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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
"Aristotle´s Lagoon"
26.März 2013 - Reisen nach Lesvos
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Die Zahl der Reisenden hat im Laufe der Jahrhunderte
zugenommen, und, dem Flugzeug sei Dank, benötigen die Menschen
heutzutage nicht mehr Jahre, um ans andere Ende der Welt zu gelangen. Es
ist dieses schnelle Reisen, was Touristen darüber nachdenken lässt,
nicht nur einmal im Jahr in den Urlaub zu fliegen. Urlaub und Reisen
sind jedoch zwei ganz unterschiedliche Unternehmungen. Ein Urlaub ist
geplant, man weiß, wann und wohin es geht, an welcher Straße das
Feriendomizil liegt und wie lange man sich dort aufhält. Das Reisen
jedoch ist nicht so durchgeplant, man kennt das Ziel, aber weiß nicht,
wann man dort ankommen wird, welche Wege einen dorthin führen werden und
wie viel Zeit man benötigt.
Lesvos ist ein Urlaubsziel und war es bereits in der
Antike, als Rom noch Europa regierte. Gerne suchten die Römer die Insel
auf und gaben ihr den Namen „Garten der Ägäis“. Obwohl Reisende Mytilini
als die schönste Stadt der Ägäis proklamierten, wurde bis ins 20.
Jahrhundert dem griechischen Festland der Vorzug gegeben, was an den
antiken Baudenkmälern lag. Klassische Monumente der Antike, Delphi und
die Akropolis waren nun mal von enormem Interesse, und so saß Lesvos
zwischen den Stühlen von Athen und Konstantinopel und lockte nur einige
wenige Reisende für einen Zwischenstopp an, die auf den Weg in den
Orient waren.
Eigentlich unverständlich für das geschichtsträchtige
Lesvos. Denken wir nur an Aristoteles, der diese Insel wählte, um hier
die Tiere zu studieren. Seine Arbeit veröffentlichte er später in dem
Werk
"Historia animalium". Es war Theophrastos, ein Wissenschaftler
aus Eressós, der als der 1. Botaniker anzusehen ist, der Aristoteles den
Anstoß gab und ihn nach Lesvos einlud. So studierte der eine die
Pflanzen und der andere die Tiere. Der Golf von Kalloni, bot Aristoteles
die Umwelt, die er brauchte: Zahlreiche Fische und Landtiere, die er
sezieren und studieren konnte. Die BBC hat über die Bedeutung dieser
Arbeiten eine interessante Dokumentation gedreht. Der Film
"Aristotle´s Lagoon" ist darüber hinaus auch eine hervorragende
Werbung für Lesvos.
Die meisten der frühen Reisenden waren sehr belesen und
machten auch selbst Aufzeichnungen über ihre Abenteuer, und schenkten
uns damit die Möglichkeit, uns durch diese unterhaltsame und
interessante Literatur über das Leben zu ihren Zeiten ein Bild zu
machen. Ich bin ein Fan dieser Art Reiselektüre, vor allem der über
Lesvos, aber es gibt einfach zu viel davon. Man kann schon fast glauben,
dass ein jeder Reisende damals gezwungen wurde, einen Bericht über das
Erlebte zu verfassen. Bereits im 17. Jahrhundert schrieb der aus einem
niederländischen Regentengeschlecht stammende Gerald Hinlopen über
seinen Besuch in Mytilini (s.
Lesvos-News vom 19.4.2011). Im Internet sind viele Reiseberichte
aus dem 19. bis Mitte des 20.Jahrhunderts zu finden, z. B.
"Aegan Days" (1913) oder
"Old tracks and new landmarks" (1897), welche die Autoren Manatt
und Walker zu Papier brachten, als sie Mytilene (wie Lesvos früher hieß)
bereisten.
Die meisten Besucher blieben in Mytilini und wagten sich
von dort aus in die anderen Ecken der Insel. Es war zu dieser Zeit
populär, sich zum Golf von Gera aufzumachen, denn der ehemalige Hafen
war bekannt unter dem Namen „ Der Hafen der Oliven“, ein weiteres
Zugpferd war der Hafen von (Skala) Kallonis. Unterwegs war man ganz
sportlich per pedes oder mit Pferd und Wagen, dem Esel oder mit dem
Boot. So reiste Mary Walker mit einem gemieteten Boot nach Thermi und
dem Aquädukt von Moria. Um nach Molyvos zu kommen, bediente sie sich dem
Liniendienst für die Route Cavalla, Imbros, Tenedos, Molyvos, Mytilene
und Smyrna. Petra zum Ziel zu haben, hieß für sie, sich zu Fuß von
Molyvos aus durch ein erdbebenzerstörtes Gebiet zu begeben.
Selbst noch in den 60er Jahren, als es die ersten Autos
auf der Insel gab, war es eine abenteuerliche Exkursion von mehreren
Tagen z.B. damit zum Kloster von Ypsiloe zu kommen, wie Betty Roland in
ihrem Buch „Lesvos, die heidnische Insel“ beschreibt.
Die Inselbewohner selbst waren nicht so reiselustig,
ausgenommen die Kaufleute, die ihren Wohnsitz in der Hauptstadt hatten
und von dort aus ferne orientalische Länder, Russland und Ägypten
bereisten. Die Dorfbewohner blieben in ihrer gewohnten Umgebung, was
hatten sie in Mytilini schon zu tun, außer wenn es ab und an mal, um ein
Geschäft aufzusuchen, unbedingt erforderlich war? Tja, und dieser
Ausflug war dann ein wahres Abenteuer für sie. Stratis Myrivilis, ein
Schriftsteller von der Insel, erzählt in seinem Roman
"Die
Madonna mit dem Fischleib" von einem Mann aus Sykaminia, der
sich mit seinem Boot nach Mytilini begab und total betrunken und mit
einem Findelkind an Bord zurückkehrte.
In den 60er Jahren gab es auch die Busstrecke
Molyvos-Petra-Mytilini. Die Fahrt dauerte jedoch zwischen 2 und 3
Stunden und bei Regen gar 4 bis 5 Stunden, weil Flüsse überquert werden
mussten. Auch dieses Reisen auf schlechten Straßen gibt Betty Roland in
ihrem Buch preis und beschreibt sehr kurzweilig das Verhalten der
Passagiere, ausgestattet mit all ihrem Gepäck und reichlich
Verpflegung.
Tja, und nun sind alle Hauptstraßen asphaltiert, Brücken
sind gebaut und Mytilini ist in nur einer Stunde vom Norden der Insel
aus zu erreichen. Touristen kommen kaum mit dem Schiff, denn eine
Flugreise ist wesentlich schneller. Die Menschen heutzutage sind immer
in Eile, wollen so schnell wie möglich in die Sonne, und verpassen
dadurch das Reisen, was ihnen Abenteuer schenken und schöne Landschaften
zeigen würde. Unbestritten ist das Fliegen zeitsparend, aber auch teuer.
Regelmäßig dringen mir Klagen über die teuren Flugtickets ans Ohr oder
auch darüber, dass der gewünschte Charterflug ausgebucht sei. Aber es
gibt doch auch andere Wege nach Lesvos, mit dem Boot z.B., wie es damals
gemacht wurde, was eine Ankunft verspricht, die mit Sicherheit
eindrucksvoller ist, als die mit dem Flieger. Vorschlag: Fliegen Sie
nach Athen und nehmen von dort aus die Fähre von Piräus nach Lesvos.
Eine abenteuerlichere Alternative: Sie buchen einen frühen Flug nach
Izmir in der Türkei, setzen sich dann in den Shuttlebus Richtung Ayvalik
oder Dikili (eine 2-stündige Fahrt durch die zauberhafte türkische
Landschaft erwartet sie), nehmen Sie sich Zeit, um sich von malerischen
Dörfern bezaubern zu lassen und gehen dann am späten Nachmittag aufs
Schiff nach Mytilini. Na, wie wäre das? Sie könnten auf diese Weise
Ihre 1. Exkursion in Angriff nehmen. Es ist der preiswerteste Weg, und
Sie können auf Ihrer Reise schöne Bilder machen. Und nebenbei ist Izmir
sowieso eine Reise wert, eine interessante Stadt, die nur dazu verlockt
einige Tage zu bleiben.
Lesvos gehört nicht zu den Inseln, die am meisten besucht
wird, wodurch sie aber auch nicht vom Massentourismus verdorben ist. Was
Sie hier sehen, ist das, was Aristoteles, die Römer und all die
Reisenden in den vergangenen Zeiten erblickten, die sie als grüne Insel
der fruchtbaren Gärten lobten: Eine Oase der Ruhe, bezaubernde Natur,
freundliche Menschen, aber nur ein wenig der alten Kultur.
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