahl gegangen. Nun, nachdem sich herausgestellt
hat, dass die liberal-konservative N.D. (Neue Demokratie) ebenso korrupt
ist, wie ihre größte Rivalin, die sozialdemokratische PA.SO.K
(Panhellenische Sozialistische Bewegung), haben die Griechen die Nase
voll von der Politik und sind lieber an den Strand als an die Wahlurnen
gegangen.
Die
Tatsache, dass die PA.SO.K die meisten Stimmen für sich gewinnen konnte,
wurde überschattet von der Meldung, dass es niemals zuvor eine solch
erschreckend geringe Wahlbeteiligung gab. Da das Wählen in Griechenland
Pflicht ist, kann man dies als Akt massiven zivilen Ungehorsams ansehen;
strafrechtlich verfolgt wird jedoch deshalb niemand.
Würde Aristophanes jetzt noch leben, er hätte seinen Spaß daran, sich in
seinen Stücken über die Politiker und ihre „Heldentaten“ lustig zu
machen. Beschäftigt man sich mit seinen Werken, so erkennt man aber
gleich, dass auch zu seiner Zeit die politische Welt ebenfalls chaotisch
war. In dem Werk „Die Wespen“ nimmt Aristophanes sich das Justizwesen,
das von der Prozess-Sucht vieler Athener beeinflusst wurde, zur Brust.
Damals ging es nicht um faire Rechtsprechung, sondern vielmehr darum,
schnelles und gutes Geld zu verdienen. Es ist Kleon, ein athenischer
Politiker und Heerführer, auf den Aristophanes in diesem Stück anspielt.
Dieser hat den Richtersold eigenmächtig erhöht und Philokleon (= Freund
Kleons) ließ sich aufgrund dessen von dem Demagogen als Richter
missbrauchen. Seinem Beruf regelrecht verfallen, fällte er mit seinem
Griffel (= Wespenstachel) großtuerisch Urteile.
In
dieser politischen Komödie wird die Richterschar einem Wespenschwarm mit
fiesen Stacheln gleichgesetzt. Kann man sich die heutigen Politiker
nicht auch als einen Schwarm gefährlicher Wespen vorstellen? Aber, man
darf nicht vergessen, dass diese Insekten nur für den Zyklus ihres
Lebens eine Bedrohung für die Natur darstellen. Zu versuchen, ein
Wespennest zu zerstören, kann jedoch sehr böse ausgehen, denn wenn die
Tierchen sich erst einmal gestört fühlen und wütend werden, kann es
tödlich enden.
Das
Ergebnis der Europawahl war ein Angriff auf das Nest der „Neo Dimokratia“.
Der Vorsitzende und Ministerpräsident Griechenlands seit 2004,
Kostas Kramanlis, müsste nun reagieren, aber der Großteil der
Bevölkerung geht davon aus, dass er nur ein paar Minister umbesetzen
wird. Keine echte Wespenkönigin, die ihren tödlichen Stachel ausfährt
gegen die korrupten Gegner des politischen Systems. In diesem
Zusammenhang fallen einem die anarchistischen Stundenten und
Jugendlichen ein, die seit den großen Krawallen im Dezember letzten
Jahres immer noch wütend genug sind, um weiterhin mit Feuer und Steinen
gegen Banken und Luxus-Geschäfte vorzugehen.
Wespen (griech.: sfikes) sind immer noch sehr lebendig im griechischen
Leben. Mike Taylor, vom Liverpool Museum in England, (
http://www.chiosnet.gr/tourism/nature/chios_bees_wasps_ants.htm
) hat auf unserer Nachbarinsel Chios geforscht und festgestellt, dass es
dort eine große Anzahl von Wespenarten gibt, darunter auch die Wegwespe,
die nach seinen Ausführungen mit ihrem Giftstachel Jagd auf
Pseudo-Tarantulas (oh, man die gibt es etwa da?) und andere große
Spinnentiere macht, die ihr als Larvennahrung dienen.
Auch ich hatte kürzlich Besuch von einer Wespenkönigin in unserem Haus.
Sie war mindestens 5 cm lang und gehörte zur Familie der Hornissen: Eine
Orientalische Hornisse (vespa orientalis)... oder, war es doch eine
Dolchwespe (scolia flavifrons)? Ach, egal, die Hornissen-Wespen sind
jedenfalls riesig und führen sich auf wie die Politiker, die den Leuten
„das Brot vom Teller stehlen“ (niederländische Redewendung), nur das sie
sich auf Fleisch oder Fisch stürzen.
Ich
hab glücklicherweise keine Angst vor Wespen, auch nicht vor diesen
Riesenexemplaren, zumal man ja eh immer durch ihr lautes Gebrumme
vorgewarnt ist, und so setzte ich das königliche Monsterinsekt behutsam
vor die Tür. Hat aber nicht viel gebracht, denn am nächsten Tag surrte
sie wieder fröhlich durch unser Wohnzimmer. Noch einmal entschied ich
mich für eine friedliche Konfliktlösung und beförderte sie wiederum
vorsichtig an die Luft. Auch am dritten Tag nutzte sie ihr geheimes
Einschlupfloch, um zurückzukehren, und dieses Mal habe ich es nicht
geschafft, sie in meine Hände zu bekommen. Drei Tage Wespenjagd reichten
mir. Somit beschloss ich, Majestät schlicht und einfach zu ignorieren,
was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Versuchen Sie einmal,
sich zu konzentrieren, während ein solches Geschoss um ihren Kopf saust.
Aber, ich hab es geschafft! Ich habe sie sogar dermaßen nicht beachtet,
dass ich ihr Verschwinden nicht mitbekommen habe, tja, und jetzt mache
ich mir arge Sorgen. Ich kenn mich ja nicht so aus mit dem Wespenleben,
hoffe aber, dass das Tierchen jetzt nicht ganz heimlich, still und leise
irgendwo ein Nest gebaut hat und jetzt was ausbrütet. Oh, meine Güte,
stellen Sie sich das nur mal vor: Ich komme eines Tages frohgemut nach
Hause, schließe die Tür auf und ein wild gewordener Schwarm Riesenwespen
rast auf mich zu... Es kann doch sein, oder? Ist doch so wie bei den
Politikern: Man sollte nicht jeder Wespe vertrauen!
Foto von der Vespa orientalis:
Robin Edwards
Copyright ©Julie Smit 2009 |