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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Die Windmühlen bei Ántissa
27.September 2010 - Hör, der Wind weht durch die Mühlen!
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Eines der stets präsenten und stärksten Geräusche hier auf der Insel ist
der Wind, wenn er durch die Zweige rauscht oder manchmal auch regelrecht
stürmt. Man hört die Böen schon, wenn sie noch in der Ferne sind, und
haben sie einen dann erreicht, so überrascht ein jeder Baum mit seinem
eigenen Klang, als sei er ein Instrument, dass sich nur allzu gern von
den Luftströmen bespielen lässt. Die Olivenbäumen erzeugen ein heiseres
Rascheln, während die Kiefern mit ihren langen feinen Nadeln massive
Paukenschläge hervorbringen, und gerade in den Tannenwäldern, die viele
Berge auf Lesvos bedecken, ist es ein Hochgenuss dem Windkonzert zu
lauschen.
Inzwischen hat unser Eiland neue Instrumente bekommen, und zwar gerade
da, wo der Wind nicht einem grünen Ast auf seinem Weg begegnet und sich
auf seinem Weg mit kahlen Hügeln zufrieden geben muss: Im kargen kahlen
Westen, dort, wo einst die prähistorischen Mammutbäume in den Himmel
reichten, bis sie vor tausenden von Jahren durch Vulkanausbrüche
zerschmettert wurden. Ausgrabungen ermöglichten es, dass einige
Exemplare noch heute im „Versteinerten Wald“ zu besichtigen sind. Doch
die meisten sind begraben in der Erde und nur noch unsichtbare stumme
Zeugen von dem einstigen riesigen Orchester, das bestimmt ohrenbetäubend
war, denn diese Baumriesen, Sequoias genannt, wurden mehr als 100 Meter
hoch, und was der Wind damit anstellen konnte...
Heute ist der Westen der Insel eine karge hügelige Landschaft, die sich
aber doch sehr attraktiv darstellt, denn die Falten der Berge
überraschen mit saftig grünen Oasen, durchzogen von Bäumen und
Wasserfällen, wie z.B. bei den Mühlen von Krinelou, etwas oberhalb von
Erresós, und wenn man dann noch bedenkt, dass der Boden unter den Füssen
voll von versteinerten Bäumen sein muss, so wächst die Ehrfurcht vor dem
eigentlich so kahl aussehenden Landstrich.
Aber ein Wandel dieser totalen Öde steht bevor, denn wenn Sie heute von
Ántissa Richtung Erresós und Sigri fahren, ist es schon von weitem
sichtbar: Windkraftanlagen, riesige moderne Windmühlen, sind auf 3
Hügeln installiert. Es sollen 153 werden! Stellen Sie sich nur schon mal
vor, dass sie demnächst unter diesem neuen Wald von Riesen stehen. Diese
Windkraftmühlen können, mit um die 150 Meter, sogar höher werden, als
Mammutbäume, die bei Ántissa erreichen so zwischen 50 –80 Meter, was
aber schwer einzuschätzen ist, wenn man am Fuße der Riesen steht. Bei
meinem letzten Besuch kontrollierte ich skeptisch die Verankerung,
während ein ziemlich starker Wind durch die Flügel rauschte. Wohl fühlte
ich mich nicht, Bilder durch Unwetter entwurzelter kräftiger Bäume
tauchten vor meinem inneren Auge auf, und ich stellte mir die bange
Frage, ob diese Giganten nicht auch die Bodenhaftung oder gar ein
Flügelblatt verlieren könnten...
25
dieser Turbinen habe ich gezählt, jede davon soll ca. 2 Megawatt
liefern, und das soll – laut Wikipedia – genug sein, um 2.000
amerikanische Haushalte zu beliefern. Nun können wir aber davon
ausgehen, dass ein griechischer Haushalt bei weitem nicht soviel
Elektrizität verbraucht, wie einer in den USA, was bedeuten würde, dass
die 25 Anlagen bei Ántissa 50.000 Haushalte auf Lesvos mit Strom
versorgen könnten, was doch wohl mehr als genug ist, denn Lesvos hat so
um die 90.000 Einwohner, d.h. 2 Personen pro Haushalt. Die Insel ist
somit doch eigentlich gut versorgt... Der griechische
Windkraftanlagenhersteller Rokas jedoch plant 153 Mühlen, die 300.000
Haushalte leicht bedienen könnten. Ich weiß ja nicht, welch
Energieverbrauch Unternehmen oder Fabriken haben, bin aber sicher, dass
Schafe und Ziegen ohne Elektrizität auskommen. Vielleicht wird Lesvos
demnächst in den Stromhandel einsteigen?
Vielleicht hab ich mich ja auch verkalkuliert, sehe das gedanklich
falsch, ich kenne mich ja nicht aus mit dieser neu gewonnenen „grünen“
Energiequelle, denn bislang habe ich nur, ziemlich bedröppelt
dreinschauend, unter diesen modernen imposanten Plastikbäumen gestanden
und, wenn ich ehrlich bin, ist dieser Fortschritt der Technik für mich
eigentlich meistens Anschlag auf die landschaftliche Schönheit der
Natur. In den Niederlanden sind inzwischen Landstriche mit ihnen
bedeckt, Kinder wachsen mit ihnen auf, werden ihren Anblick zukünftig
für selbstverständlich halten... ich nicht! Tja, und jetzt bin ich
überrascht, dass es mich komischerweise nun so gar nicht stört, dass die
Windkrafträder in dieser kahlen Landschaft von West-Lesvos stehen. Ich
empfinde es so, als wären sie schon immer ein Teil dieser Ödnis gewesen,
naja, so wie Denkmäler für die längst untergegangenen Riesenmammutbäume.
Der
Klang der Insel wird sich im Westen verändern. Die Turbinen haben die
Symphonien der Winde um ein modernes Element erweitert: „Vlaff, vlaff,
vlaff“ klingt es, und kein Windstoß schafft es, die Flügel der Mühlen
aus dem Rhythmus zu bringen. Wie wird es sich anhören, wenn sich dort
153 Mühlen drehen? Endlich moderne Musik in der jahrhundertealten
Landschaft...
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