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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
2 Zikaden Foto: Internet
3.August 2011 - Gesänge
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Auf
den griechischen Inseln, so wie z.B. auf Lesvos, kann sich im Sommer
schon mal die Zahl der Bewohner verdoppeln, wenn nicht gar
verdreifachen, was logischerweise mit sich bringt, dass die Geräusche
zunehmen und es lauter wird. Die Jugendlichen haben Ferien und somit
alle Zeit der Welt, mit, oft aufgemotzten, Mopeds und Motorrädern ihre
Runden zu drehen, auf den Straßen und Wegen ist nahezu der gesamte
Fuhrpark mancher Autovermieter unterwegs, Taxen fahren den ganzen Tag
hin und her (sofern sie nicht gerade streiken, was jetzt 3 Wochen lang
der Fall war), und die Festland-Griechen, die mit ihrem Auto kommen,
machen den sommerlichen Fahrzeugpark auf der Insel komplett.
Es
ist ja nicht allein die Hitze, sondern auch der Straßenlärm, der das
Leben in einer Stadt nicht gerade beneidenswert macht. Da kann man doch
besser auf dem Land bleiben, obwohl auch dort die Sommermonate Garanten
für Lärmbelästigung sind. Eigentlich sind die Geräusche im Sommer eine
Art Kakophonie, vor allem, wenn die Zikaden die heißen Luftströme
nutzen, um unablässig ihren Gesang in die Welt zu schicken.
In
dieser Woche wollte ich somit eigentlich über diese lauten Gesellen
schreiben, durchforstete das Internet für weitere Informationen und
stolperte dabei über die großartige Kolumne „Singing Cicadas of the
Muses of Pieria“, geschrieben von Nina Fotiadou. Sie schreibt alles
darin, was ich auch anführen wollte, leider nur auf niederländisch, und
darum empfehle ich den deutschsprachigen Lesern einfach mal bei
Wikipedia die „Singzikaden“ zu googeln.
Na,
hätte ich über die Zikaden geschrieben, wäre es bestimmt nicht eine
solch schöne Geschichte geworden, wie Nina Fotiadou sie verfasst hat,
denn u.a. schreibt sie, dass die Singzikaden den Göttinnen der Künste,
die wohl nordwestlich vom Olymp, im sagenumwobenen Pieria-Gebirge,
beheimatet waren, ihr Dasein zu verdanken haben. Aber soviel ich weiß,
gibt’s hier keine Musen, die still und heimlich Grillen fabrizieren.
Uups, jetzt hätte ich bald ein Fehlerchen eingebaut: Zikaden meine ich!
Ja,
Grillen und Zikaden werden häufig verwechselt, drum war das Erste, was
ich tat, bevor ich die Kolumne anfing, unseren Garten zu observieren, um
festzustellen, mit welchen Radaumachern wir es hier zu tun haben. Das
Ergebnis: Ohne Zweifel, sind es die Zikaden, denn ihr Gesang ist nicht
nur lauter, sondern sie produzieren diese ohrenbetäubenden Geräusche
auch ganz anders. Mit ihren Muskeln bringen sie die auf ihrem Korpus
befindlichen Schallplättchen zum Vibrieren, und ein großer Luftsack
unter dem Singmuskel im hohlen Hinterleib sorgt für die Resonanz. Die
Grillen hingegen erzeugen ihre Laute, indem sie ihren rechten
Vorderflügel ganz schnell über die Hinterkante des anderen Flügels hin
und her bewegen, was man Stridulation nennt.
Grillen und Zikaden waren früher beliebte Haustiere. Als Kind habe ich
gelernt, dass der alte Kaiser von China einst Nachtigallen hielt, um
sich an ihrem Gesang zu erfreuen, aber offenbar nutzte man auch Grillen
und/oder Zikaden als Hintergrundmusikanten. Naja, so richtig vorstellen
kann ich es mir nicht, wie man gemütlich da sitzt, ein Tässchen Tee auf
dem Schoß, um sich ganz entspannt den Zikadenklängen hinzugeben, denn,
ehrlich gesagt, mir vibrieren die Trommelfelle, wenn ich mich einem Baum
nähere, in dem nur eine Zikade hockt.
Grillen machen hingegen ein viel sanfteres Geräusch, welches fast
lieblich in den Ohren klingt. Sollten all diese historischen Schreiber
vielleicht auch die beiden Tierchen verwechselt haben? Ich habe eine
Webseite für Sie herausgesucht:
“Grillen und Zikaden im Gespräch“ Hören Sie sich das mal an, und
achten Sie darauf, wer in dieser Konservation die Oberhand gewinnt.
Meine Ohren schmerzten selbst beim Lauschen dieser Geräusche per
Computer!
Ich
denke, die griechischen Geschichtsschreiber waren auf jeden Fall
diesbezüglich ziemlich verwirrt. Nehmen wir nur mal die Fabel „Die
Ameise und die Heuschrecke“ des berühmten griechischen Dichters Äsop
(eingedeutscht: Aesop), in der also ein drittes Insekt auf den Plan
rückt, das mit Grille und Zikade verwechselt werden kann, und von dem
einige Arten zu meiner Überraschung auch „singen“ können. Nein, es ist
nicht das Geräusch, was sie erzeugen, wenn sie massenhaft leckere grüne
Blätter vertilgen, sondern, wie die Grillen, stridulieren sie. Ihr
„Gesang“ ist jedoch, verglichen mit dem der Grillen und Zikaden, viel
leiser.
Während ich nun hier sitze und schreibe, rege ich meine Ohren
verzweifelt zu Hochleistungen an, um festzustellen, wessen
ununterbrochenes Konzert aus den Bäumen zu mir herüber schallt: Ist es
das der Zikaden, Grillen oder doch der Heuschrecken? An diesem Morgen
ist es angenehm kühl, dank einer Brise vom Meer, und der Geräuschpegel
der Insekten ist ebenso dementsprechend niedriger. Je wärmer es ist,
umso lauter werden sie in ihrer Unterhaltung, was ich als sehr unsozial
im Miteinander empfinde, denn gerade dann, wenn die Hitze unerträglich
wird und der Mensch mittags seine erholsame Siesta halten will, haben
diese Tierchen ihre Höchstform erreicht, und vor allem die Zikaden
schreien unaufhörlich und ohrenbetäubend in die Luft. Ein Nickerchen in
der Hängematte zwischen zwei von Zikaden besetzten Bäumen? Kann man
vergessen!
Der
Geräuschpegel richtet sich also nach der Temperatur. In Amerika nutzt
man diese Erkenntnis. Dort gibt es eine Grille, „Snowy Tree Cricket“ (oecanthus
fultoni), aus deren Gesangslautstärke mittels des „Dolbearschen
Gesetzes“ sich sehr zuverlässig die Lufttemperatur ermitteln lässt. Man
muss lediglich 13 Sekunden lang zählen, wie oft dieses, auch
Thermometergrille genannte Insekt, zirpt und zählt dann 40 hinzu, sodann
erhält man die Temperatur in Fahrenheit. Ich hab da so aus Erfahrung
meine eigenes Gesetz aufgestellt: Wenn´s in den Ohren schmerzt, zeigt
das Thermometer weit über 3o Grad an, aber weise auch gleichzeitig an
dieser Stelle darauf hin, dass dieses „Juliesche Gesetz“ nicht
wissenschaftlich untermauert ist.
Spät abends wird man Gott sei Dank nicht belästigt durch diese alles
übertönenden „Hintergrund“geräusche, dann jedoch erfolgt eine Belagerung
durch mucksmäuschenstille Motten und ab und an herumfliegende grüne
Dreiecke, die ein solch beinhartes Geräusch, wie ein vorbei fliegender
Düsenjet, produzieren. Das scheint die „Grüne Reiswanze“ (Nezara
viridula) zu sein, die hier ein hohes Aufkommen hat, dank der in der
Nachbarschaft angelegten riesigen Gemüsefelder, denn diese Wanze ist ein
leidenschaftlicher Gemüsefresser. Sie macht nur kurze Flüge, aber
während dieser geringen Entfernungen dreht sie ihre Motoren voll auf.
Es
begab sich einmal, dass ich von einem Insekt gestört wurde, dass aussah,
wie ein ferngesteuerter Spielzeughelikopter. Plötzlich hing es mit
fliegenden Bewegungen, laut und anhaltend brummend vor meiner Nase. Es
verlagerte sich,
wie
von einem Kind, das sich in den Büschen versteckt hielt, geduldig
ferngesteuert, auf den Tisch zu, wo es zum großen Vergnügen der
anwesenden Gäste, seine Kreise zog. Was das für ein mit Propellern
ausgerüstetes fliegendes Insekt war, hab ich bis heute nicht
herausgefunden, und wann immer ich mich zurück erinnere, wie es denn nun
aussah, fällt mir nur ein Hubschrauberchen ein.
Sollten Sie sich mal näher auf Insekten einlassen, so treten sie ein in
eine faszinierende und erstaunliche Welt, voll mit leuchtenden Farben,
futuristischen Formen von Fühlern, Flügeln, Schilden und Panzern, und
das alles begleitet von einer elektronisch anmutenden Geräuschkulisse.
Natürlich kann dieser „Gesang“ lästig sein, wenn man gerade unter einer
Hitzewelle leidet, aber Fakt ist doch, dass wir gratis und ständig
Naturkonzerte hören können, die ich, wie eine chinesische Kaiserin,
umgeben von solch singenden Haustieren, genieße. Tja, der Sommer bringt
eine wundersame Welt von Musikanten mit sich…
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