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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Affodill und Mandelblüte
2.März 2011 - Zwischen Hoffnung und Hades
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Es
ist der Mandelbaum, der als erster unter den Bäumen im Jahr seine Blüte
präsentiert und das oft bereits im Januar. Derweil die Anemonen in
diesem Winter recht früh ihre Knospen öffneten, und zwar schon seit
November (!), ließ die Mandelblüte in diesem Jahr auf sich warten. Erst
jetzt fangen die Baumkronen an, nach und nach in ihre wunderschönen
rosa-weiße Wolkenkleider zu schlüpfen. Auch Vincent van Gogh faszinierte
dieses zauberhafte Blütenspiel, und eines seiner bekanntesten Werke sind
die blühenden Zweige eines Mandelbaums, die er für seinen Bruder Theo
auf die Leinwand bannte, als dessen Frau ein Kind gebar. Welch ein
Farbkontrast: Das zarte luftige weiß-rosa, wie schwebend, vor einem
strahlendblauen Firmament! Uns, die wir im Norden der Insel leben,
entgeht dieser Anblick dieses Mal leider, denn nach Monaten voller
Sonnenschein und mit frühlingshaften Temperaturen, bekommen wir es nun
doch noch mit dem Winter zu tun: Grauer Himmel und ein kalter Nordwind
umfängt uns. Aber, obwohl wir die Farben van Goghs vermissen, wenn wir
derzeit unter einem blühenden Mandelbaum stehen, kann dies nicht das
Gefühl der Leichtigkeit verhindern, dass einen überfällt, wenn man die
Schönheit und den betörenden Duft der zauberhaften weißrosa Blüte in
sich aufnimmt. Die Sehnsucht nach dem Frühling, der vor der Tür steht,
wird geweckt, und so ist der Mandelbaum ein Sinnbild der Hoffnung und
Inspiration für wunderschöne Geschichten.
Demophon war einer der Söhne von Theseus. Mit vielen griechischen
Kriegern und Halbgöttern zog er in den Trojanischen Krieg. Auf seiner
Rückreise begegnete er Phyllis, der Tochter des Königs von Thrakien, und
sie verliebten sich ineinander. Die Hochzeit wurde geplant, aber der
Bräutigam wollte zunächst zurück nach Athen, um einige Angelegenheiten
zu klären, versprach jedoch so bald als möglich zurückzukehren. Phyllis
wartete und wartete.... Einige Mythen berichten, dass sie jeden Tag zum
Meer ging und dort Stunden um Stunden Ausschau nach ihrem Geliebten
hielt, andere erzählen, sie habe vor einem Altar auf ihn gewartet, bis
zu dem Tag, als sie sich vergessen glaubte und sich den Tod gab. Die
Göttin Athene erbarmte sich ihrer und verwandelte sie in einen
Mandelbaum. Demophon, der in Athen immer wieder an seiner Rückkehr
gehindert wurde, fand ihn vor, als er endlich, aber zu spät, nach
Thrakien zurückkehrte. Die Legende sagte, dass der Baum noch kahl war,
aber als der verzweifelte Demophon ihn umarmte, Blüten über Blüten sich
an den Zweigen öffneten.
Auch in Portugal erzählt man sich eine nette Geschichte über den
Mandelbaum: Ein maurischer König heiratete einst eine norwegische
Prinzessin und lebte mit ihr an der Algarve. Jedoch konnte die
wunderschöne Vegetation mit ihrer frühen Blütenpracht und all das
zauberhafte Vögelgezwitscher nicht verhindern, dass die Prinzessin sich
nach ihrer schneebedeckten Heimat sehnte, immer depressiver wurde und
sich in ihren Gemächern verkroch, wo sie alle Fensterläden und Vorhänge
geschlossen hielt, da sie den Anblick der Landschaft nicht mehr ertragen
konnte. Es war Anfang März, als der König den Befehl gab, alle Türen und
Fenster des Palastes zu öffnen und seine Gemahlin zwang,
hinauszuschauen. Tja, und was erblickten da ihre Augen? Ein strahlendes
Weiß überzog den Grund und ließ ihr Heimweh verschwinden. Tausende von
Mandelbäumen hat ihr Gemahl für sie pflanzen lassen, nun war die grüne
Landschaft überzogen von einem weißen Blütenteppich, und so geschah es,
dass der König und seine Prinzessin glücklich und zufrieden dort
gemeinsam lebten, und wenn sie nicht gestorben sind...
Während ich durch die „Schneelandschaft“ schlenderte fiel mir auf, dass
es nicht die einzige frühlingshafte Blütenpracht ist, sondern der
„Asphodelus aestivus“ (Affodill) ebenfalls bereits seine Blüten
hervorstreckt, die denen der Mandel aus der Ferne sehr ähneln, und doch
unterschiedlicher nicht sein können: Streckt sich das Meer der
Mandelblüte vom Himmel hinab, so schießen die Blüten des Affodill hart
aus dem Erdengrund nach oben. Die betörend duftenden Blüten der Mandel
erscheinen wie ein Himmelsgeschenk, während Asphodelen angeblich aus der
Unterwelt, dem Hades, entspringen. Und ihr Duft? Nun, ihre Schönheit
brachte mich in einem Jahr dazu, einen Strauß zu pflücken, um sie daheim
in die Vase zu stellen. Einmal und nie wieder: Sie stinken!
Obwohl diese Pflanzen, als Vorboten auf das Leben im Hades, einst um
Gräber gesetzt wurden, sehe ich diese Schönheiten als Vorboten des
Frühlings an.
Einst war sie die Lieblingsblume der Persephone (Tochter des Zeus und
der Demeter), die vom Gott der Unterwelt, Hades, entführt wurde. Auf
vielen Abbildungen trägt sie einen Kranz aus diesen Blumen auf dem Kopf.
Wahrscheinlich stinkt es dermaßen in der Unterwelt, dass man ihren
Geruch dort ertragen kann. Eigentlich ist es ja schade, dass sie so
einen stechend beißenden Geruch haben (den man allerdings nur wahrnimmt,
hält man die Nase direkt darüber), denn es gibt sie derzeit genau so
zahlreich in ihrer weißrosa Blütenpracht, wie Mandelbäume. Die gelbe Art
aus der Gattung („Asphodeline lutea“) ist eine beliebte Pflanze in den
Gärten Westeuropas, aber hier schmückt nun mal die wilde weiße
Ausfertigung die Felder und kann in ihrer Pracht der Mandelblüte
durchaus das Wasser reichen. Es ist ungerecht, dass sie so wenig
gewürdigt wird.
Die
Pflanze gehört zu der Lilienfamilie und entwächst einer Knolle. Zu
übersehen ist sie mit einer Wuchshöhe bis zu einem Meter nicht. Während
Homer sie in seinem Epos „Qdyssee“ als Blume aus dem Totenreich
präsentierte, riet der römische Gelehrte Plinius, sie ums Haus zu
pflanzen, um so Hexen fernzuhalten. Theophrastos schreibt, dass es die
Knollen sind, die am besten schmecken, und so liebte man es, diese
zusammen mit Feigen zu genießen. Das Lieblingsgericht des Pythagoras
waren sie auch, und zwar gegart in heißer Asche, mit Salz und einem
Schuss Öl drüber. Ein Brei aus gekochten Knollen wurde gegen Muskel-,
Gelenk- und Nervenschmerzen eingesetzt, das Fleisch der unbehandelten
Knolle sollte bei Sommersprossen helfen, und der Affodill-Samen,
mariniert in Wein, galt als gute Medizin bei einem Schlangenbiss. Tja,
man kann sagen, eine Pflanze, von der man was hat, und nun steht sie da,
mit ihrem eleganten Aussehen im Schatten der Mandelblüte. So klar und
typisch für die frühlingshafte Insellandschaft und leider so enorm
verkannt.
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