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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Orakel-Katze Molly
19.Juli 2010 -
Das Orakel von Lesvos
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Die
Fußballmanie ist vorbei. Die diversen National-Flaggen an vereinzelten
Hotel-Balkonen sind eingeholt worden, und die bunten, überwiegend
orangefarbenen, Fan- und Länder-T-Shirts sind aus dem Straßenbild auf
Lesvos verschwunden.
Nein, ein Fußballfan bin ich nicht, aber mit Begeisterung verfolge ich
in den Medien das Geschehen rund um so eine Fußballweltmeisterschaft.
Zum Schmunzeln brachte mich z.B. die Tatsache, dass dem Orakel wieder
soviel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Und wen und was man da alles
voraussagen ließ! Paul, der Oktapus, der im „Seaworld“ in Oberhausen
alle Aufmerksamkeit auf sich zog, weil er bei den Gewinnern aller
Deutschlandspiele goldrichtig lag, und auch die Niederländer hatten
ihren eigenen hellseherischen Tintenfisch: Pauline! An deren
Finalsieg-Vorhersage klammerte man sich, um Pauls negativer Vorhersage
für das Spiel gegen Spanien zu trotzen, und zog sogar noch ein Ass aus
dem Ärmel: Ein Papagei aus Singapur musste herhalten.
So
ganz ist die Kunst der Vorhersagungen nie aus unserer Gesellschaft
verschwunden. Man denke nur an die Horoskope, die in fast jeder Zeitung
und Illustrierten zu finden sind, hinzu kommen die vielen
Möchte-Gern-Propheten, die neben dem Blick in die Glaskugel, Tarotkarten
und was auch immer nach dem befragen, was die Zukunft so bringen wird.
Die
Griechen praktizieren diesbezüglich überwiegend das Lesen aus dem
Kaffeesatz. Hat man ein Tässchen Griechischen Kaffee ausgetrunken, so
verbleibt ein Rest des Extraktes auf dem Tassenboden. Jetzt stellt man
die Tasse auf den Kopf und lässt den „Schlamm“ nach unten laufen. Dreht
man sie dann wieder um, sind Muster an der Innenseite zu finden, die
einem angeblich etwas über die Zukunft erzählen.
In
alten Zeiten hielt man sich nicht an einem Käffchen auf, da machten die
Griechen sich auf zu der Stätte eines echten Orakels, meist einem
Tempel, um es zu befragen, nicht jedoch, ohne vorher die Götter durch
irgendwelche Opfergaben gütig gestimmt zu haben. Die bekannteste
Weissagungsstätte des antiken Griechenlands war das „Orakel von Delphi“,
das sich im Apollon-Tempel befand. Pythia war der Titel der Priesterin,
die dort weissagte. Mit Gasen (oder durch Sauerstoffmangel) versetzte
sie sich in Trance, und man war der Meinung, dass der Gott Apollon aus
ihr sprach. Interpretiert und den Ratsuchenden nahe gebracht wurden die
Worte des Mediums durch die Oberpriester.
Es
wird gesagt, dass auch ein Orakel auf Lesvos erheblichen Zulauf hatte:
Der Kopf des Orpheus, der auf Lesvos an Land gespült wurde. Uneins ist
man sich, wo das Haupt, das noch jahrhundertelang Orakel gesprochen
haben soll, aufbewahrt wurde. So sprechen die einen von dem Tempel des
Apollon, die anderen von einer Höhle. Tja, und so hörte Orpheus nach
seinem Tod nicht auf, Musik und dem delphischen Orakel Konkurrenz zu
machen, bis der erzürnte Gott Apollon entnervt dafür sorgte, dass er für
immer und ewig den Mund hielt.
Na,
aber es ist doch wohl ein großer Unterschied, ob man einen Priester, das
Haupt eines mythischen Königssohns oder Krakenpaule befragt, oder?
Da
eine Krake mit einem relativ großem Gehirn ausgestattet ist, schreibt
ihm die Wissenschaft auch eine ziemliche Intelligenz zu. Forscher, die
das Verhalten von Tintenfischen an den Küsten von Nord-Sulawesi und Bali
untersuchten, machten folgende unglaubliche Entdeckung: Die Tiere
sammeln weggeworfene Kokosnusshälften am Strand und gehen dabei wie
folgt vor: Zunächst stapelt die Krake zwei Kokosnusshälften mit der
Öffnung nach oben übereinander, dann stülpt sie sich darüber und klemmt
die Beute zwischen den Tentakeln ein. Wie eine riesige Spinne stelzt sie
dann zurück ins Meer, wo sie sich auf dem Grund aus den Schalen ein
Versteck baut, in das sie sich bei Gefahr zurückzieht.
OK,
die Wissenschaft hat nun versucht, zu beweisen, dass Kraken intelligent
sind und kognitive Fähigkeiten haben, aber das ist doch nun mal nicht
ausreichend, um anzunehmen, dass sie fußballinteressiert sind,
WM-Ergebnisse voraussagen können, oder gar mit dem Gott Apollon in
Kommunikation treten können, der ihnen sagt, was in der Zukunft
passieren wird.
Vielleicht sollten wir uns diesbezüglich besser den Tieren zuwenden, die
in einer engeren Beziehung zu den Menschen stehen und in früheren
Kulturen, wie z.B. in Ägypten als Götter verehrt wurden. Ich kann da so
ein Orakel präsentieren: Meine Katze Molly. Beim ersten gewonnenen
WM-Spiel der Holländer, hatte sie ihr Ohr aufgekratzt. Auf unserer
Terrasse war soviel Blut, dass ich an ein tierisches Massaker glaubte,
aber Ursache war wirklich nur die Wunde an Mollys Ohrspitze. Einige Tage
später, die Tischdecke war gewaschen, Stühle und Steine geschrubbt, fand
das 2. Hollandspiel statt, meine arme Molly kratzte erneut ihr Ohr auf,
und wiederum musste ich zu Schlauch und Bürste greifen, um das rote
Chaos zu beseitigen, während im TV die holländischen Fans vor Freude
verrückt spielten. Beim 3. Spiel reagierte ich klüger und nahm das
Tischkleid ab. Gut so, denn das Blut spritzte wieder in die Runde, wenn
auch etwas schwächer als zuvor. Tja, und so ging es dann weiter: Ein
jedes Mal wenn die Niederländer auf dem südafrikanischen Rasen
aufliefen, brachte meine Katze ein Blutopfer dar. Und dann war der Tag
des Finales da: Wiederum kratzte Molly sich nachdenklich am Ohr, aber
dieses Mal floss kein Tropfen Blut, und wie wir alle wissen, verlor
Holland gegen Spanien! Erst viel später wurde mir bewusst, dass das
blutende Ohr den Sieg der niederländischen Mannschaft ankündigte, und
somit erklärte ich sie dann zu meiner persönliche Orakelkatze.
Molly hat es trotz ihrer Fähigkeit nicht zu Weltruhm gebracht, und ihr
Leben läuft inzwischen ganz normal weiter. Ich frage mich jedoch, was
aus Krakenpaule geworden ist. Im Internet habe ich erfahren, dass
spanische Geschäftsleute ihn kaufen wollten, um ihn zum Maskottchen
eines Gastronomiefestes zu machen, bei dem Spezialitäten aus Tintenfisch
im Mittelpunkt stehen. Aber für das „Seaworld“ in Oberhausen steht ein
Verkauf nicht zur Debatte, und das ist gut so. Stellen Sie sich nur mal
vor, es kommt zu einer Verwechslung mit einem spanischen Oktopus und er
landet versehentlich in einer Pfanne voll köstlicher Paella... Na, ich
bin sicher, Apollon wäre schockiert.
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