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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Das Meer bei Sigri
22.September 2010 - Krisenzeit
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Das
Stolpern durch die finanziell schweren Zeiten der Krise geht weiter.
Auch hier auf Lesvos schließen einige Betreiber bereits ihre Läden, und
es ist mehr als fraglich, ob sie ihre Türen im nächsten Jahr wieder
öffnen werden. Ich wage zu behaupten, dass wirtschaftlich schlechte
Zeiten auf einer Insel etwas besser zu verkraften sind, da viele
Geschäfte, wie z.B. Tavernen, Familienunternehmen sind und sich meist in
einem Gebäude befinden, das Eigentum ist. Hinzu kommt, dass der größte
Teil der Inselbewohner im Besitz eines Stück Landes ist, dass Obst,
Oliven und Gemüse hergibt. Aber trotz alledem ist es Fakt, dass
inzwischen ein jeder den Gürtel enger schnallen muss.
Doch das ist nicht die einzige Einschränkung für die Griechen, denn die
Regierung unternimmt einen neuen Anlauf, den 3. mittlerweile, gegen das
Rauchen: Ab Mittwoch ist in allen öffentlichen Gebäuden, Bars, Tavernen,
Restaurants und auch an Arbeitsplätzen das Rauchen – unter Androhung
hoher Geldstrafen - verboten. Ein schweres Unterfangen, wenn man
bedenkt, dass in Griechenland mehr als 45% aller Erwachsenen rauchen,
mehr als in jedem anderen EU-Land. Die Meinung derzeit: „Erst stehlen
sie unser Geld, und jetzt nehmen sie uns noch die Zigaretten. Schönen
Dank auch!“
Dabei haben die Griechen schon genug Ärger mit dem „neuen“ Steuersystem,
neu in dem Sinne, dass nun jeder Steuern zahlen muss. Bei einem jeden
Einkauf wird neuerdings mit einem Kassenbon gewunken, selbst an den
Tankstellen, die vor der Krise noch nie etwas von einem Quittungssystem
gehört haben.
Hier, im Norden von Lesvos, reagiert man ziemlich gleichgültig auf das
Rauchverbot. Wer soll das denn kontrollieren? In Molyvos ist die Polizei
kaum zu sehen und schon gar nicht im Winter, wenn jeder drinnen sitzen
muss zum Essen und Rauchen. Genug Personal gibt es bei der Polizei
jedoch, wenn es darum geht, die Menschen anzugehen, die am schlimmsten
von der Krise betroffen sind: Die illegal beschäftigten Arbeiter,
überwiegend Albaner.
Eine Spezialeinheit aus Mytilini stürmte in der letzten Woche diverse
Tavernen und Restaurants in und um Molyvos, verhaftete nicht nur
„Schwarzarbeiter“ sondern auch die jeweiligen Geschäftsinhaber und
überführte sie, wie Schlachtvieh, ins Gefängnis der Hauptstadt. Die
illegal Arbeitenden wurden des Landes verwiesen, und die Arbeitgeber
bekamen, nachdem sie eine Nacht im Knast verbringen mussten, noch eine
saftige Geldstrafe auferlegt, was einigen von ihnen in den derzeit
schwierigen Zeiten das Genick brechen dürfte. Die erwischten Albaner
kehrten in ihre Heimat zurück, in ein Land, das, befremdend genug, viel
weniger von der Wirtschaftskrise betroffen ist, als Griechenland.
Als
1991 das kommunistische Regime Albaniens durch einen Generalstreik zum
Rücktritt gezwungen wurde, kam es in dem ärmsten Land Europas, aufgrund
der katastrophalen Wirtschafts- und Versorgungslage, zu einer
Massenflucht. Tausende Albaner zog es auf der Suche nach einem besseren
Leben hauptsächlich nach Italien und Griechenland. Als Italien die
Grenzen verriegelte, blieb Griechenland das beliebteste Ziel der
Emigranten. Viele von ihnen leben nun hier in diesem Land, die einen
legal, andere jedoch illegal. Die Illegalen wurden und werden regelmäßig
des Landes verwiesen, aber wenn diese Menschen sich einer Arbeit hier
sicher sind, so wissen sie auch nur allzu gut, wo die versteckten
Bergpfade sind, die sie von Albanien zurück ins angrenzende Griechenland
bringen, und, eh man sich versieht, schwups, sind sie wieder da.
Albanien ist es, dank dieser im Ausland arbeitenden Mitbürger, gelungen,
langsam aus der kommunistischen Talsohle herauszukrabbeln, denn
diejenigen, die in andere Länder gingen, hielten mit dem Lohn ihre
Familien am Leben, und wenn sie zurückkamen, hatten sie sich viel
fachliches Wissen auf dem Arbeitsmarkt angeeignet, so dass sie sich in
ihrem Land immer besser selber zu helfen wussten. Durch die
Griechenlandkrise fließt nun ein riesiger Strom von Arbeitern zurück
nach Albanien, denn die Albaner sind die Ersten, die jetzt ohne Arbeit
in Griechenland dasitzen, und so haben viele von ihnen beschlossen, das
Leben in ihrer Heimat wieder anzupacken. Ob dies ein gelungener Anschlag
auf die Arbeitslosigkeit ist, und ob das die Wirtschaft wieder voran
bringt, bleibt abzuwarten.
Man
kann doch nicht leugnen, dass die Wirtschaft Griechenlands dank dieser
billigen Arbeitskräfte seit Jahrzehnten stetig gewachsen ist. Ich
behaupte sogar, dass ohne diese fremdländischen Arbeitnehmer, darunter
auch viele andere osteuropäischen Nationalitäten, z.B. die Olympischen
Spiele in Athen hätten gar nicht ausgerichtet werden können. Die
griechische Landwirtschaft wird inzwischen größtenteils von diesen
Niedriglöhnern bewirtschaftet, und wehe Dir, mein Griechenland, wenn
alle Albaner das Land verlassen, denn kein Grieche will mehr für diesen
Hungerlohn diese Arbeit verrichten.
Tja, die Lage der Griechen ist verzwickt: Auf der einen Seite zieht
ihnen die Regierung das Geld aus dem Portemonnaie, und auf der anderen
legt die Krise die Wirtschaft lahm. Ob diese Krise schlussendlich dahin
führt, den Arbeitsmarkt von illegalen Praktiken, unterbeschäftigten
Beamten und Steuerhinterziehern zu säubern, wird die Zukunft zeigen.
Unberührt von der Krise, geht das Leben auf Lesvos seinen gewohnten
Gang: Die Fischerboote fahren wie gewohnt hinaus aufs Meer und hoffen
auf einen guten Fang, die touristische Saison neigt sich dem Ende
entgegen, und die Zweige vieler Olivenbäume biegen sich so unter der
Last unzähliger Früchte, dass man sich ängstlich fragt, wer die im
Winter alle ernten soll...
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