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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Der Zug von Molivos in Petra
18. Mai 2014 - Kein Sommer aber Viecher
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Vorige Woche wollte ich mir einen Tee einschenken, griff
zur Kanne und erstarrte vor Schreck, als ich erblickte, was sich da um
das Gefäß geschlungen hat: Eine dunkelbraune Riesenschlange (na ja, wenn
ich ehrlich bin: ganze 40 cm war sie lang). Flugs stellte ich den
Teepott woanders ab, und eh sie sich versah, stülpte ich so eine
Abdeckhaube, mit der man Speisen vor Insekten schützt, über sie. Ich
denke mein ungebetener Gast war ebenso vom Donner gerührt wie ich, denn
er bewegte sich keinen Millimeter…
Das Wetter treibt nach wie vor seine Spielchen mit uns.
Wenn nicht gerade Schauer auf uns niederprasseln, es donnert und
grummelt oder dunkle Wolken den Himmel bedecken, schickt es uns einen
eisigen Wind aus dem Norden nach eindrucksvollen Stürmen aus dem Süden.
Das griechische Sonnenwetter hat die Insel noch nicht erreicht, und am
Abend hat man die Wahl, entweder draußen der Kälte zu trotzen oder die
Zeit im Haus zu verbringen. Auch tagsüber findet man mich noch meist in
der Stube an, genau wie meine Teekanne, die ihren Platz auf dem
Sideboard in der Küche hat. Ich vermute, dass auch die Schlange genug
hatte vom kalten Mai-Wetter und sich an ihr wärmen wollte.
Nun lag sie also da unter dem Netzgitter, und jetzt?
Ihren Kopf mit einem Hammer zu zertrümmern, bringe ich nicht übers Herz,
und das ginge ja auch nicht, ohne die Haube zu lüften. Sie ins Freie zu
entlassen, war wohl die bessere Idee, aber wie nur? Mir fiel die
Pizzaschaufel ein, die ihren Platz an unserem gemauerten Außenbackofen
hat und rannte mit einem Affenzahn nach draußen, aus Sorge, die Schlange
könne sich von ihrem Schock erholen und agil werden. In Nullkommanix war
ich mit dem Küchengerät zurück und fand sie immer noch bewegungslos
vor.
Die runde Fläche der Schaufel, mit der man so großartig
Pizzen aus dem Schlund des Backofens hieven kann, hatte in etwa den
Durchmesser der Fliegenhaube und trotzdem überfielen mich Zweifel an
meinem Vorhaben. Aber, wie heißt es so schön? Wer nicht wagt, der nicht
gewinnt. Ich nahm eine sehr akrobatische Körperhaltung an: Ganz weit weg
von dem Ort des Geschehens und doch noch so, dass meine Hand die Haube
millimeterweise anheben konnte, um mit der anderen die Schaufel darunter
zu schieben, bzw. die Haube auf die Schaufel…und das
gaaaaaaaaaaaaaaaaanz langsam, denn die Schlange könnte ja in die Panik
geraten, in der ich schon war. Welch Ende diese höchstgefährliche Aktion
nahm, hatte ich befürchtet: Die Schlange erwachte aus ihrem
traumatisierten Zustand, erblickte alsgleich einen fingerbreiten
Fluchtweg, und husch entschwand sie hinter das Sideboard. Und jetzt? Ich
hatte auf gar keinen Fall vor, diesen Zustand als gegeben hinzunehmen
und die Schlange entkommen zu lassen. Wie sollte ich schließlich am
Computer arbeiten, ohne den Gedanken zu haben, sie würde dort gleich
neben mir ein warmes Plätzchen suchen, sich gegebenenfalls zu mir an
den Tisch gesellen, wenn ich meinen Tee trinke oder gar die Idee haben,
dass es noch viel gemütlicher ist, sich während meines Mittagsschlafs an
mich zu kuscheln.
Das Möbelstück zu verrücken, dafür fehlte es mir an
Kraft. Die einzige Möglichkeit, die ich sah, war die Spalte zwischen
Buffet und Wand hermetisch abzudichten. Ich plünderte meinen Vorrat an
gebrauchten Plastikbeuteln und stopfte diese allesamt panisch in die
Ritze. Dann fielen mir die Holzlatten ein, bewaffnete mich mit Hammer
und Nägeln und machte mich wie wild ans Werk. Erst als ich alles
wirklich luftdicht verschlossen hatte, konnte ich wieder frei
durchatmen.
Ich habe die Schlange seitdem mehrmals um Verzeihung
gebeten, für diesen grausamen Versuch, sie zu ermorden. Aber ich konnte
wirklich nicht anders! Das schlechte Gewissen die Tage darauf war Strafe
genug… und ehrlich, insgeheim hoffe ich, dass ihr doch auf irgendeine
Weise geglückt ist, in die Freiheit zu entkommen. Eine Schlange ist
schließlich auch nur ein Tier, und dieses Exemplar war, so hab ich
inzwischen erfahren, nicht einmal giftig und hätte keiner Fliege je
etwas zuleide getan. Na ja, aber immerhin hätte sie schon mit Ärger
rechnen können, nachdem sie, und das ohne zu fragen, von meiner Teekanne
Besitz ergriff.
Die Königin wusste es besser. Alle Jahre wieder feiere
ich den Königinnentag, ausgerüstet mit einem Glas und einer
Fliegenklatsche. Dieser Tag ist Ende April/Anfang Mai und beginnt mit
dem Eintreffen der Königin. Es handelt sich dabei um eine riesige
Hornisse, die größte Wespe Europas, die laut brummend in unser Haus
geflogen kommt (geflogen? Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie sie unser
Heim betritt, denn sie ist immer plötzlich da für einen Tag). Es ist
immer das gleiche Spiel: Nachdem sie einige Male das Zimmer umrundet
hat, höre ich genervt auf, mit dem, was ich gerade tue und renne ihr mit
Glas und Fliegenklatsche hinterher. Landet sie auf einer glatten
übersichtlichen Fläche, stülpe ich das Glas über sie, schiebe die
Klatsche darunter und trage sie so aus dem Haus. Ende der ersten Runde!
Dann kommt sie wieder, und der Wettkampf startet erneut. Im letzten Jahr
gewann ich nach 4 Runden durch Aufgabe des Gegners. Letzte Woche war es
wieder soweit, sie scheint gealtert zu sein, denn sie ergab sich bereits
nach Runde 2.
Liebe Leser, lassen Sie sich hier keinen Bären aufbinden,
denn eine Wespe hat eine Lebenserwartung von nur einem Jahr. Also ist es
ein jedes Mal eine andere Königin. Ich frage mich nur, warum mich dieses
Exemplar jedes Jahr wieder mit ihrem Besuch beehrt und auf welche
geheimnisvolle Weise sie sich Zutritt in unser Haus verschafft.
Obwohl der Sommer auf sich warten lässt, sind alle
Viecher schon auf der Insel angekommen, um uns das Leben zur Hölle zu
machen: Spinnen, Ameisen, Mücken, Würmer, Schlangen, Raupen sind wieder
Teil des Alltags. Nun ist mir zu Ohren gekommen, dass ein besonderes
Insekt in diesem Jahr eingeflogen ist, eines, das durch seinen Stich
irritierende Beulen auf unserer Haut verursacht: Die Asiatische
Tigermücke auf Lesvos? Gestern, als ich an meinem Computer saß, flog
eine Art Moskito an mir vorbei, die mir für eine Mücke viel zu groß
erschien. Bei näherem Betrachten sah ich, dass der sehr schlanke Körper
mit leichten Streifen durchzogen war. Die Tigermücke? Das Gute am
weltweiten Web ist, dass Sie auf nahezu alle Fragen schnell Antworten
finden, und so ergaben meine Recherchen, dass es sich um eine
Libellenart handelte und weiter, dass es keinen einzigen Hinweis dafür
gibt, dass sich die gefährliche Mückenart auf Lesvos ansiedeln will.
Die einzige neue „Gefahr“, die sich raupenähnlich
motorisiert neuerdings durch den Inselnorden schlängelt, wird vom
Volksmund „Das Züglein“ genannt. Es ist ein freizeitparkähnliches
Bähnchen, das Molyvos und Petra unsicher macht. Zunächst war es nur ein
Exemplar, inzwischen hat es sich vermehrt und seinen Lebensraum
erweitert: 3 an der Zahl kriechen über die Straßen, mittlerweile sogar
bis nach Anaxos. Es transportiert jeden, der möchte (und bezahlt) von
Petra nach Molyvos, erklimmt den Berg hinauf zur Burg, schlängelt sich
hinunter bis zum Hafen. Angst muss man nicht vor dem Züglein haben, denn
es kriecht schneckengleich (höchstens vor den Aggressionen der
Verkehrsteilnehmer hinter ihm). Begegnet man ihm abends, dann ist es
beleuchtet wie eine Jahrmarktattraktion. Derzeit führt der Weg des Zuges
jedoch noch nicht nach Eftalou, so dass ich nicht befürchten muss, ihn
demnächst in meinem Haus, womöglich noch um meine Teekanne gerollt,
vorzufinden…
Julie Smit |