|
BOULEVARD-NEWS LESVOS
Ein Brennofen in Ayos Stefanos
11.Oktober 2014 – Das Land der Töpfer
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Die letzte Kolumne von Pip hat hier unter einigen
Inselbewohnern für Diskussionen gesorgt: Sollte es wirklich sein, dass
Billigflieger imstande sind, massive Veränderungen auf Lesvos
herbeizuführen? Ich hoffe so sehr, dass man sich nicht den
Massentourismus, wie z.B. auf Rhodus, Korfu oder Kos zum Ziel setzen
wird, sondern das man weiterhin stolz auf das ist, was man hat, nämlich
einen unglaublichen Reichtum an herrlicher Natur, wie er kaum auf einer
anderen griechischen Insel zu finden ist.
Glücklicherweise ist Lesvos eine recht große Insel,
nämlich die drittgrößte in Griechenland, so dass es eine Herkulesaufgabe
sein würde, sie in ihrer Gesamtheit mit Hotelanlagen und Feriendörfern
zu bepflastern, wie es auf Rhodos oder Mallorca der Fall ist. Mano, und
wollen wir wirklich, wie es auf Mallorca Fakt ist, ein jedes Mal in ein
Verkehrschaos kommen, wenn wir eines der letzten grünen Fleckchen auf
dem Eiland aufsuchen? Oh, bitte, lasst es auf Lesvos nicht so weit
kommen…
Der Tourismus auf Lesvos konzentriert sich überwiegend
auf den Inselnorden, und zwar rund um das pittoreske mittelalterliche
Städtchen Molyvos, das wie ein Magnet die Menschen anzieht. Aber ich
kann Ihnen sagen, dass Lesvos noch so viel mehr an besondere,
zauberhafte und interessante Orte hat, die selbst die nicht kennen, die
schon seit Jahren immer wieder kommen.
So gibt’s da ein Gebiet, gleich unter Mandamados, wo das
Dorf Aspropotamos sowie die Weiler Ayos Stefanos (bekannt für seine
frühchristliche Basilika) und Palios zu finden sind. Leider sind viele
archäologische Stätten hier verloren gegangen, so dass auch Historiker
nur ahnen können, wie es vor langer Zeit in dieser Region ausgesehen
haben muss. In der Vergangenheit war halt den Menschen nicht wirklich
bewusst, welch historischen Wert die alten Gemäuer und Ruinen darstellen
und dass irgendwann Fremde aus aller Welt auf die Insel kommen werden,
um bröckelnde Burgen und andere Bauwerke zu bestaunen. Tja, und so
benutzte man einfach das antike Baumaterial um neue Häuser zu errichten
und half auch den seltsamen Besuchern, Steine mit nicht zu
entziffernden Inschriften und andere Schätze zu finden. Wie gut, dass
nicht ein jeder so handelte.
Man schrieb das Jahr 1852, als Thomas Newton als neuer
britischer Konsul nach Mytilini geschickt wurde. Er interessierte sich
sehr für die Archäologie und hatte Beziehungen zum „British Museum“.
Neben seiner konsularischen Arbeit, reiste er kreuz und quer über die
Insel, immer auf der Suche nach Museumsstücken. So kam er auch zu der
Basilika in Agios Stefanos. Viele Jahre zuvor, war das Dach des
Gotteshauses eingestürzt, aber Newton fand im Inneren einen riesigen
Stein mit einer interessanten Inschrift. Nicht dumm, fragte er einen
Bauern, ob er diesen Stein haben könne und dieser antwortete doch
wahrhaftig, er solle ruhig nehmen, was er wolle. Als Newton dann einige
Ochsen für den Transport organisiert hatte, kam wohl doch etwas
Geschäftsinteresse bei dem Bauern durch und er nahm ihm etwas Geld ab,
damit die Unternehmung fortgesetzt werden konnte. Tja, aber man hatte
die Rechnung ohne die Eigentümerin des Grundstücks gemacht, die alsdann
herbeieilte, Räucherwerk entzündete, um die Kirche vom Negativen zu
reinigen, sich auf den Stein setzte und Newton daran hinderte, den Stein
mitzunehmen. *
Für Briten und auch andere Ausländer war es in früher
ganz normal, archäologische Schätze auf diese Weise für ihre Museen zu
„sichern“. Der größte Raub der damaligen Zeit ereignete sich in Athen,
wo der damalige Lord Elgin, einst britischer Botschafter des osmanischen
Reiches, „einige Steine“ (220 Tonnen!) von der Akropolis in den Jahren
1801-1804 entfernen ließ, nachdem er sich dafür die Genehmigung der
Türken eingeholt hatte. Die unter dem Namen „Elgin Marbles“
bekanntgewordenen Statuen, Säulenfragmente, Kapitelle und 56 der 96
Platten vom Fries des Pantheon sind eine Attraktion im Britischen
Museum, und seit Jahrzehnten fordert Griechenland die Herausgabe. So war
das also damals, und man kann hier auf Lesvos von Glück reden, dass der
Stein, der einst das Interesse von Thomas Newton erweckte, immer noch in
der Basilika von Agios Stefanos zu finden ist (auf jeden Fall liegt da
einer mit römischer Inschrift) und die Dorfbewohner dem Gotteshaus ein
neues Dach geschenkt haben.
Wenn Sie Richtung Palios kommen, stoßen Sie in dem Gebiet
von Kafkares bei einer Flussmündung auf die Überreste einer Burg. Alte
Mauern, behauene Steine und viele Scherben antiker Keramik sind Zeugen
dafür, dass es hier mal eine größere Siedlung gegeben haben muss,
wahrscheinlich mit einem kleinen lebhaften Hafen, von dem aus Krüge voll
mit Wein und Öl transportiert wurden.
Ein Stückchen weiter, direkt neben Palios mit seinem
besonders idyllischen kleinen Hafen, erheben sich aus der zerklüfteten
Landschaft aus Stein gehauene alte Gräber. Auch Palios, das nun nur noch
aus ein paar wenigen Häusern besteht, muss einst voller Leben gewesen
sein. Bis 1922 machten sich die Pilger von Ayvalik aus auf den Weg, um
zum
„Taxiarchis-Kloster“ in Mandamados zu gelangen, wo die
berühmte Ikone des Erzengels Michael aufbewahrt wird, die das eine und
andere Wunder bewirkt haben soll.
In der Antike wurde Wein und Öl in irdenen Krügen
transportiert. Töpfer stellten diese Gefäße her, und gerade in dem
Gebiet von Mandamados waren augenscheinlich viele von ihnen ansässig,
denn neben fast jedem inzwischen eingestürzten Gebäuden war ein
Brennofen zu finden. Die Keramik aus diesem Gebiet und dem bei Agiassos
war einst berühmt im ganzen Land.
In Agios Stefanos lebt ein Töpfer, der immer noch
Schüsseln, Teller, etc. auf die althergebrachte Art und Weise fertigt.
Nicht wirklich traditionell daran ist, dass der aus der Erde geborgene
Ton heutzutage auf die Straße gelegt wird, um von den Autos geplättet zu
werden. Zu Zeiten ohne Kraftfahrzeuge, musste man dafür Hände, Ellbogen
und Füße einsetzen, um im Schweiße seines Angesichts das Material
geschmeidig zu bekommen. Kommt der Ton von der Straße, wird ein
spezielles Pulver für die Elastizität zugefügt, die Fertigung und das
Brennen erfolgt dann jedoch wie eh und je: Mit der Hand geformt, von
der Sonne getrocknet, im traditionellen Holzofen gebrannt.
Bei Ihrer Tour durch das Land der Töpfer, werden Sie
vielen kleinen Wasserstellen begegnen, die Vögeln und Libellen Heimat
schenken. Entstanden sind diese einst durch das Graben nach Ton für
Schüsseln, Becher und Teller. Man muss ich mal bewusst machen, wie viel
Geschirr aus dieser einzigartigen Gegend mit kleinen Stränden, wildem
Lavendel, versteckten Orchideen, alten Ruinen und weiteren unzähligen
Überraschungen kommt. Ich bin mir nicht sicher, ob die vielen dort frei
herumlaufenden Kühe auch ihren Platz in der Geschichte der Töpferei
haben, aber ich bin mir schon sicher, dass es sehr schwer wird,
Touristenzentren hier aufzubauen, sind doch die Strände zu klein und die
Landschaft viel zu wild…
* Aus: „The British Consular Service in dthe Aegean and
the Collection of Antiquities“ von Lucia Patrizio Gunnin
|