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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Eine "Rasta-Orchidee" (Comperia comperiana)
2.Juni 2011 - Orchideenjagd
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Orchideen bilden die größte Blumenfamilie, die wir auf Erden kennen. Mit
ihren 21.000 - 26.000 offiziell anerkannten Spezies sind sie selbst
doppelt so zahlreich, wie es Vogelarten gibt und gar viermal so
massenhaft wie derzeit lebende Säugetiere. Ihre Schönheit wird weltweit
gerühmt, aber wenn man sich
mit
der Geschichte dieser Pflanze befasst, muss man zugeben, dass sie auch
sehr gefährlich ist, denn sie macht seit je her buchstäblich und im
übertragenen Sinne so manchen Sammler kopflos. Tja, eine gefährliche
Passion die Orchideenjagd...
Im
Viktorianischen Zeitalter (19. Jahrhundert), als die ersten asiatischen
Orchideen aus fernen Ländern Europa erreichten, grassierte ein
regelrechtes Orchideenfieber, das viele Opfer forderte. Europäer wurden
in die unerforschten Tiefen der Urwälder von Borneo, Kolumbien und Peru
geschickt, um neue Orchideenarten aufzuspüren und nach Europa zu
verschiffen. Diese gefährlichen Expeditionen musste manch ein Gesandter
mit dem Tode bezahlen: Sie ertranken in reißenden Flüssen, wurden von
Schlangen gebissen, von Kannibalen gefressen, starben an Malaria oder
einer anderen Tropenkrankheit, und das selbst noch im 20. Jahrhundert.
Um 1900 zog es eine 8-köpfige Forschergruppe zum Orchideensammeln auf
die Philippinen, mit folgendem Ergebnis: Ein Teilnehmer wurde von einem
Tiger gefressen, ein anderer wurde versehentlich mit Öl übergossen, das
sich entzündete, so dass er bei lebendigem Leib verbrannte, fünf weitere
aus der Gruppe sind einfach auf Nimmerwiedersehen verschwunden, tja,
aber der einzige Überlebende kehrte mit 7.000 Orchideenarten im Gepäck
in die Heimat zurück! Jahrzehnte später hielt ein Volksstamm auf
Papua-Neuguinea einen Trupp Orchideenjäger monatelang fest und hatte
einigen von ihnen bereits den Kopf abgeschlagen, bevor ein
losgeschicktes Rettungsteam zur Hilfe eilen und die anderen befreien
konnte.
Die
Geschichten derer, die sich in fremden fernen Ländern auf Orchideensuche
machten und dieses Abenteuer überlebten, sind meist mit Blut getränkt.
Haben sie nicht, im wahrsten Sinne des Wortes, ihren Kopf auf dem
Hackklotz verloren, so wurden sie doch zumindest Zeugen grausamer
Kriege, barbarischer Stammesrituale und Foltermethoden. Tja, und dann
konnte es ihnen noch passieren, das, hatten sie endlich ein Dorf voller
atemberaubend schöner Orchideen gefunden, diese dermaßen übelriechende
Duftstoffe verbreiteten, dass es unmöglich war, sich ihnen zu nähern.
Übrigens, nicht dass Sie jetzt davon ausgehen, dass Menschen, die Blumen
lieben, gleich auch von gutem Charakter sein müssen. Nein, denn
Orchideenjäger bekämpften sich gegenseitig bis aufs Blut, verbrannten
Gebiete, wo sie schöne Exemplare gefunden hatten, vernichteten alles,
was sie nicht mitnehmen konnten und richteten so riesigen Schaden an,
nur damit die Konkurrenz nicht finden konnte, was sie entdeckt hatten.
Neidvoll beobachtete man, wie Mitstreiter ihre Orchideenfunde
verschifften, und versuchte ungesehen auf die kostbare Fracht zu
urinieren, in der Hoffnung, dass die Pflanzen dies nicht überstehen,
obwohl ohnehin viele der kostbaren Blumen kaputt gingen: Die exotische
Ladung überstanden die unendlich lange Seereise nicht, oder das Schiff
versank oder brannte aus.
Auch heute gibt es sie noch, die Jäger und Sammler der Orchideen, und da
Exemplare aus Asien das meiste Geld einbringen, trifft man dort auch auf
die eigenartigsten Menschentypen, die sich auf die Suche machen. In
seinem Buch „Orchideenfieber“ gibt Eric Hansen wohl den besten Einblick
in diese exzentrische Leidenschaft und den süßen Wahn dem die
Orchideenverrückten verfallen können.
In
Griechenland, wo rund 200 Orchideenarten aufzuspüren sind, trifft man
meist auf Orchideenjäger harmloser Natur, die weder an Handel noch
Schmuggel interessiert sind, sondern die Exemplare „schießen“, und zwar
mit dem Fotoapparat. Bevor die Möglichkeit bestand, so ein
fotografisches Herbarium anzulegen, wurden die Blumen in klassischer
Manier getrocknet und gepresst oder naturgetreu nachgezeichnet.
Zwischen 1879 und 1889, als sich am anderen Ende der Welt Orchideenjäger
im Dschungel verirrten, wurden auch auf Lesvos Pflanzen wissenschaftlich
untersucht, darunter auch Orchideen: Der Botaniker C.A. Candargy und
sein Sohn P.C. Candargy beschrieben seinerzeit 27 Sorten. Von Tigern
oder Kannibalen wurden Vater und Sohn zwar nicht gefressen, aber sie
gingen spurlos in der Geschichte verloren: Ihr Herbarium hat man bis
heute nicht gefunden und, bis auf minimale biografische Spuren, ist das
einzige was von ihnen übrig geblieben ist, ihr 1889 publiziertes
Büchlein „Flore de L’Ile de Lesbos“.
Man
sagt, dass auf Lesvos so zwischen 70 – 90 Orchideenarten zu finden sind,
wovon ein Dutzend sehr selten ist, und die Suche nach ihnen kann sich
recht freudvoll gestalten, denn sie führt einen unerwartet zu den
schönsten Plätzen der Insel.
Mich würde so eine Orchideenmanie verrückt machen, denn Lesvos ist so
groß, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, an jedem Fleckchen nach
ihnen zu suchen. Ohnehin haben diese Pflanzen die Neigung, sich
äußerlich völlig ihrer Umgebung anzupassen, so dass man sie einfach
übersieht, egal wie groß sie auch sein mögen.
Außerdem muss man noch zur richtigen Zeit am richtigen Fleck sein, denn
ansonsten ist sie bereits verblüht oder noch nicht erblüht.
In
der letzten Woche, habe ich an einer Orchideenjagd in der Nähe von
Megalochori teilgenommen, wo einige seltne Exemplare stehen sollen. Da
ich keine Orchideen-Fanatikerin bin, lasse ich mich gern auch von
anderen Blumen begeistern. Man versprach mir, dass ich Pfingstrosen zu
sehen bekomme, aber sie waren bereits verblüht, ebenso wie einige Tulpen
und Fritillaria (Schachbrettblumen, in Norddeutschland auch Kiebitzei
genannt). So war ich ein wenig enttäuscht, aber es gab glücklicherweise
viele wunderschöne Orchideen dort, und Trost fand ich darin, dass ich es
war, die eine Rarität aufspürte, eine Bartorchis (Comperia comperiana).
Es sieht so aus, als habe sie einen langen verrückten Haarwuchs, und so
gab ich ihr den Namen „Rasta-Orchidee“.
Nicht nur die, die auf sie Jagd machen sind ein bisschen verrückt,
sondern die Orchideen selbst auch, denn sie setzen alles daran, ihr
Umfeld zu verführen, und zwar mit den extravagantesten Farben, Düften
und Formen. So forcieren sie ihren Fortbestand, denn die Insekten können
nicht widerstehen und helfen bei der Befruchtung.
Der
späte Sommer – der sich übrigens morgens und abends noch immer recht
kühl anfühlt – hat einen Vorteil: Die gesamte Natur hinkt ein bisschen
hinterher, so dass die Touristen, die Lesvos nur von den Maimonaten der
vergangenen Jahre her kennen, überrascht wurden mit einer Explosion von
Blüten und einem fast tropisch grünen Eiland.
Für
Orchideenjäger bedeutet es Planänderung und Verwirrung: Die Sorten, die
sie normalerweise im Mai aufspüren konnten, sind wegen des Wetters noch
nicht oder gar nicht zu finden. Aber es bedeutet ebenfalls, dass die im
Februar auf Lesvos startende Orchideensaison dieses Jahr bis in den Juli
hinein andauern wird...
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