|
BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Karte von Lesvos aus dem Jahre 1597
29.November 2011 - Schatzkarten
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Während meiner täglichen Strandspaziergänge fällt mir in letzter Zeit
immer wieder das niedrige Höhenniveau des Meeresspiegels auf, obwohl
doch wissenschaftlich die These aufgestellt wurde, dass dieser zukünftig
weiter und weiter ansteigen werde. Sturm oder nicht, das Wasser steht
hier niedriger, als im letzten Jahr, und noch nie habe ich es auf solch
einem Stand gesehen. Die Ägäis kennt Ebbe und Flut nicht und so muss da
wohl irgendetwas anderes sein, ein mir unbekanntes System, welches
Einfluss auf diese Veränderung hat.
Ich
machte mich auf die Suche im Internet, fand darüber nichts, stieß aber
auf Artikel, die aussagen, dass die Nord-Ägäis kälter wird (was aber von
den Temperaturen im Winter abhängt) und, dass Regionen, die rund um
diesen Abschnitt des Ägäischen Meeres an einem Golf liegen, einem
höheren Tsunami-Risiko ausgesetzt sind (Lesvos gehört nicht dazu).
Recherchieren konnte ich auch, dass es einen Zusammenhang zwischen der
Erderwärmung und einem Anstieg (!) des Meeresspiegels gibt, aber das ist
ja allgemein schon bekannt, und – wie oben erwähnt – sehe ich davon
nichts. Wikipedia gibt darüber hinaus noch die Information, dass die
Ägäis während der 16.000 Jahre zurückliegenden letzten Eiszeit ca. 130
Meter niedriger war. Das muss zu der Zeit gewesen sein, als die Insel
noch Teil der asiatischen Platte war.
Die
Vorstellung, dass zwischen Lesvos und der Türkei noch eine tiefer
gelegene ausgestreckte Landschaft lag und wir praktisch in den Bergen
wohnen, fasziniert mich. Das Gebiet existiert ja noch immer, gehört aber
nun zur Unterwasserwelt, und jetzt, wo das Meer einen Teil davon wieder
an die Sonne zurückgibt, sehe ich voller Begeisterung immer mehr Felsen
auftauchen, die vorher nicht da waren und nun ihre Rücken aus dem Wasser
strecken. Ist es möglich, dass ich vielleicht irgendwann eine Kaimauer,
die Reste eines Hafens, eines Hauses oder gar einer Burg entdecken
werde?
Alte Landkarten geben Auskunft darüber, was sich wo auf der Insel einst
befand. Die ältesten von ihnen, oder allgemeine Beschreibungen von
Landkarten, datieren aus der Zeit vor Christ Geburt. Der Mann, der als
Vater der Kartographie in den Büchern steht, ist Claudius Ptolemäus und
lebte im Jahr 100 (ca. 87-150 n.Chr.). Dieser griechische Astronom,
Astrologe, Mathematiker, Philosoph und Musiktheoretiker veröffentlichte
einen Leitfaden für die Herstellung von Landkarten, Cosmographia bzw.
Geographia genannt. Basierend auf seine Angaben, wurde im Jahre 1482 von
dem Deutschen Johannes de Armsshein eine
Weltkarte gefertigt, welche wahrscheinlich weltweit eine der
ältesten erhaltenen Karte überhaupt ist.
Auch Lesvos ist darauf zu finden, aber so winzig, dass eigentlich nur zu
erkennen ist, dass es eine Insel ist. 1584 zeichnete der flämische
Kartograph Abraham Cortelius eine
Karte von Kreta, mit darunter liegenden kleineren Abbildungen
von 10 weiteren Inseln: Kythira, Karpatos, Rhodos, Chios, Naxos,
Santorini, Milo, Limnos, Euböa und Lesvos. Einige Jahre später, 1597,
war es der Italiener Giacomo Franco, der sich
Lesvos allein vornahm. Eine weitere erhaltene
antike Karte von Lesvos wurde um 1800 von dem Franzosen
Choiseul-Gouffier geschaffen, auf der auch die seinerzeit größten
Attraktionen von Lesvos zu sehen sind: Potamons Thron (s. auch
Lesvos-News vom 19.4.2011), das Aquädukt von Moria und eine
Wandskulptur.
Nicht wenige Touristen fluchen über die ungenauen Karten, nach denen sie
sich bei ihren Wanderungen über die Insel richten müssen. Tja, exakt
gefertigte Karten gibt es derzeit nicht, und bei manchen könnte man
denken, der Kartograph habe, statt Wege zu markieren, nur Striche daher
gekritzelt. Weiterhelfen können natürlich die antiken Karten auch nicht,
aber interessant anzuschauen sind sie schon. Bei den beiden ältesten
Abbildungen ist die Form der Insel auffällig gestreckt: Die Hauptstadt
Mytilini ist rechts oben platziert, während sie sich auf den heutigen
Karten rechts unten befindet.
Wo
lag Mithymna (Molyvos)? Warum liegt Pétra im Süden? Sollte man die Karte
vielleicht einfach nur was drehen? Nein, auch nicht, denn dann liegen
andere Plätze verkehrt da. Was meinen Sie, ob die Kartenzeichner überall
auf der Insel waren oder vielleicht nur in Mytilini, wo ihnen
Einheimische bei der Erstellung geholfen haben? Nun, zu damaliger Zeit
war die Insel ja ein recht unwirtliches Gebiet, welches man nicht so
einfach in ein paar Tagen erkunden konnte, so war z.B. der einfachste
Weg, nach Molyvos zu kommen, der übers Meer. Und so kamen in dieser Zeit
die meisten Menschen nicht weiter, als bis in die Hauptstadt.
Es
fällt auch auf, dass auf dem antiken Kartenwerk recht große Flüsse
eingezeichnet sind, ebenso, wie eine Anzahl kleiner Inseln entlang der
Küste. Wie hoch stand das Wasser wohl in dieser Zeit? Mytilini war eine
Insel, durch einen Kanal von der Küste getrennt. Dieser wurde später
zugeschüttet und ist nun die große Einkaufsstraße Ermou. Tja, und es
stellen sich noch weitere Frage: Was ist mit den vielen Burgen, die auf
den früheren Karten abgebildet sind? Nah bei Mytilini ist sogar eine
griechische Ruine eingezeichnet. Aber wo ist das Kastell von Molyvos?
Und überhaupt, wo sind all die Burgen und Tempel hin?
Tja, die Karten sind wie Schatzkarten und ein manches Mal beschleicht
mich dasselbe Gefühl, das ich hatte, als ich in Ägypten, bei Luxor, das
Tal der Könige besuchte, wo sich unter der Erde, auf der ich lief, noch
mehrere unentdeckte Gräber sein müssen, denn man hat ja noch nicht alle
Pharaonen gefunden.
Auf
jeden Fall gibt das antike Kartenwerk preis, dass sich Lesvos im Laufe
der Jahrhunderte ganz gehörig verändert hat: Flüsse sind zurückgegangen,
Burgen und Tempel vollständig verschwunden. Wie hoch der Meeresspiegel
war, ist aus den Karten nicht ersichtlich, aber angesichts der vielen
Inselchen und großen Flussmündungen ist meine Vermutung, dass er höher
lag. Also, vielleicht entsteigt dem Meer eines Tages eine wunderschöne
Ruine, obwohl an dem Fleck, wo ich auf den Karten Eftaloú vermute, keine
alten Burgen eingezeichnet sind, was ja aber nichts heißt, denn die Burg
von Molyvos ist ja auch nicht darauf zu finden, und das, obwohl
Mithymna (alter Name von Molyvos) in der Geschichte stets eine
bedeutende Rolle spielte, und zwar seit dem 15. Jahrhundert m i t
Burg.
|