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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Rhododendron luteum
17.April 2010 - Über Pflanzen, die ganze Armeen niedermähen
können
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Meiner Meinung nach, ist Lesvos im Frühjahr mit seiner Blütenpracht ein
zweiter „Keukenhof“. Aber darüber habe ich mich ja schon in der letzten
Woche ausgelassen, und ich erwähnte bei dieser Gelegenheit auch, dass
die Orchidee die Blume der Blumen sei... Heute möchte ich Ihnen von der
größten Blumen-Attraktion erzählen, obwohl ich auch darüber schon einmal
geschrieben habe, doch selbst für den Fall, dass ich mich wiederhole,
sie ist es wert. Es geht um „Gelben Rhododendron“, der von den Bergen
durch den dunklen Tann bei Parákila, Anemotia und Vatoússa wie ein
leuchtender, Licht spendender Fluss hinunter stürzt.
Diese prachtvollen Pflanzen sind jedoch nicht nur allein schön
anzusehen, sondern sie verströmen einen betörenden Duft, göttlichem
Nektar gleich. Spaziert man derzeit durch die westlichen Wälder, hängt
das süße schwere Aroma dort so eindringlich zwischen den herrlich frisch
riechenden Kiefern, dass man sich leicht berauscht fühlt. Natürlich ist
man es nicht wirklich, und solange man nur seinen Geruchsinn erfreut und
nicht auf die Idee kommt, von dem Honig zu kosten, ist ja auch alles in
Ordnung...
Um
400 vor Christus gerieten die beiden Söhne von Darius II. von Persien,
Artaxerxes und Kyros in Streit. Letzterer, als Oberbefehlshaber von
seinem Vater in eine ferne, in Griechenland gelegene Provinz geschickt,
um dort für Ordnung zu sorgen, kehrte nach dem Tod von Darius II, mit
seinen Truppen nach Babylon zurück, um seinen Bruder, der inzwischen zum
Großkönig gekrönt wurde, vom Thron zu stoßen. Das Heer des Kyros war
zwar mächtiger, was ihm aber nicht viel nutzte nutzte, denn durch einen
Verrat konnte Artaxerxes siegen, Kyros wurde verwundet und starb kurz
darauf. Der berühmte Schriftsteller und Geschichtsschreiber Xenophon,
der als Kriegsberichtserstatter (den Job gab es offensichtlich schon
damals) den Feldzug von Kyros begleitete, raffte den Rest der
führungslos gewordenen Truppe zusammen, blies zum Rückzug und führte sie
als dann gewählter Feldherr an. Der Rückweg ging aber auch nicht ohne
Kämpfe vonstatten, und so wurden sie auch im Land Kolchis angegriffen.
Der Weg zum Meer war blockiert, und mit einer List gelang es ihnen nach
Trabezunt im Bezirk Pontos durchzudringen. Als die Männer sich dann
sicher fühlten, wollten sie sich natürlich endlich ausruhen und hungrig,
wie sie waren, nach Nahrung suchen. Sie fanden köstlich süß riechenden
Honig, den sie gierig verschlangen. Noch in derselben Nacht erkrankten
alle Soldaten schwer (es waren so um die 10.000 Mann) und benahmen sich,
als wären sie „auf Droge“. Sie hatten jedoch Glück im Unglück, denn die
Armee von Kolchis war weit entfernt, ansonsten wäre es ein Leichtes
gewesen, sie in diesem Zustand niederzumähen. Jahrhunderte später fanden
Wissenschaftler heraus, dass es vermutlich der Honig vom „Rhododendron
luteum“ gewesen sein muss, der auch, aufgrund seines hohen Vorkommens in
der Pontus-Region, Rhododendron ponticum“ genannt wird.
Tja, so harmlos, wie man vielleicht denkt, ist Honig gar nicht. Es kann
recht gefährlich sein, ihn von einem botanisch unerfahrenen Imker zu
kaufen, denn in dem Meer von Bienen anlockenden Blumen, gibt es auch
mehr oder weniger giftige Pflänzchen: Eine der giftigsten und aus der
griechischen Geschichte bekanntesten ist der „Gefleckte Schierling“. Zu
seiner Berühmtheit gelangte er durch den Tod des Philosophen Sokrates,
der 399 v.Chr., wegen aufrührerischer Worte, dem nicht Respektieren der
Götter und seinem schlechten Einfluss auf die Jugend, angeklagt und
verurteilt wurde. Sokrates konnte wählen, zwischen der Verbannung aus
Griechenland auf Lebzeit oder dem Gifttrunk. Der Weiseste der Weisen
wählte das vergiftete Getränk, von dem man sagt, dass „Gefleckter
Schierling“ beigemischt war und somit als „Schierlingsbecher“ in die
Geschichte einging.
Diese todbringende Pflanze („Conium maculatum) gleicht ein wenig dem
Kerbel, ist unscheinbar, erreicht eine Wuchshöhe von bis zu 2 Metern und
ist in der griechischen Insellandschaft keine Unbekannte. Der Saft aller
Pflanzenteile jedoch enthält Nervengift, das bereits in kleinster Dosis
tödlich sein kann – Also: Hände weg davon! Aber sagen Sie das mal den
Vögeln... Unsere gefiederten Freunde können unbeschadet den Samen
picken, was sie auch lustig munter machen. Kein Problem, denken Sie? Oh
doch, denn das wird es, wenn die Vögel, die den Samen verzehrt haben,
selbst verzehrt werden. Auf Chios fanden sich einige Leute, die sich
nach der Jagd ihre erbeuteten Rebhühner munden ließen, mit
Vergiftungssymptomen im Krankenhaus wieder. Die Untersuchungen ergaben,
dass der „Gefleckte Schierling“ der Übeltäter war.
Jetzt wo man mitbekommt, dass ein Vulkanausbruch, der gefährliche Asche
in die Luft drückt, dazu führt, Flugzeuge auf dem Boden zu halten,
sollte man meinen, man könne doch einfach auf Chios ein Jagdverbot
aussprechen, um die Gift tragenden Vögel in der Luft zu halten, anstatt
tot auf dem Boden und später in der Pfanne... Nein, nein, die „Chioten“
versuchen das Unmögliche. Na ja, so ungefähr, als würde man in der
jetzigen Situation versuchen, die vulkanische Aschewolke aus der Luft zu
holen, haben sie sich entschlossen, alle Gefleckten Schierlinge auf der
Insel zu vernichten...
Jedermann, der einmal auf Chios oder auf einer anderen griechischen
Insel gewesen ist, weiß doch, dass dies ein Ding der Unmöglichkeit ist:
Wie soll man die Pflanzen denn in den entfernten Regionen finden, die
unbewohnt sind und in die noch nie ein Mensch seinen Fuß gesetzt hat.
Und wer gibt die Garantie dafür, dass ein reiselustiges Lesvos-Vögelchen
nicht mal Urlaub auf Chios macht und sich als Reiseproviant mit leckeren
Schierlingssamen eindeckt? Dann kommt man wahrscheinlich auf die Idee,
den Luftraum zwischen den beiden Inseln zu sperren, anstatt die Jagd auf
die Vögel zu verbieten.
Es
bleibt nur zu hoffen, dass ein argloser Imker sich nicht in den
herrlichen „Gelben Rhododendron“ verliebt und seine Bienenstöcke in
seiner Nähe aufstellt, um das köstliche Aroma in seinen Honig zu
bekommen, denn dann ist zu befürchten, dass man sich in den vulkanischen
Westen von Lesvos aufmacht, um die herrlichen Pflanzen einen Kopf kürzer
zu machen, womit die Insel um eines der schönsten Frühjahrsattraktion
ärmer wäre...
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