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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Eine Ragwurz (Ophrys)
8.April 2010 - Seilchenspringen mit Fuchshodeneis
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Alle Jahre wieder macht mich die Pracht und Fülle an Wildblumen, die in
Rekordzeit im Frühjahr aus der Inselerde schießt, schier sprachlos. Es
beginnt, manchmal bereits im Dezember, mit den bunten Anemönchen, dann
folgen die kräftig roten Blüten des Mohns und der Anemonen, das
filigrane Rosa der Zistrosen, das strahlende Weiß-gelb der Narzissen,
und in Windeseile sind Wiesen, Hügel und Hänge übervoll mit bunten
Frühlingsblühern. Den Touristen, die im Sommer kommen, entgeht diese
Pracht, und es ist kaum vorstellbar für sie, was die trockene Erde, die
sie bei ihrem Aufenthalt antreffen, bereits Wundervolles hervorgebracht
hat.
Die
Blume der Blumen zwischen all den Naturschönheiten ist die Wilde
Orchidee, die zahlreiche Sammler und Fachleute auf der ganzen Welt in
ihren Bann zieht. Es ist nicht nur ihre fragile und exotische Schönheit,
die begeistert und zum Sammlerobjekt macht, sondern auch die Tatsache,
dass diese Pflanze die Fähigkeit hat, sich noch stets zu verändern, d.h.
immer wieder neue Exemplare hervorzubringen. Eine Eigenschaft, die im
heutigen Pflanzenreich einzigartig ist.
Nehmen wir z.B. die faszinierende Bestäubungsbiologie der
Bienen-Orchideen: Da sie den Insekten keinen Nektar anbieten können,
täuschen sie mit Farbe, Geruch oder Struktur vor, weibliche Bienen,
Wespen oder Käfer zu sein und locken so die Männchen an. Tja, und die
fallen drauf rein, wollen das „falsche Weibchen“ begatten und befruchten
so die Ragwurz. Das ist doch ein Wunder der Schöpfung, oder?
Wenn man sich bewusst macht, wie viele Orchideenarten es gibt (allein
auf Lesvos 60 – 100) und wenn man sie so betrachtet, dann kann man schon
bei der manchmal frappierenden Ähnlichkeit Verständnis dafür haben, dass
so ein Bienchen durcheinander kommt und versehentlich auf einen Typen
fliegt, der
sie
gar nicht anmachen wollte, tja, dann kommt es zu einer Kreuzbestäubung,
die, wenn alles gut geht, eine neue Ragwurz-Variante, Art oder Unterart
hervorbringt.
Orchideen verdrehen nicht nur Botanikern, Sammlern, Bienen,
Schmetterlingen und anderen Insekten den Kopf, sondern auch der Gruppe
von Menschen, die in dieser Pflanze ein Aphrodisiakum sehen. Schon der
Name gibt einen Hinweis darauf, denn der Name Orchidee wird vom
griechischen Wort „Orchis“ = Hoden, abgeleitet und beruht auf der
Ähnlichkeit der beiden im Boden liegenden Knollen mit eben diesen
männlichen Merkmalen.
Es
war der griechische Philosoph und erste Naturforscher Theophrastos von
Eressos (371 –287 vor Christus), der dieser exzentrischen Pflanze diesen
frivolen Namen gab. Einige Jahrhunderte später bestätigte der Arzt und
berühmteste Pharmakologe der Antike, Pedanios Dioscurides (40 – 90 nach
Christus), in seiner aus 5 Büchern bestehenden Arzneimittellehre „De
materia Medica“, Theophrastos Theorie, dass die Orchidee gut sei, um die
männliche Potenz zu verstärken bzw. wiederzubeleben.
Somit ist das wichtigste Nebenprodukt der Orchidee der „Salep“, eine
Verkürzung des arabischen Wortes „khus yatus alab = Fuchshoden (griech.
Salepi). Nach der Blütezeit gräbt man die saftigen Orchideenknollen aus,
trocknet sie in der Sonne, bis sie hart sind und reibt sie dann, bis ein
feines Pulver entsteht. Eines der Geheimnisse des französischen
Chocolatier und Hoflieferanten des französischen Königshauses, Sulpice
Debauve, war, dass er seine Schokolade mit persischem Salep bereitete.
Salep ist auch die Bezeichnung für ein vor allem in der
türkisch-arabischen Welt verbreitetes Getränk: Saleppulver wird mit
Milch und Zucker erhitzt, bis es cremig wird und vor dem Servieren mit
Zimt bestäubt. Im 17. und 18. Jahrhundert, bevor der Kaffee- und
Teekonsum sich in ganz Europa ausbreitete, war dieser Trunk sogar in
England populär und wurde für eine lange Zeit in Griechenland und der
Türkei auf den Straßen und in Kafenions verkauft. Wer sich einen Kaffee
nicht leisten konnte, trank Salep vor Arbeitsbeginn, denn es hatte eine
ähnlich stimulierende Wirkung.
Heutzutage findet man in Athen noch ein paar wenige Straßenhändler, die
Salep anbieten, aber im allgemeinen ist es aus dem griechischen Leben
verschwunden, zumal die Wilden Orchideen in ganz Europa zu den
geschützten Pflanzen zählen und es daher verboten und strafbar ist, das
Pulver herzustellen. In der Türkei jedoch wird Salep noch reichlich
getrunken, hauptsächlich im Winter. In der Sommerzeit genießen die
Türken eine andere Spezialität mit diesem Pulver: „Salepi dondurma“ (Salep-Eis).
Es ist ein schleimigzähes Gefrorenes, das neben Salep, Sahne, Zucker,
Milch und Mastix enthält. Diese fast gummiartige Masse ist so dick, dass
man sie mit Messer und Gabel isst, und scheint so elastisch zu sein,
dass man so lange Stränge daraus ziehen kann, die sich zum Seilspringen
eignen!
Die
große Beliebtheit von „Salepi dondurma“ bereitet Naturschützern echtes
Kopfzerbrechen, denn um 1 kg Salep zu gewinnen, sind mehr als 1.000 (!)
Knollen nötig. Da kann man sich ausrechnen, wie viele Orchideen jährlich
untergehen müssten, wenn die Türkei noch Tonnen Salep exportieren würde.
Der Export ins Ausland ist aber verboten, doch die Türken selbst, sowohl
Konsumenten als Eishersteller, weigern sich, auf das geliebte Produkt zu
verzichten und das, obwohl Schäfer und Sammler inzwischen schon
angedeutet haben, dass es immer mühevoller wird, überhaupt noch
Orchideen zu finden und gar die große Gefahr besteht, dass sie in der
türkischen Landschaft aussterben.
Eine nützliche Eigenschaft von Salep ist, dass man damit Milch oder
Wasser andicken kann. Die Vermutung liegt nahe, dass das Getränk Salep,
was derzeit verkauft wird, nur wenig oder gar kein Orchideenpulver
enthält, sondern mit Maisstärke oder Vanillepulver gemischt wird. Die
Orchideenknollen haben einen solch subtilen Geschmack, dass es keinen
Unterschied macht, wenn man Salep durch Speisestärke ersetzt.
Auch in Griechenland ist „Salepi Dondurma“, nicht unbekannt. Hier heißt
es „Kaimaki-Eis“. Um die Orchidee zu schützen, nachfolgend ein Rezept
für
„Falsches Fuchshodeneis“: Anstelle von Salep, wird Maismehl, etwas
Vanillepulver und Rosen- oder Orangenblütenwasser eingesetzt. (Sie
benötigen jedoch eine Eismaschine)
3
Tassen Sahne
3
Tassen Vollmilch
1,25 Tassen Zucker
3
Esslöffel Stärkemehl
1
Teelöffel Rosen- oder Orangenblütenwasser
1
Teelöffel Vanillepulver
½
Teelöffel Mastixpulver
Verrühren Sie die Stärke mit etwas Milch zu einem Brei. Erhitzen Sie die
restliche Milch mit dem Zucker in einer Pfanne und fügen Sie den Brei
sowie die anderen Zutaten hinzu, sobald die Milch heiß ist. Lassen Sie
alles unter ständigem Umrühren aufkochen, bis eine cremige Substanz
entsteht. Dann nur noch abkühlen lassen und den Rest erledigt die
Eismaschine.
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