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BOULEVARD-NEWS LESVOS

 

Die Hafenpolizei aus Molyvos bei einem Einsatz in Eftalou

 

18.Mai 2015 - Flüchtlingswetter

Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski

 

Endlich ist der Sommer nun eingekehrt: Die Wildblumen öffnen stolz ihre letzten Knospen, von den Akazien ergießt sich ein weißer Blütenregen, und hier und da färben sich die Wiesen bereits in trockenes Sommergelb. Die Ägäis ist wieder strahlendblau, ebenso wie das alles überspannende Firmament. Auch wenn Schaumkronen auf der Meeresoberfläche tanzen, so gibt sie doch den Blick frei auf die faszinierende Unterwasserlandschaft, in der  Fische glücklich umher schwimmen und Algen fröhlich winken.

 

Ja, und wenn das Meer sich so präsentiert, dann sagt man hier: „Es ist Flüchtlingswetter!“ Und kaum ausgesprochen, sieht man am nächsten Morgen, wie Schlauchboote sich dem Strand nähern, jedes von ihnen voll gestopft mit 50 und oft gar noch mehr Personen. Ihre lauten befreienden Schreie dringen dann durch die Stille, voll gepackt mit Erleichterung und Aufregung, das rettende Ufer unversehrt erreicht zu haben, aber auch die, wenn sie angstvoll zuvor ins bitterkalte Nass springen müssen.

 

Diesen Sommer werden wir das Meer mit all diesen Menschen, die verzweifelt ihr Zuhause und ihre Heimat verlassen mussten, teilen und auch unser Brot und Wasser. Hier in Molyvos gibt es keine helfenden Einrichtungen, wie z.B. das Rote Kreuz, nur eine Handvoll Mitarbeiter der Hafenpolizei und einige Dorfbewohner. Freiwillige, die, sobald wieder, wie jeden Tag, wenn es windstill ist, die Boote in Sicht sind, unermüdlich versuchen, hunderte von Flüchtlingen mit Nahrung, Wasser, Windeln für die Kleinsten, und trockener Kleidung zu versorgen. Tja, und manchmal, dann, wenn die Zahl der Ankommenden oder gar die Not  zu groß ist, dann suchen auch die Helfenden Unterstützung bei der ganzen Dorfgemeinschaft, so geschehen vor einiger Zeit, als der gesamte Parkplatz an der Schule überfüllt war mit hungrigen, durstigen und völlig durchnässten Menschen.  Welch einen bewegenden, beeindruckenden und herzergreifenden Eindruck hinterließ dieser Tag, an dem nahezu jeder den vielen Verzweifelten seine helfende Hand reichte und seinen Beitrag leistete…

 

Nie zuvor waren die Strände der Insel so dermaßen voll mit Schlauchbooten, Rettungsringen und Schwimmwesten, was etwas seltsam unter dem Gesichtspunkt anmutet, dass einigen von ihnen auch in diesem Jahr wieder das Umweltgütezeichen, die „Blaue Flagge“, verliehen wurde (Tsamakia, Eftalou, Ayii Anaryri, Kaya, Anaxos, Ayos Tsidoros, Molyvos, Thermis und Vatera).

 

Es ist noch keine 100 Jahre her, da war die Not noch viel größer: Waren es doch um die  50.000 Menschen, meist aus Ayvalik und Izmir, die nach Ende des griechisch-türkischen Krieges in der ersten Oktoberwoche 1922 verzweifelt Lesvos erreichten. Der berüchtigte erzwungene Völkeraustausch, beschlossen durch den Vertrag von Lausanne, fand 1 Jahr später statt. (Leider gibt es nur die englischsprachige Originalausgabe des Buches „Certain Samaritans“ in der die amerikanische Ärztin, Gesundheitspionierin und Frauenrechtlerin Esther Pohl Lovejoy in einem Kapitel die Situation auf der Insel beschreibt).

 

50.000 - so viele Flüchtlinge sind es nicht, die in einer Woche auf Lesvos stranden, aber geschätzt sind es bis zu 1.000 Menschen jeden Tag, und diese Situation stellt sich nicht nur hier, sondern auch auf Inseln, wie Rhodos, Kreta, Leros, Kos, Chios und Samos, die auch im Visier der Menschenschmuggler sind.  Wie soll die Bevölkerung damit umgehen? Wie es bewältigen? Und die Regierung? Sie hat doch ihre eigenen Probleme und bettelt um Europas Hilfe in Zeiten der Krise. Unter diesen Umständen von ihr Unterstützung zu erwarten ist völlig aussichtslos.

 

Vor 2 Tagen erreichten 120 Flüchtlinge Eftalou, von denen die Insassen eines Bootes auf hoher See gerettet werden mussten, begleitet von lauten Rufen der Hafenpolizei, die damit versuchten, immer wieder die auf dem Wasser treibenden todesangsterfüllten schreienden Menschen zu beruhigen. Ein jeder wurde vor dem Ertrinken bewahrt und in den Hafen von Molyvos gebracht, wo sie wieder einmal von freiwilligen Helfer mit Nahrung, Wasser und trockener Kleidung versorgt wurden (der zuvor erwähnte Parkplatz neben der Schule kann nur genutzt werden, wenn diese geschlossen ist).

Erneut zeigte sich ein erbarmungsloses Bild der Not: Selbst ein Mann im Rollstuhl war unter den Flüchtlingen und einer, der sich erst kürzlich  einer Operation am Herzen unterziehen musste, ein Diabetiker, der dringend Medikamente benötigte, da er seine Ration im Meer verloren hatte. Die Hauptstadt Mytilini meldete ein überfülltes Aufnahmelager, weigerte sich, die Hilfesuchenden abzuholen, und so rodete man in der Not eine Weide hinter dem Hafen, um provisorisch Zelte aufzustellen.  Auch Mandamados wurde an diesem Tag von Flüchtlingen überschwemmt, aber ich bezweifle, dass das Kloster für sie die Pforten öffnete, um ihnen Unterkunft zu gewähren. Dort Ankommende machen sich üblicherweise zu Fuß auf in die Hauptstadt.

 

Heute gelang einer Gruppe eine perfekte Landung auf dem Kiesstrand von Eftalou. Eheleute mit ihren Kindern, Großmütter und Großväter, von denen viele gleich zum Telefon griffen und - GOTT weiß wem – mit der Nachricht, unversehrt Europa erreicht zu haben, die große Ungewissheit und Sorge nahmen. Anwohner säuberten danach den Strand von Rettungswesten, Abfall, etc. , Passanten blieben einen Moment stehen, schauten schweigend zu und gingen dann weiter, als gehöre dieses Bild zum normalen Alltag, tja, und irgendwie ist es inzwischen ja auch so. Wenn die Ankommenden nicht in Not sind, so wie die Gruppe heute, müssen sie sich eigenständig auf den Weg ins Dorf machen, denn es ist in Griechenland verboten, sie zu fahren, da dies als Beihilfe des illegalen Menschenschmuggels  angesehen und mit Freiheitsstrafe geahndet wird.

 

Nur zu perfekt liegt an dem heutigen sommerlichen Tag wiederum die See dar, und in Izmir warten erneut zehntausende Flüchtlinge darauf, nach Europa gebracht zu werden, so dass auch wir wiederum mit weiteren Booten rechnen müssen.

 

In der Zwischenzeit ist aber auch die Anzahl der Touristen im Ort gestiegen, alle Restaurants im Hafen sind geöffnet, aber wer kann sich an seiner eigentlich so köstlichen griechischen Mahlzeit erfreuen, wenn man umher die Augen hungriger, durstiger und verzweifelter Menschen sieht? Klagen über verlorene Einnahmen werden unter einigen Geschäftsleuten  laut, während andere  tagsüber völlig selbstlos unermüdlich den Flüchtlingen helfen und abends in den Tavernen arbeiten und das, obwohl ein jeder hier derzeit auf jeden Cent angewiesen ist, stehen doch viele Existenzen selbst am Rand des Ruins.

 

Nicht alle Touristen können damit umgehen, hier mit den Bildern konfrontiert zu werden, die sie ansonsten nur aus den Medien kennen. Tja und ihre führenden Politiker sitzen in ihren Elfenbeintürmen und wagen ignorante Äußerungen wie diese, dass Griechenland, Spanien und Italien eben Pech hätten, an den Grenzen Europas zu liegen. Von europäischer Einheit ist in dieser Not weit und breit keine Spur.

 

Auch Reiseunternehmen zeigen sich mehr als besorgt angesichts der nicht enden wollenden Flüchtlingswelle, so wurde eine örtliche Agentur kürzlich beauftragt, täglich  Report über die Situation abzugeben. Warum? Ist ihr Klientel wirklich zu feinhäutig, um diesem Problem gegenüberzutreten? Eine große Kreuzfahrtorganisation hat bereits gedroht, Lesvos nicht mehr anzusteuern, sollte weiterhin der Kai Sammelplatz für Flüchtlinge sein und nicht unverzüglich geräumt werden (wie bereits erwähnt, das Lager ist überfüllt). Es sei unzumutbar, dass Gäste während ihres wohlverdienten Urlaubs mit dem Elend anderer konfrontiert werden.

 

Schaut man in die Welt, so gibt es noch schlimmeres Leid. Die griechischen Inseln sind nicht einem vernichtenden Erdbeben wie in Nepal ausgesetzt. Das Leben hier nimmt seinen gewohnten Gang, und es ist ja auch nicht so, dass man den Flüchtlingen bei jedem Schritt, den man macht, begegnet. Man kann hier trotzdem Urlaub machen, hat er auch einen leicht bitteren Beigeschmack. Die Inseln stellen den Durchgangshafen für die Asylsuchenden dar. Die wahre Hölle für sie beginnt in Athen, wo sie auf der Straße oder in Lagern unter schlimmsten Bedingungen die nächsten Schritte planen, denn die wenigsten von ihnen wollen in Griechenland bleiben. Aber einfach in ein Flugzeug steigen, mit dem Schiff weiterreisen? Wie soll das denn gehen? Und so werden sie sich wieder in die Hände von skrupellosen Schleusern und Schleppern begeben müssen, von denen es derzeit überall nur so wimmelt.

 

Sollten die Flüchtlinge weiterhin in diesem Tempo und dieser Anzahl die Insel überrollen, und davon kann man ausgehen, so wird dies bald zu kaum überwindbaren Problemen führen: Kleidung, Brot, Windeln, all das  kann nicht weiterhin Tag für Tag in solchen Mengen durch Spenden von Privatpersonen aufgebracht werden. Es ist höchste Eile geboten, dass die Kommunen (oder die Regierung) unterstützende Maßnahmen ergreifen und Fachkräfte schicken, da sich ansonsten das Blatt wenden wird und die Hilfsbereitschaft der Menschen in Verzweiflung und Wut umschlägt.

 

Ich wünschte mir so sehr, dass auch die syrische Oasenstadt Palmyra die Flucht antreten und wohlbehalten den Strand von Eftalou erreichen könnte. Wollen wir hoffen, dass all das antike internationale Erbgut dort nicht in die zerstörerischen Hände der Terroristen des Islamischen Staates fällt, diese Barbaren der Neuzeit, durch deren Zutun die Zahl der Flüchtlinge biblische Ausmaße erreicht hat. Es ist Zeit, dass die Welt endlich was unternimmt, um diesem gottlosen Handeln Einhalt zu gebieten!!!