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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Ziegen auf der Straße
28.Oktober 2014 - Ein Kommen und Gehen (Teil 2)
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Jetzt, mit Ende der Touristensaison, war es auch für mich
wieder Zeit, den Flieger in die Heimat zu nehmen. Am Flughafen
angekommen, checkte ich ein und ging alsdann Richtung Warteraum, als
eine Mitarbeiterin des Bodenpersonals mich zurückrief und fragte, ob ich
denn meinen Koffer nicht mitnehmen wolle. Ach ja, ich vergaß, dass man
diesen selbst in den 10 Meter entfernten Gepäckscanner hieven muss. So
läuft es hier auf Lesvos.
Der Flug verlief gut, und als ich kurz vor der Landung
durch das Fenster schaute, wusste ich, dass ich die Insel vermissen
werde. Sollte ich eine Beurteilung meiner Heimat von der Luft aus
betrachtet abgeben, würde ich sagen, dass die Bevölkerung recht
gradlinig und straff organisiert ist: Alle Parzellen sind durch Zäune
und Gräben ordentlich abgesteckt, die Straßen und Kanäle verlaufen
gerade, die Bäume sind akkurat und in einer Linie gepflanzt, und selbst
die Kühe scheinen geordnet in eine Richtung zu laufen… Ich bin wieder in
einem Land, in dem alles organisiert und geregelt ist, in dem seit
nunmehr 10 Jahren darüber diskutiert wird, ob ein Krankenwagen im
Notfall in 15 oder 30 Minuten am Einsatzort zu sein hat und in dem die
Menschen finanziell entschädigt werden, weil sie einen Teil des Tages
keinen Strom hatten. In einem Land, in dem die Bewohner dagegen
protestieren, dass ein weiterer großer Supermarkt in ihrem Stadtteil
gebaut werden soll und in dem Hunde im Park verboten sind, damit kein
spielendes Kind mehr Gefahr läuft in einen Sch..haufen zu treten. Tja,
und wie es aussieht, wird es immer verrückter, denn ich habe nun im
Zentrum meines Wohnortes „Fahrrad-Anweiser“ getroffen, Menschen, die
dafür angestellt wurden, der Bevölkerung zu zeigen, wo man das Rad
abstellen kann.
Wie anders ist da doch unsere Insel! Lesvos, mit dieser
überwältigenden Landschaft: All diese Berge, Olivenhaine, Kastanien- und
Pinienwälder… Es ist mir ein Rätsel, wie man es geschafft hat, hier
überhaupt Straßen anzulegen. Mit dem Auto unterwegs sein bedeutet,
bergauf, bergab eine unübersichtliche Kurve nach der anderen zu nehmen,
hinter der ausgebüchste Ziegen und Esel, Schlangen, Füchse, Hund, Katzen
oder ein Schäfer mit seiner Herde lauern können. Es gibt nur ein
einziges Krankenhaus auf der Insel, und zwar in der im Südosten
gelegenen Hauptstadt. Sollte ein Notfall eintreffen, so ist es für die
Menschen aus dem Westen oder Norden der Insel ratsam, sich aus
Zeitersparnisgründen mit einem Auto Richtung Mytilini fahren zu lassen,
um sich mit dem Krankenwagen auf halber Strecke zu treffen. Es gibt auch
nur einen einzigen großen Supermarkt: „Lidl“, ebenfalls in der
Hauptstadt. Das Angebot in den „Mini-Märkten“ auf der Insel ist
dagegen relativ teuer und größtenteils bei „Lidl“ gekauft. Erwähnt
werden muss auch an dieser Stelle, dass man sich nie sicher sein kann,
über Wasser, Strom oder eine Internetverbindung zu verfügen.
Und wissen Sie was? Trotz all dieser logistischen und
organisatorischen Unannehmlichkeiten ist das Leben auf Lesvos entspannt
und angenehm. Es überrascht mich immer wieder, wie gut doch alles läuft.
Dass man so oft Wasser, Strom und Internet hat und die Regale in den
Geschäften gefüllt sind. Dass LKWs und Busse die Straßen passieren
können, obwohl Zweiräder und Autos kreuz und quer parken und es nicht
selten Millimeterarbeit ist. Busfahrer sind wahre Lenkkünstler beim
Durchquetschen, und nur selten habe ich eine Kollision gesehen, aber das
Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf der Insel bedarf Zeit,
Geduld und starke Nerven, weil z.B. ein Umweg gefahren wird, um einen
Kanister Olivenöl abzuholen oder der Benzintank noch eben gefüllt werden
muss. Fakt ist, das man sein Ziel erreichen wird, fragt sich nur wann…
Ich komme aus einer Großstadt, in der es nicht
selbstverständlich ist, dass man seine nächsten Nachbarn kennt, und so
bin ich ein jedes Mal gerührt, von der Freundlichkeit und der
Hilfsbereitschaft der Menschen hier auf Lesvos. Als ich unvorbereitet
auf einen recht kalten Frühling hier ankam, gab der eine mir eine dicke
Decke und ein anderer eine wärmende Strickjacke. Als ich meinen Roller
ungeschickt geparkt hatte und ihn nicht von einem Hang herunter bekam,
half mir, und das wie selbstverständlich, ein alter Mann, der schon
recht wacklig auf den Beinen war. Ein jedes Mal, wenn mein Gefährt mal
wieder nicht ansprang, war ein junger Mann zur Stelle, der es zum laufen
brachte, und als mich einmal eine Wespe stach, erschien, wie aus dem
Nichts, eine Dame mit der Linderung bringenden Salbe in der Hand.
Fasste ich mal den Entschluss, einen Weg zu Fuß zu gehen, so stoppte
immer irgendwer neben mir, um mich mitzunehmen.
Tja, und dieses Minimum an Bewegung, die vielen
Einladungen zum Essen, das gute griechische Leben, das umsorgt werden
während meines Aufenthalts.... man kann es meinem Körper ansehen.
Füreinander da zu sein, ist auf Lesvos normal, und an
dieser Stelle möchte ich meine Bewunderung für die vielen Tierfreunde
aussprechen, die sich um die vielen herrenlosen Katzen und Hunde auf der
Insel kümmern.
Wie Sie lesen, laufe ich – zurück in der Hektik meines
„gewohnten“ Lebens – Gefahr, Lesvos zu idealisieren. Lassen Sie mich
ehrlich sein: Hier ist auch nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen, und
es ist kein einfaches Leben, schon gar nicht im Winter, wenn der
Großteil der Bevölkerung wieder arbeitslos ist. Es ist auch nicht
wirklich angenehm, dass innerhalb einer Stunde die halbe Insel weiß, wo
Du mit wem wann gewesen bist, was man gemacht und gesagt hat. Aber,
trotz alledem, für mich ist und bleibt Lesvos ein Juwel in der Ägäis,
mit dem man sorgsam umgehen sollte. Solch eine Neuerung, wie das viel
diskutierte und kritisierte Zügelein zwischen Molyvos und Anaxos wird
nicht viel Schaden anrichten, oder wie sehen Sie das, wenn Sie dabei mal
an eine mit Pendlern vollgestopfte U-Bahn denken oder in einem
kilometerlangem Stau auf der Autobahn festzusitzen? Ist es in solchen
Momenten nicht schwer vorstellbar, dass Menschen Probleme mit einem
gemütlich tuckernden Bähnchen, voll mit fröhlichen Touristen, sehen? Na,
habe ich Recht?
Epilog:
Dies war meine letzte Kolumne über meine persönlichen
Erfahrungen und Meinungen hinsichtlich des Lebens auf Lesvos. Das
Schreiben hat mir Freude bereitet, ohne die Kolumnen wissenschaftlich zu
untermauern und manchmal mit etwas Übertreibung, wollte ich damit
unterhalten, informieren, zu Diskussionen anregen, was mir hoffentlich
gelungen ist, auch wenn ich hie und da in ein Wespennest gestochen habe.
Ich bedanke mich bei Ihnen fürs Lesen und für all Ihre Reaktionen. Mein
besonderer Dank geht an Julie, die mir an dieser Stelle die Möglichkeit
und den Platz dafür eingeräumt hat.
Ich wünsche Ihnen einen guten Winter!
©pip
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