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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Das “Freilichtmuseum” bei Alt-Ántissa
8.Juni 2011 - Überraschungsmüll
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Die
Natur auf Lesvos ist immer noch sehr grün, obwohl der eingekehrte Sommer
inzwischen ernsthaft versucht, die Landschaft gelb zu färben. Aber die
Insel ist auch noch auf eine andere Art und Weise dabei, stets grüner zu
werden: Man hat damit begonnen, sie endlich von Abfall zu säubern und
den Müll zu trennen.
In
diesem Frühjahr hat die Umweltgruppe „Lesvos Go Green“ einen Flyer
ausgeteilt, der darüber informiert, wo man seinen Sondermüll, wie
Batterien, Elektrogeräte, Altautos, Pfandflaschen, Farbreste, altes
Frittieröl, etc. loswerden kann. Man muss zwar noch ein bisschen nach
den entsprechenden Containern suchen, aber es gibt sie, und so wird
Lesvos hoffentlich immer grüner und grüner.
„Recycling Aegean“ kam 2001 nach Lesvos und hat sich inzwischen in
Mytilini zu einem Großunternehmen gemausert. Vor allem Eisen, Altmetall,
Reifen, Schrottautos und Verpackungsmaterialien werden von dieser Firma
einer neuen Verwendung zugeführt. In Tonnen aufgelistet, landen jährlich
bei „Recycling Aegean – Mytilini“: Schrott = 1.300, Draht = 10,
Batterien= 40, Altpapier (hauptsächlich Bücher) = 40,
Aluminiumverpackungen = 30.
Obwohl es auch noch ein zweites Recyclingunternehmen in Mytilini seinen
Sitz hat, bedeutet dies leider nicht, dass die illegalen Mülldeponien,
welche das wunderschöne Landschaftsbild der Insel verschandeln, der
Vergangenheit angehören, denn die Frage ist, wie man all den Abfall zu
den Verwertungsanlagen kriegt. Nun, einige Klüngelskerle (so nennt man
diese Schrotthändler im Ruhrgebiet, Anm. der Übersetzerin), wie z.B.
Zigeuner, gibt es schon, die kreuz und quer über die Insel fahren und
Altmetall einsammeln, denn der durchschnittliche Einwohner von Lesvos
fährt bestimmt nicht jede Woche in die Hauptstadt, um seinen Abfall in
einer Recyclingfirma zu entsorgen (obwohl, ich habe schon einige Leute
sagen hören, dass sie ihre Plastikflaschen sammeln, um sie bei der
nächsten Gelegenheit mit zu den in Mytilini aufgestellten Containern zu
nehmen). Na, hoffentlich gibt’s demnächst bessere Informationen, wie
z.B. den Flyer von „Lesbos Go Green“, wo man was, auch außerhalb von
Mytilini, lassen kann, um den Menschen hier den Schritt zur Mülltrennung
zu erleichtern und diese dadurch zu forcieren.
Das
nächste große Problem ist das Entsorgen von Hausmüll. Bereits 2009
erschien das Essay
"Moving
Up the EU Waste Hierarchy in Remote Area, Exploring the Case of Lesvos
Island, Greece, von Faikham Harnnarong", in dem schon ziemlich
genau das prophezeit wird, was jetzt passiert ist.
Irgendwo in den Bergen, zwischen Mytilini und Mandamados ist jetzt die
zentrale Abfalldeponie der Insel. Da stellt sich doch logischerweise das
Problem, wie all die Müllwagen dorthin kommen sollen, ich schreibe jetzt
von denen, die z.B. aus Molyvos, Plomari, Sigri und Polichnitos kommen.
Sollen sie sich etwa jeden Tag auf eine 3-stündige (Hin- und Rückfahrt)
Reise begeben? Hinzu kommen die Unmengen an Spritkosten (der Benzinpreis
steigt und steigt) und die Tatsache, dass aufgrund der Wirtschaftskrise
kein Geld vorhanden ist, um größere LKWs anzuschaffen oder mehr Personal
einzustellen. Tja, und nun haben die Menschen in den abgelegenen
Gebieten, wie z.B. wir hier im Norden, ein riesiges Problem: Die lokale
Müllkippe wurde geschlossen... und jetzt? Wohin mit unserem Müll???
Die
Gemeinde von Molyvos hat eine „Lösung“ gefunden, die ihre Bewohner auf
die Barrikaden bringt und sie rebellieren lässt: Auf dem Platz, wo die
Müllwagen und andere städtische Betriebsfahrzeuge nach getaner Arbeit
abgestellt werden, ist nun ein riesiger Container aufgestellt worden, in
den der Hausmüll des gesamten Dorfes täglich abgekippt wird, und zwar
völlig ungeachtet der Tatsache, dass in direktem Umfeld, Menschen
(Familien mit Kindern!) wohnen, die nun konfrontiert werden mit
Abfallgestank sowie Lärm und Dreck von LKWs, die ca. 30 mal am Tag,
Staub aufwirbelnd und mit rücksichtlosem hohen Tempo, an ihren Häusern
vorbeidonnern. Versprochen wurde, dass der Abfallcontainer jeden 2. Tag
zur Zentraldeponie gefahren wird, tja, da hat man sich wohl versprochen,
aber selbst wenn man das eingehalten hätte, wäre es in keinster Weise
eine Verbesserung der Situation, denn der Müll der sich dort stapelt,
stinkt bereits nach einer Stunde zum Himmel und ist – wie jedermann weiß
– zudem noch höchst gesundheitsschädigend.
Auch das Städtchen Pétra kennt Probleme mit dem Abfall. Viele
Angestellte der Gemeinde werden seit Monaten nicht bezahlt, mit der
Folge, dass der Müll manchmal erst gar nicht eingesammelt wird. In der
letzten Woche sah ich, dass die Armee damit beschäftigt war, Strand und
Straßen von Abfallbergen zu befreien.
Sie
sehen, die Probleme sind trotz der Deponien und Recyclingunternehmen
groß. Aber sehen wir es mal so: Der Wille, es zu ändern, ist da, die
ersten Schritte sind gemacht, und jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass
die Krise bald ein Ende findet, damit die logistischen Schwierigkeiten
bald der Vergangenheit angehören.
Wenn Sie den Strand von Kámpos längst der Küste nach Alt-Àntissa fahren,
führt der Weg entlang eines Flusses, an dem noch Tonnen von altem Eisen
stehen. „Recycling Aegean“ würde sich die Finger bei diesem Anblick
lecken: Recycling-Material vom Feinsten, nämlich ausgediente
Lastkraftwagen und Bagger, dutzendweise, die, gereinigt und poliert,
reif für ein Museum wären. Viele Museen in Griechenland haben wegen der
Wirtschaftskrise ihre Türen schließen müssen, denn der Staat hat kein
Geld mehr, um das dafür nötige Personal entlohnen. Tja, und dieses
„Freilichtmuseum“ hat gar keine Aufseher nötig (darum werden die
Fahrzeuge auch nicht herausgeputzt), denn es liegt auf einer von
jedermann befahrenen Straße, und es gibt weit und breit keinen anderen
Weg, so dass man durch dieses Museum fahren muss, ob man nun will oder
nicht. Ich bin überzeugt davon, dass der ein oder andere Liebhaber
dieser alten LKWs und Baumaschinen aus dem Auto springt, um diese
museumsreifen Stücke auf einem Foto festzuhalten.
Wollen wir mal hoffen, dass Sammler solcher alter Autos nicht auf die
Idee kommen, diesen organisierten „Schrottpark“ zu beseitigen, denn
dieses „Drive-in-Freilichtmuseum“ ist doch ein gutes Beispiel dafür, auf
welch überraschende Art und Weise einige Bewohner unserer Insel mit
Abfall umgehen...
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