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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Ein Nest mit Pinien-Prozessionsraupen
15.März 2011 - Hilfe, sie fressen die Insel auf!
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Griechenland ist nun nicht wirklich ein Land, welches an einen Urwald
voll mit gefährlichen Tieren denken lässt. Verborgen unter einem Stein,
kann man mal einen Skorpion entdecken, vor allem im Frühjahr, begegnet
einem ab und an eine Schlange, von denen aber die meisten nicht giftig
sind, auch gibt’s hier angriffslustige Spinnen, deren Anblick einen aber
glücklich machen sollte, denn es ist schon sehr außergewöhnlich, solch
ein bissiges Exemplar zu sehen, tja, und dann kann es noch passieren,
dass eine Qualle Sie im Meer streift oder eine Wespe Sie auf einem Ihrer
Spaziergänge sticht, aber das war es dann auch schon, und in der Regel
bleibt es bei einem schmerzhaften Erlebnis.
Und
doch gibt es da ein recht unschuldig aussehendes Tierchen, das Tod und
Verderben bringt, zwar nicht unter den Menschen, aber es kann Tiere
töten und lässt junge Bäume sterben: Der Pinien-Prozessionsspinner (Thaumetopoea
pityocampa). Wahrscheinlich hat Ihren Weg noch keine Prozession von
Raupen gekreuzt (zur Verpuppung schlurfen Tausende von Raupen in
Formationen von bis zu 30 aneinander geketteten Exemplaren durch die
Landschaft), aber sicherlich haben Sie schon ihre Nester gesehen, die
wie dicke weiße Zuckerwatte an den Enden der Zweige hängen. In den
Niederlanden ist es hauptsächlich die Eichen-Prozessionsraupe, die der
Natur großen Schaden bringt. In den Mittelmeerländern, wie Spanien,
Frankreich und Griechenland ist es die Pinien-Prozessionsraupe, die
einen ganzen Wald auffressen kann.
Die
Namen sagen alles: Die eine Sorte hat ihre Gespinste in Eichen und die
andere, Kiefern, wie z.B. hier auf Lesvos. Nach dem Sommer, beginnen die
Raupen ihre Nester zu bauen. Sie versammeln sich an den äußeren Enden
der Zweige und spinnen dort eine wollig aussehende Kugel, in die sie
sich kuscheln. Während des Tages sind die Tierchen nicht zu sehen, aber
in der Nacht gehen sie wie Diebe auf Beutezug, um sich an den Zweigen
satt zu fressen. In der Morgendämmerung kehren sie in ihr Gespinst
zurück. Wenn Sie so ein Nest sehen, werden Sie feststellen, dass der
gesamte Ast nahezu kahl gefressen ist, und bei jungen Bäumen kann es der
Fall sein, dass er sämtliche Nadeln verliert. Wie man weiß, sind die
Blätter, bzw. die Nadeln, die Lunge eines Baumes, und ist dieses Organ
beschädigt oder gar nicht mehr vorhanden, stirbt die Kreatur.
Solange die Biester ruhig in ihren Nestern bleiben und man ihnen nicht
begegnet (es sei denn Sie machen eine Nachtwanderung), liegt keine
Gefahr für Mensch und Tier in der Luft, aber dann, im Frühjahr, so in
den Monaten März und April, verlassen die Raupen, ordentlich in Reih und
Glied, ihre Nester, um irgendwo in die Erde zu kriechen, wo ihre letzte
Phase in einem braun gefärbte Kokon stattfindet, dem sie dann in der
Mitte des Sommers als Schmetterling (Prozessionsspinner) entschlüpfen.
Während der Verpuppung sollte man den Raupen besser nicht begegnen, denn
wenn sie sich bedroht fühlen, richten sich flugs ihre nesselnden
Brennhaare auf (eine großes Exemplar kann bis zu 63.000 davon haben),
die sich an allem, ob Kleidung oder sonst was, wie Kletten festpappen
können. Tja, und so eine Berührung kann erhebliche Haut- und
Augenreizungen verursachen und bei manchen Menschen sogar einen
allergischen Schock auslösen. Für Hunde und Katzen, deren Zunge mit den
Haaren in Kontakt kommt, kann das sogar tödlich enden.
Den
meisten Schaden richten die Pinien-Prozessionsraupen an Bäumen an. Am
Ende des Sommers, legt das Schmetterlingsweibchen eines
Pinien-Prozessionsspinners Hunderte von Eiern. Die Raupen, die daraus
kommen, haben solch starke Kiefern, dass sie die Nadeln der Bäume
verzehren können. Der Nachwuchs streunt erst einmal für sich allein
durch die Gegend, aber sobald der Winter naht, rotten sie sich zusammen
und bauen ihre zentralen Gespinste. Man kann sich vorstellen, welch eine
Auswirkung ein solches Nest voller gefräßiger Raupen für einen Baum hat,
geschweige denn, wenn mehrere davon an
ihm
hängen!
Fährt man derzeit durch das mit Kiefernwäldern bewachsene Herz der
Insel, ist nicht zu übersehen, wie viele Nester in den Bäumen sitzen: Es
sind hunderte, wenn nicht tausende! Auf dem Weg von Kalloni nach Vatera,
habe ich junge Bäume gesehen, die all ihr Nadellaub abgeworfen haben,
und die größeren, mit mehreren Nestern, sahen, gelinde gesagt, belämmert
aus. Mir fiel zudem auf, dass alle Bäume rund um Vatera, also auch
Oliven und Palmen, ziemlich schlecht aussehen, aber vor allem die
Kiefern leiden erheblich unter den Prozessionsraupen, und wenn dieser
Zustand zu einer echten Plage auswächst, wird man sich von dem grünen
Herzen dieser wunderschönen Insel wohl alsbald verabschieden können.
Denn sind erstmal die Kiefern weg, werden die Raupen womöglich
umgeschult, besuchen einen Kurs mit Namen „Das Blattwerk der
Olivenbäume“ und fressen alsdann die ganze Insel kahl...
Was
kann man machen? Sah man früher noch die Lösung des Problems darin, von
Flugzeugen aus chemisches Pflanzenschutzmittel zu versprühen, weiß man
inzwischen, dass man damit nicht nur die Raupen sondern vieles mehr
tötet, und so greift man nun zu biologischen Waffen, die jedoch
gepfefferte Preise haben. Ich bezweifele stark, dass eine Insel, der das
Geld fehlt, dringend notwendige Straßenausbesserungsarbeiten
auszuführen, die Euros für diese kostbaren umweltfreundlichen
Pflanzenpestizide hat. Eine andere Möglichkeit wäre, die Nester zu
verbrennen. Wegen der herumfliegenden Haare, scheint diese Arbeit
lebensgefährlich zu sein, und manch ein Wissenschaftler bestreitet die
Effektivität dieser Methode. Aber wäre das nicht eine großartige Aufgabe
für die Armee?....
Während die Kälte aus der Luft gewichen ist und die Temperaturen in die
Höhe schießen, stehen viele Bäume nun belagert und kläglich da. Der
Winter war nicht kalt genug, um die Raupen zu vernichten (sie scheinen
Frost bis zu –16 Grad abzukönnen), und nun sind sie mit Mann und Macht
damit beschäftigt, die Insel aufzufressen.
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