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BOULEVARD NEWS AUS LESVOS

 

Kafenion in Loetrapoli-Thermi

Kafenion in Loetrapoli-Thermi

 

25.Januar 2010 - Ataraxie

Aus dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski 

 

Epikur (griech. Epikouros) hat das Pech, nicht in die Liste der berühmtesten Philosophen Griechenlands, wie Pythagoras, Sokrates, Platon und Aristoteles, eingereiht zu werde, obwohl er der Begründer einer bedeutenden Lehre ist, die man mit kurzen Worten als die Philosophie des individuellen persönlichen Lebensglücks beschreiben kann. Geboren wurde er 341 vor Christus auf der Insel Samos, gestorben ist er 270 v. Chr. in Athen, wo er in seinem Garten 40 Jahre lang, bis zu seinem Tod, seine Schüler unterrichtete.

 

Epikur strebte nach Genuss, und zwar nicht nur nach dem physischen sondern auch nach dem psychischen, in der Form, dass eine Seelenruhe erlangt wird (Atarexie = Unerschütterlichkeit), in seinen Augen ein Zustand, in denen die natürlichen Bedürfnisse befriedigt sind, ohne Angst vor den Strafen der Götter und den Widersachern der Lebensfreude, die da wären Begierden, Furcht und Schmerz. Seine Philosophie sagt aus, dass ein jeder glücklich sein soll, wenn er etwas zu essen hat, was nicht beinhaltet, dass dazu nötig ist, stundenlang an riesigen Tafeln zu sitzen und Lachsnasen serviert zu bekommen (eine dekadente Tradition, die später die Römer einführten). Im Gegenteil: Schwelgereien und sonstige Exzesse stehen im Widerspruch zur Lehre Epikurs, der auch herausstellte, dass Übermaß schädlich ist. Ein weiterer Aspekt seiner Glücksphilosophie ist, dass es zum Glück beiträgt, Freunde zu haben.

 

Nun, ich kann mir vorstellen, dass der Epikureismus die geeignete Lebensphilosophie für Lesvos sein kann. Man isst hier zwar einfach, aber gut, die Menschen haben Freunde zuhauf (man denke nur an all die Autofahrer, die mitten auf der Straße plötzlich stoppen, um nur „mal eben“ einen Freund zu begrüßen). Der durchschnittliche Lesvorianer ist glücklich und strebt auch nicht danach, abzuheben, seine Bedürfnisse ins Unermessliche zu steigern, was auch zu den Regeln Epikurs gehört.

 

Doch man war einst überhaupt nicht begeistert von diesem Philosophen, der sich einige Zeit auf Lesvos, in Mytilini, aufhielt, um zu unterrichten. Die meisten Schulen hingen zu dieser Zeit an den Lehren von Sokrates und Platon. Epikur jedoch vertrat die Auffassung, dass die Platoniker zu sehr auf ihren Verstand hörten, und dabei die Suche nach dem Glück zu kurz kam. Was wirklich im Jahre 306 v.Chr. in Mytilini passierte, ist nicht bekannt, Fakt ist aber, dass Epikur mitten im Winter – wirklich nicht die beste Reisezeit – Lesvos Hals über Kopf verließ. Er gab als Gründe an, dass ein Volksaufstand ihm zu gefährlich wurde und dass die Piraten Barbaren seien. Kurzum, er wurde wahrscheinlich einfach wegen seiner subversiven Ideen von der Insel gejagt.

 

Würde er sich heute auf Lesvos umschauen können, hätte er allen Grund, sich auf die Schulter zu klopfen: Die Inselbewohner lieben das Leben und schätzen das Gefühl der Ataraxie. Ein kleines kulinarisches Schmankerl zu seiner Zeit, ein Schlückchen ab und zu, und ein Leben so dicht wie möglich an der Natur. So kommen wir wieder auf die berühmte mediterrane Küche zu sprechen: Einfach, frisch, mit viel Gemüse und Getreide. Keine aufwendigen Gerichte, aber eine bäuerliche Küche, die sich auf die Grundbedürfnisse an Nahrung spezialisiert. Hinzu kommt, dass man hier nicht nur isst, um seinen Hunger zu stillen, sondern auch um sozialen Genuss zu erleben: Der Grieche schart bei seinen Mahlzeiten am liebsten so viel Menschen wie möglich um sich.

 

Eine Möglichkeit, seinen kleinen Hunger zu stillen, ist, sich in einem Kafenion das Nationalgetränk zu bestellen. Serviert wird der Ouzo zusammen mit traditionellen Snacks: Mezedes oder Pikilia. Ein Kafenion ist ein meist schlecht beleuchteter Raum, in denen verstreut an einfachen Tischen stundenlang alte Männer sitzen und ihren Kaffee schlürfen. In diesen traditionellen kleinen Lokalen, eingetaucht in dem höllischen Licht gleißender Neonröhren, passiert es immer noch, dass man Ihnen die kleinen Häppchen noch ungefragt zum Ouzo kredenzt, während man Ihnen in den moderneren Restaurants im Gegensatz dazu die Menükarte unter die Nase hält.

 

Möchten Sie Ouzo mit Pikilia, brauchen Sie nur allein den Ouzo zu bestellen. Was die Häppchen betrifft, müssen Sie sich überraschen lassen, was man Ihnen bringt. Es kann ein Schüsselchen Oliven, ein Stückchen Käse und Brot sein, aber in vielen Kafenions hier auf Lesvos, ist noch die Mutter in der Küche, der das nicht genügt und die so viele Vorräte parat hat, dass sie ein Schüsselchen nach dem anderen auf den Tisch zaubert: Ein Fischchen, gegrillte Auberginen oder Paprika, Würstchen, Kichererbsen oder weiße Bohnen, Kartöffelchen, Ziegenkäse oder Ladotiri (Ziegenkäse in Olivenöl), Gemüse, dass sie eben gerade aus dem Feld geholt hat oder das, was der Fischer oder ein Bauer am Morgen vorbeigebracht hat. Und dann, wenn sie gerade die wenigen Euros, die dies alles kostet, bezahlen möchten, scheint das Mütterchen immer noch nicht mit ihren Kochkünsten abschließen zu wollen, und lockt sie wieder zurück an die Tafel mit einem zweiten Gläschen Ouzo.

 

Nach einem langen Spaziergang beschert einem ein Ouzo in so einem pittoresken Kafenion mit Sicherheit ein Ataraxie-Gefühl. Wir lieben es, unsere müden Beine unter den Tischen in Kafenions auszustrecken, die versteckt an Dorfplätzen liegen, und in die sich mit Sicherheit noch kein Tourist verirrt hat. Um solch erquickende Gelegenheiten zu genießen, machen wir uns nach einer Wanderung auf die Suche nach den Schenken, die am urigsten aussehen, haben bislang immer Erfolg gehabt und wurden nie in unseren Erwartungen enttäuscht. Und das, obwohl wir in einer solchen gastlichen Stätte so zwischen 16 und 17 Uhr auflaufen, in einer Zeit, wo die meisten Griechen ihre Siesta halten. Ein jedes Mal wurden wir mit einer großen Herzenswärme in solch einem schläfrigen Kafenion empfangen, der Ofen wurde angeschmissen, Stühle zurechtgerückt und der Abend konnte beginnen...

 

Der epikurische Brauch, Hunger und Durst genießerisch zu stillen, stirbt langsam aber sicher aus. In modernen Cafés findet man keine schwarzen russgefärbten Küchen mehr, in denen köstliche kleine Gerichte zubereitet werden, unter staubigen Regalen, gefüllt mit bunten Ouzo-Flaschen. Der jüngeren Generation steht auch nicht mehr der Sinn danach, sich die Mühe zu machen, Ihnen Köstlichkeiten zum Ouzo zu brutzeln, sondern sie begnügt sich damit, Ihnen ein paar Nüsschen oder gebrannte Mandeln hinzustellen.

 

Ich verstehe ja auch, dass es den Jugendlichen nicht wirklich Spaß macht, sich in Kafenions zu setzen, wo die Zeit stehen geblieben zu sein scheint, und nur alte Leute miesgrämig hinter Zeitungen versteckt, ihren Kaffee oder Ouzo schlürfen. Aber ich denke, irgendwann wird der Moment kommen, wo auch sie verstehen werden, dass, sollten diese Kafenions verschwinden, mit ihnen gleichzeitig eine wertvolle und gesunde Tradition aussterben wird. Diese Lokalität ist nicht nur eine Zuflucht für alte und einsame Menschen, sondern auch ein Ort, wo man Hunger und Durst aus der unnachahmlichen Küche, nach den alten Rezepten, Weisheiten und dem Kochtopf der Großmutter stillen kann, naja, eben ein Fleckchen Erde, an dem man das Epikurische Glück auf die Probe stellen kann...

 

(Zum Glück wurden viele dieser Orte von der griechischen Fotografin Tzeli Hadjidimitrou in ihrem wundervollen Buch "39 Kafeehäuser und ein Friseurladen (auf Lesvos)“ festgehalten.)