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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Herausgeputzt fürs Fest
2.August 2010 - Der Robinson Crusoe von Molyvos
Aus
dem Holländischen/Englischen von Gabriele Podzierski
Derzeit machen die seltsamsten Geschichten über Griechenland im Ausland
ihre Runde, so wie, dass wir nichts mehr zu essen haben hier, das Leben
aufgrund von Streiks und Benzinmangel platt liegt und es deshalb auch
riskant ist, einen Urlaub hier zu verbringen, da nicht sichergestellt
ist, ob man überhaupt wieder nachhause kommt. Vor allem die Meinung der
deutschen Bevölkerung über Griechenland ist sehr negativ, was sich ganz
schnell ändern muss.
ALLES UNSINN! Natürlich ist das Leben der Griechen aufgrund der
Wirtschaftskrise nicht leicht in diesen Tagen, und manch ein Geschäft
muss die Pforten schließen, da ein großer Teil der Touristen in dieser
Saison wegbleibt, aber weiß Gott, die Griechen haben in der
Vergangenheit schon mehr als diese bitteren Zeiten durchlebt. Kurzum:
Das Leben geht seinen gewohnten Gang hier, auch für die Touristen!
Über die Streiks ist zu sagen, dass endlich ein jeder inzwischen
eingesehen hat, dass sie in der jetzigen Situation pures Gift für das
Land sind, und somit sind sie bezüglich des Flugverkehrs schon einmal
bis zum Saisonende ausgesetzt. Ja, da sind jetzt noch die LKW-Fahrer,
die den Griechen das Leben schwer machen, so dass der Treibstoff in den
großen Städten auf dem Festland knapp wird, aber, im Gegensatz zu den
Niederlanden, hat Griechenland noch eine Regierung, und die hat nun das
Militär eingesetzt, so dass ein jeder genug Benzin hat, um an den Strand
zu kommen. Also, welches Risiko geht ein Griechenland-Tourist denn
eigentlich ein? Höchstens einige Verspätungen, aber ehrlich, dazu kann
es doch in jedem anderen Reiseland auch kommen.
Vorige Woche ist mir zu Ohren gekommen, dass die Gemeinde Molyvos,
aufgrund fehlender Gelder, starke Zweifel daran habe, wie in jedem Jahr
das Fest der heiligen Theoktisti zu feiern. Die Befürchtungen
bewahrheiteten sich nicht ganz: Freitag führte man die festlich
geschmückten Pferde und den Stier durch das Dorf, um Geld zu sammeln,
damit die Feierlichkeiten stattfinden können. Tja, und abends standen
dann, wie es der Brauch verlangt, große Kessel mit der Festtagssuppe „Keskes“
(gekochter Bulgurweizen mit Fleisch) über den schwelenden Feuern vor den
Toren der kleinen Kirche „Agia Theoktisti“ in Molyvos und am Samstag
wurde gefeiert. Wofür nun doch kein Geld da war und deshalb ausfiel, war
das dazugehörige Pferderennen am Sonntag.
Juli und August, das sind die Monate der traditionellen Dorffeste, die
zu Ehren der jeweiligen Schutzpatrone stattfinden. Höhepunkt ist der 15.
August, wo Besuchermassen nach Pétra und Agiássos strömen, um die
Himmelfahrt Marias zu feiern.
Trotz der Krise hatte letzte Woche Vafiós sein Fest und dieses
Wochenende war also Molyvos an der Reihe, dass die Ikone seiner relativ
unbekannten Schutzheiligen durch die Straßen tragen ließ. St.Theoktisti
kam in Mythimna (der alte Name von Molyvos) zur Welt. Sehr jung verlor
sie ihre Eltern und trat deshalb in ein Kloster ein, wo sie
gottesfürchtig und voller Enthusiasmus all ihren Pflichten nachkam.
Eines Tages verließ sie das Kloster, um ihre verheiratete Schwester zu
besuchen.
Wir
reden über das 9. Jahrhundert, die Zeit, als der byzantinische Kaiser,
Leo VI. (genannt der Weise oder der Philosoph) mit den Gefechten gegen
sarazenische Piraten beschäftigt war (886 – 912), die zu dieser Zeit
ihre Basis auf Kreta hatten. Sankt Simeon, Berater am kaiserlichen Hof,
dem man den Beinamen Metaphrastes gab, war es, der die Geschichte von
Theoktisti aufzeichnete, nachdem er sie von Nikitas Magister hörte,
einem Beamten, der nach Kreta geschickt wurde, um mit den Sarazenen zu
verhandeln.
Wegen schlechten Wetters, musste das Boot, auf dem sich Nikita befand,
Schutz auf der Insel Paros suchen. Dort besuchte er, die schon damals
berühmte „Kirche der hundert Pforten“ („Ekatontapiliani“)wo ein einsamer
Mönch ihm folgendes erzählte:
Paros war noch unbewohnt, erhielt aber häufig Besuch von Jägern aus
Euböa (auch Evia), da die Insel reich an Wildschweinen und Hirschen war.
Einer von ihnen traf eines Tages an einer Kirche eine wild aussehende
Frau, nur teilweise mit Fell bekleidet. Sie bat ihn um seinen Mantel,
dann, sittsam bedeckt, stellte sie sich mit dem Namen Theoktisti vor und
erzählte ihm, wie sie mit vielen anderen Menschen bei einem Überfall auf
Lesvos von Piraten entführt wurde.
Als
die Seeräuber auf Paros anlegten, um Proviant zu besorgen, konnte sie
ihnen entwischen und lebte nunmehr seit 35 Jahren wie Robinson Crusoe in
der Wildnis auf der menschenleeren Insel. Ihre Nahrung bestand einzig
und allein aus Pflanzen. Trotz dieses sicherlich harten Lebens, war das
einzige, um das sie den Jäger bat, wenn er zurückkäme, eine geweihte
Hostie, damit sie in Frieden sterben könne. Der Jägersmann versprach es
und hielt Wort. Im darauf folgenden Jahr, als er wiederum zur Jagd nach
Paros kam, suchte er sofort Theoktisti auf und erfüllte sein
Versprechen. Dann ging er zurück zu seinen Kumpanen, jagte noch einige
Tage und wollte sich dann von Theoktisti verabschieden. Er fand sie
jedoch tot auf. Dem Jägersmann dämmerte schon, dass es sich bei der Frau
um eine Heilige handeln muss, und da zu dieser Zeit Reliquien hoch im
Kurs waren, trennte er ihr eine Hand ab, um diese mitzunehmen. Als er
dann mit seinen Freunden die Insel verlassen wollte, gelang es ihnen
nicht, ihr Schiff ins offene Meer zu bekommen. Der Jäger begriff, dass
er etwas getan hatte, was Gott missfiel und sogleich machte er sich auf
den Weg zu dem Gotteshaus, um Theoktisti, zusammen mit ihrer Hand, zu
begraben. Erst als er danach den Wind in den Segeln spürte, gestand er
seinen Mitreisenden die verabscheuungswürdige Tat. Seine Freunde waren
entsetzt, kehrten unverzüglich nach Paros zurück, um der Verstorbenen
die Ehre zu erweisen. Als sie bei der Kirche ankamen, war jedoch der
Leichnam verschwunden.
Später sind ihre Gebeine wohl doch noch gefunden worden, denn es wurde
ein Kirchlein für sie erbaut. Man sagt, dass Bewohner von Ikaria sich
der Knochen bemächtigt haben sollen, wovon nur ein Knöchelchen übrig
geblieben sei, das jetzt als Reliquie in der „Agia Theoktisti“
aufbewahrt wird. Diese Kapelle liegt in der berühmten „Kirche der
hundert Pforten“, die auf dem Platz steht, wo die Heilige lebte und die
bekannteste auf Paros ist.
Na,
wenn Theoktisti 35 Jahre auf einer unbewohnten Insel überleben konnte,
dann schaffen die Griechen es doch wohl auch, die heutigen
wirtschaftlich schwierigen Zeiten zu überstehen. Und der Tourismus auch.
Den Stränden, dem blauen Meer, der schönen Natur, den angenehmen
Temperaturen, den verschlafenen Dörfern und der Freundlichkeit der
Griechen, all dem hier auf Lesvos kann die Krise nichts anhaben. Auch
wenn man den Gürtel derzeit etwas enger geschnallt hat, so wird dennoch
auf den Dorffesten gefeiert, und die Griechen genießen den Sommer. Statt
fernzubleiben, sollten Sie den Griechen durch den Besuch ihres immer
noch bezaubernden Landes helfen!
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