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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Löwenzahn
28.Januar 2013 -
Chorta-la-di-de
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Bild: Löwenzahn
Schon während meines ersten Winters auf Lesvos fielen mir die vielen
Grüppchen von Chorta-Sammlern auf. Bereits im Sommer darauf wurde auch
ich eingeladen, im Winter mit in die Berge zu gehen, um nach diesem
Wildgemüse zu suchen. So lud mich eine Frau zu ihrem Bergbauernhof ein,
und in meinem Kopf entstanden romantische Bilder von saftig grünen
Berghängen und faszinierenden Aussichten.
Die
Bergregion jedoch, die sie meinte, wird zwar Eftalou“ genannt, was
„Sieben Hügel“ bedeutet, ist aber m.E. in keinster Weise bergig, sondern
ziemlich platt, mit ihren sanft ansteigenden Wiesen und Olivenhainen,
und der sogenannte „Bergbauernhof“, entsprach dann nicht nur durch seine
Lage in Meeresnähe nicht wirklich meinen Erwartungen, denn was die
Griechen als Bauernhof (farma) bezeichnen, hat aber auch rein gar nichts
mit dem zu tun, was wir darunter verstehen. So wohnt z.B. kaum ein
Grieche auf seinem „Hof“: Eine selbst zusammengeschusterte Ruine, die
Schafen und Ziegen eine ärmliche Unterkunft bietet, evtl. noch mit einem
windschiefen Schuppen fürs Vieh, gezimmert aus altem Holz und verstärkt
mit antiken verrosteten Bettgestellen. Der Herr des Ganzen wohnt in
einem normalen Haus im nächsten Dorf, von wo aus er auch seine Geschäfte
tätigt. Landwirtschaftliche Betriebe und Höfe, wie in den Niederlanden,
sind hier nahezu unbekannt.
Es
ist mir ein Rätsel, weshalb man sich zum Chortasammeln in die Berge oder
eben zu diesem Bauernhof aufmachen soll, ist doch Eftalou eines der
beliebtesten Chorta-Gebiete im Norden von Lesvos. Wie ich Ihnen schon in
einer früheren Kolumne erzählte, ist der Ansturm von Jägern dieses
Wildgemüses hier so groß, dass es mir immer wieder in den Sinn kommt,
doch mit der Eröffnung einer Imbissbude erfolgreich ins Geschäftsleben
einzusteigen.
Mitglieder dieser von uns scherzhaft genannten „Chorta-Mafia“ können ein
recht kühnes Gebären an den Tag legen, indem sie hauseigene Gärten
durchstreifen oder mit ihren Autos und Mopeds Zäune der zu dieser
Jahreszeit geschlossenen Hotels platt walzen, da ihnen das Gras (in
diesem Fall das wilde Gemüse) an Orten, wo der Zutritt eigentlich
verboten ist, grüner und saftiger erscheint, als anderswo. Es ist, wie
die Suche nach dem Heiligen Gral: Alles ist erlaubt! Die Teilnehmer an
der Jagd haben nur eines im Sinn, nämlich so gut und so schnell wie
möglich ihre Plastiktüten mit Chorta zu füllen. Mit Romantik hat das in
meinen Augen aber auch rein gar nichts zu tun.
Tradition ist es, dass Mütter ihr Wissen über die Pflanzen an ihre
Töchter weitergegeben. Es gibt zwar auch unter den Männern einige, die
sich auskennen, aber meist sind diese mehr auf dem Gebiet der Pilze
bewandert. Bei dem, was schlussendlich an wildem Gemüse in der Tüte
landet, kommt es darauf an, was gerade zu dieser Zeit wächst, auf was
der jeweilige Sammler spezialisiert ist und wie es mit seiner und/oder
der Gesundheit seiner Lieben aussieht: Sagt man doch so schön, dass
gegen alles ein Kraut gewachsen ist, und so gibt’s Chorta gegen
Bauchweh, ein anderes gegen Kopfweh, und wieder ein anderes, welches das
Blut reinigen soll. Fakt ist jedenfalls, dass Chorta supergesund ist,
und selbst Menschen, die gar nicht wissen und die es auch gar nicht
kümmert, welches Blättlein jetzt bei welchem Leiden hilft, tun gut daran
das wilde Blattgemüse zu sammeln und so oft als möglich auf den Tisch zu
bringen.
Es
ist noch gar nicht allzu lange her, da sah man nur die alten Frauen, die
sich auf die Chortasuche machten, und das wertvolle Wissen darüber
schien in Vergessenheit zu geraten. Aber diese Befürchtungen sind nicht
eingetreten, denn nun ist wieder eine Zeit angebrochen, in der sich mehr
und mehr Menschen für diese Kenntnisse interessieren und sich auf die
Suche nach dem Wildgemüse machen. Ist die Krise der Grund dafür, dass
erneut eine Chorta-Manie ausgebrochen ist? Egal, wichtig ist, dass die
Bevölkerung gerade in der heutigen Zeit wieder erkannt hat, dass die
Natur, in der sie leben, nicht nur herrlich anzusehen ist, sondern
gleichzeitig auch ein Markt ist, der für sie Pilze, Gemüse, Schnecken
und andere gesunde Lebensmittel kostenlos im Angebot hat. Ja, nicht zu
vergessen, die Geschenke des Meeres: All die Fische, Schalen- und
Krustentiere. Wo kann man frischer und günstiger einkaufen?
An
dieser Stelle muss ich daran denken, wie schockiert ich war, als ich bei
meinem letzten Besuch in Holland in einem Supermarkt folgende Entdeckung
machen musste: Es wurde Obst und Gemüse angeboten, dass portioniert und
bereits geraspelt oder geschnitten in Plastikfolie eingeschweißt war!
Wer glaubt denn, dass das gesund ist? Nein, nein, so lecker sie all die
Produkte durch Zugabe von Chemikalien auch gemacht haben, mit gesunder
Ernährung hat das nichts mehr zu tun.
Man
muss nicht in Griechenland wohnen, um wildes Gemüse zu finden. Hier die
Top Ten aus den niederländischen Gärten: Brennnessel, Löwenzahn,
Spitzwegerich, Gänseblümchen, Klette, Weiße Taubnessel, Gundelrebe,
Beinwell, Engelwurz und Klee. Tja, man kann auch all diese Wildpflanzen
im Garten kultivieren, als sei es „echtes“ Gemüse. Unkraut im Garten?
Beißen Sie einfach zurück! Oder wagen Sie sich sonntags mal aufs
Land, Sie werden sehen, wie viel Spaß die Chorta-Suche machen kann. (Es
gibt so gar Lektüre dafür: Einen Wildgemüse-Führer für die Niederlande).
Nein, hier auf Lesvos benötigt man solch einen Helfer in Buchform nicht.
Die Insel ist umgeben von einem riesigen Fischteich, und hier wächst
Chorta nach dem Regen in der letzten Zeit in einem solchen Überfluss,
dass man sich nicht auf die Suche danach machen muss, sondern darüber
stolpert, und außerdem sind ja noch die Suchtrupps da, die einem mit
ihrer Geräuschen und unübersehbaren Spuren, die sie hinterlassen, eh
den Weg dorthin weisen…
Tja, das Überwältigende am Klima Griechenlands ist, dass selbst im
Winter, die Natur voll mit essbaren Dingen ist: Neben Chorta, Kräutern,
Oliven und Pilzen, sind jetzt die Zitrusfrüchte reif, und es ist an der
Zeit, herrliche Liköre zu brauen, Zitronen einzulegen und sich an
selbstgemachtem Mandarinen- und Orangenpudding knubbelich zu essen.
Ich
frag mich, ob es Chorta-Getränke gibt. Drinks aus Kräutern, wie z.B.
Thymianlikör, kennt man ja, und auch der Ouzo, der pur getrunken, bei
Magenschmerzen helfen soll, ist voll damit. Gelesen hab ich so was schon
mal, nämlich, dass für einige Griechen Chorta-Kochwasser, mit etwas
Zitronensaft aufgepeppt, ein Gesundheitstrunk ist.
Jetzt muss ich gerade daran denken, dass ich als Kinde „Löwenzahnwein“
produzierte, indem ich die gelben Blüten in Wasser eingeweicht und der
dann entstandenen gelben Flüssigkeit in einer feierlichen Zeremonie den
Namen „Wein“ verlieh. Löwenzahnwein gibt’s wirklich, auch wenn ich ihn
seit meiner Kindheit nicht mehr getrunken habe. Hier das
Rezept Bevorzugen Sie Bier?
Na, dann klicken Sie hier.
Griechenland ist ein grünes Winter-Frühlings-Wunderland, übervoll mit
kulinarischen Köstlichkeiten. Es bedarf zwar mehr Zeit sie zu sammeln,
als abgepacktes Fertiggemüse oder Fischfilet im Supermarkt zu kaufen,
aber dafür ist es garantiert frisch, gesund und g r a t i s !
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