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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Grünkohl
2.Februar 2010 - Bauernweisheit
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
"Der
arme Bauer"
Es
war einmal ein armer Bauer, der in einem kleinen Häuschen lebte, und
alles, was er an Werkzeug besaß, war eine Axt, mit der er Holz hacken
konnte. An einem sehr kalten Tag ging er in den Wald, um einen Baum zu
fällen, der nah am Flussufer stand. Plötzlich jedoch glitt ihm das Beil
aus den Händen und fiel ins Wasser. Der arme Bauer war so verzweifelt,
denn ihm war klar, dass ihm das Geld fehlte, um diesen Verlust zu
ersetzen und er weinte bitterlich.
Im
Fluss lebte ein Gott, den der Anblick des Bauern rührte. Er stieg aus dem
Wasser empor und fragte den Weinenden, was geschehen sei. Der Bauer
schilderte ihm, dass er seine einzige Axt verloren habe und nun nicht
das nötige Holz für den Winter spalten könne. Der Gott verschwand wieder
in den Fluten und kehrte kurze Zeit später mit einer goldenen Axt in den
Händen zurück. „Hier ist Dein Beil“ sprach er zu dem Mann und hielt ihm
das Werkzeug hin. Der Bauer jedoch schüttelte den Kopf und sagte, dass
das nicht sein Eigentum sei. Und wiederum tauchte der Gott ab, um mit
einer Axt aus Silber zurückzukehren. Ein weiteres Mal erklärte der
Bauer, dass auch dies nicht das Werkzeug sei, dass er verloren habe, und
erneut glitt der Gott in den Fluss. Dieses Mal hatte er dann die Axt des
Bauern in den Händen. Freudig jauchzte der Bauer: „Ja, ja, dies ist mein
Beil!“. Da begab sich der Gott erneut auf den Grund des Gewässers und
holte auch die goldene und die silberne Axt. Alle 3 Werkzeuge
überreichte er dann dem armen Bauern mit den Worten, dass dies die
Belohnung für seine Ehrlichkeit sei. Der Bauer brachte überglücklich
diese Schätze in sein bescheidenes Haus, um dann ins Dorf zu gehen und
allen zu berichten, was er am Fluss erlebt hat.
Ein
Bauer, der die Geschichte hörte, machte sich gleich am nächsten Morgen
auf zum Fluss. Dort warf er seine Axt ins Wasser, setzte sich ans Ufer
und begann zu weinen. Der Flussgott erschien und fragte auch ihn, was
der Grund für seine Tränen sei. Ohne rot zu werden, log der Mann ihn an
und jammerte, dass sein einziges Werkzeug nun versunken sei, und er kein
Holz für den Winter machen könne. Der Gott tauchte hinunter, holte eine
goldene Axt hervor und fragte: „ Ist dies Dein Beil?“ Voller Vorfreude
auf das wertvolle Stück, bejahte der Bauer dies. Da wurde der Gott sehr
wütend, machte dem Landwirt klar, dass er schon wisse, dass er ihn
hinters Licht führen wolle und er es nicht würdig sei, eine solche Axt
zu besitzen. Sprach es und verschwand im Fluss, ohne dem Bauern selbst
die Axt zurückzugeben, die dieser absichtlich ins Wasser geworfen
hatte.“
Die
Griechen sind sehr stolz und das vor allem auf ihre Vergangenheit, die
vor tausenden von Jahren große Wissenschaftler und Philosophen
hervorbrachte, die weltberühmt wurden. Es ist nichts Falsches daran,
darauf stolz zu sein, aber mir scheint, dass die Griechen vergessen
haben, dass man Lehren aus diesen reichen Jahrhunderten ziehen kann.
Vielleicht sollten sie sich gegenseitig öfter dieses alte Volksmärchen
vom armen Bauern erzählen, dann würde ihnen möglicherweise aufgehen,
dass es rein gar nichts bringt, ein jedes Jahr (so wie im vergangenen
Winter auch) die Straßen zu blockieren, um Einfuhren zu stoppen, mit dem
Ziel, größere Zuschüsse von der Regierung zu erpressen und schon gar
nicht in wirtschaftlich so angeschlagenen Zeiten, wie jetzt. Sie würden
eventuell verstehen, dass sie damit nur noch alles viel schlimmer machen
und sie bald gar nichts mehr haben, denn schon jetzt will der Nachbar
Bulgarien Verluste in Milliardenhöhe einklagen, die dadurch entstanden
sind, weil Ausfuhren nach Griechenland seit 3 Wochen durch quer
gestellte Traktoren und Lastwagen an der Grenze verhindert werden. Was
darüber hinaus den Griechen selbst in dieser Zeit für finanzielle
Verluste entstanden sind, lässt sich nur erahnen.
Die
Landwirte sollten sich an den Lehrsätzen des Hesiod orientieren. In
seinem epischen Lehrgedicht „Werke und Tage“ gibt er Anleitungen für das
bäuerliche Arbeiten und verherrlicht die Arbeit als Hauptaufgabe der
Menschen, die sie auf ehrliche und wirtschaftliche Weise verrichten
sollen. Der Dichter Hesiod lebte im 7. Jahrhundert vor Christus und
verdiente seinen Lebensunterhalt als Ackerbauer und Schafhirte. Durch
seine klugen Ratschläge wird er als der erste Ökonom angesehen.
Aber Hesiod war auch ein Mann, der wenig Vertrauen in die Zukunft hatte.
In dem gleichen Werk beschreibt er unter dem Kapitel „Die 5 Zeitalter
der Menschen“ wie die Welt untergehen wird:
In
der „goldenen Ära“ lebten die Menschen wie die Götter. Alle waren
glücklich, brauchten nicht zu arbeiten, und auch wenn sie nicht das
ewige Leben hatten, so starben sie doch friedlich.
Dann brach das „silberne Zeitalter“ an, in dem Zeus vom Olymp aus die
Welt regierte. Zwar hatten die Menschen eine sorglose und glückliche
Kindheit, die immerhin hundert Jahre dauerte, aber waren sie dann
erwachsen, so mussten sie arbeiten. Tja, und da die Sterblichen sich
weigerten, die Götter anzubeten und ihnen Opfer darzubringen, verbannte
Zeus sie in die Unterwelt, wo ihre Seelen herumgeistern.
In
der „Bronzezeit“ waren die Menschen dreist, mitleidslos, fanden Freude
am Krieg und vernichteten einander. Alles war aus Bronze, nicht allein
die Waffen, sondern auch die Werkzeuge.
Als
nächstes folgte das „heroische Zeitalter“, das wieder besser war. Die
Sterblichen lebten ziemlich nobel gemeinsam mit Halbgöttern und Helden.
Es war die Zeit der berühmten Schlacht um Troja.
Schließlich beschreibt Hesiod die „Eisenzeit“, bei der es sich, sowie es
scheint, um die heutige Zeit handelt: Kinder haben keine Achtung mehr
vor ihren Eltern, Brüder kämpfen gegeneinander, Gastfreundschaft ist ein
Fremdwort, Menschen sind entartet, unzüchtig und verräterisch, Babys
sollen mit grauen Haaren geboren werden, die Götter haben sich
abgewandt. Dies soll die Zeit sein, wo Zeus die Welt eines Tages
vernichten wird.
Ein
interessanter Typ, dieser Hesiod, oder? Ein Jammer, dass er schon so
lange tot ist, denn er wäre bestimmt ein gerngesehener Gast in all den
TV-Talkshows, in denen es darum geht, Lösungen für all die Probleme in
der Welt zu finden, und sicherlich wüsste dieser alte Grieche auch Rat
in Sachen Straßensperren durch die griechischen Landwirte. Mensch, was
hätte Hesiod durch die heutigen einflussreichen Medien für
Möglichkeiten, seine weisen Lehren weiterzugeben und einem jeden
Landwirt nahe zu bringen.
Ich
glaube nicht, dass die Bauern auf Lesvos Hesiod lesen, denn auch viele
von Ihnen leben von Subventionen, aber zumindest blockieren sie keine
Straßen. Zwar murren sie über zugesagte Zuschüsse, die nicht ankommen,
über Sozialleistungen die nur verspätet oder gar nicht gezahlt werden
und über die allgemeine wirtschaftliche Krise, mit der sie sich durch
den Staat konfrontiert sehen. Das Wehklagen bleibt jedoch in den
Wohnzimmern und Kafenions.
„Ti na kanu me?“
(Was soll man machen?) sagt man hier schulterzuckend und macht sich auf,
um in der freien Natur Chorta (Wildgemüse) zu ernten, der dort ohne
Subventionen, für jeden gratis gedeiht. Hier auf der Insel wissen die
Menschen alles über die Geschenke der Natur. Nur wenige Jahrzehnte ist
es her, dass der Großteil der Bevölkerung so arm war, dass sie sich
überwiegend nur von dem ernährten, was die Schöpfung hergab.
Glücklicherweise vergessen sie das auf Lesvos nicht so schnell...
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