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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
28.November –
Die Sintflut
Aus
dem Englischen von Gabriele Podzierski
Ich sagte es schon letzte Woche: Der Südwind
kommt, und das heißt, er bringt oft den Regen mit. Und Wärme. Hatten wir
vorige Woche Montag noch eine Nacht mit
–2 Grad, so stieg diesen Montag die Quecksilbersäule nahe an 20 Grad. Sommer!
Und diese Wärme war hier bitter nötig, denn der Regen in der letzten Zeit war
etwas zu viel.
Derweil die Niederlande, Deutschland,
Belgien und England unangenehm mit Kälte, Stürme und Schnee überrascht
wurden, wurde Griechenland – und insbesondere Lesvos – mit Regen gegeißelt.
Es regnete und regnete, einen ganzen Tag, zwei ganze Tage, und auch am dritten
Tag sah es nicht so aus, als würde der Regen aufhören. Und ich rede jetzt
nicht etwa über Nieselregen oder
ein bisschen Regen, nein, ich rede von Sturzbächen, die vom Himmel kamen.
Wassermassen fielen herab. Die ersten Tage
bedeutete dies, gemütlich im Haus zu sitzen. Es war nicht kalt, alle Tiere
hatten ein schützendes Dach über dem Kopf, und das Wasser war schließlich gut
für die Pflanzen. Jedoch der dritte Tag, an dem wir nicht herausgehen konnten,
ohne bis auf die Haut nass zu werden, begann uns doch arg zu irritieren. Nun
drangen auch die Botschaften von der Außenwelt durch unsere Tür: Die Straße
nach Petra gesperrt, Mytilini unter Wasser, Kaloni überflutet.
Als wir nachmittags zum Essen ins
„Anatoli“ gingen, konnten wir mit unseren eigenen Augen im griechischen
Fernsehsender sehen, wie über Lesvos, neben einigen anderen Orten in
Griechenland, in den Nachrichten berichtet wurde. Die Uferstraße von Mytilini
sah aus wie eine breite Flussmündung, braunes Wasser strömte über die
Straße in das Meer. In Kaloni war es schlimmer: Eine braune Schlamm-Masse drang
ein in Wohnungen und Geschäfte,
und in manchen Häusern stand das Wasser bis zu 1 Meter hoch!
Große Panik herrschte in der Schule, die unter Wasser stand, und in der
die Kinder in die 1. Etage geflüchtet waren und nun nicht mehr raus konnten.
Selbstverständlich waren auch viele andere Menschen in Panik, die durch das
ansteigende Wasser überrascht wurden.
Als am Nachmittag der Notstand über die
Insel ausgerufen wurde, ließ der Regen langsam nach, und wir konnten nach Petra
fahren, wo lustige Wasserfälle von den Bergen platschten und sich
immer noch einige Schlammströme den Weg über den Asphalt bahnten. Die
Buchten von Molyvos und Petra waren braun gefärbt vom Schlamm;
Äste, Bäume und anderes Zeug schwammen darin herum. Der Hafen von Petra
sah aus, wie nach einem Tsunami, so viele Dinge trieben im Wasser. Genauso wie
in Mandamados, liefen in Petra einige Häuser voll.
Vielleicht kennen Sie das Bild von Lesvos,
mit den vielen ausgetrockneten Flussbetten im Sommer. Manchmal ist es schwer,
sich vorzustellen, dass dort Wasser durchströmt. Im Winter fließt da immer nur
ein wenig Wasser. Die Massen, die letzten Freitag dort durchrauschten, hat man
wahrscheinlich noch nie gesehen. Der breite Fluss hinter Kaloni, Richtung
Mytilini, stieg so an, dass er sich fast den ganzen Tag über die Hauptstraße
ausbreitete und der Verkehr in und aus der Hauptstadt zum Erliegen kam.
Ich habe mich schon immer über die breite
Hauptstraße gewundert, die durch Kaloni Richtung Skala Kaloni verläuft. Nun
weiß ich, warum sie so prächtig breit gebaut ist: Sie wurde über einen Fluss
gebaut. Dieser Fluss konnte nun all die von den Bergen herunterströmenden
Wassermassen nicht mehr auffangen und kam nach oben. Nicht nur Wohnungen und
Geschäfte, auch viele Landstücke wurden überflutet.
Molyvos und Eftalou sind besser davon
gekommen. Nur etwas Land war überschwemmt, und die Straße an der Haltstelle
bei der Schule stand für einige Stunden unter Wasser. Das liebliche Flüsschen
neben der Straße nach Vafios wurde ein wildreißender Strom, der auch sogar
manchmal über die Straße schwappte.
Nun scheint die Sonne wieder, die
Temperaturen sind wie im Sommer, die Pilze schießen aus der Erde, und die
Menschen lecken sich die Wunden. In Kaloni und Petra nehmen Hausrat, Möbel,
Teppiche und Kleidung draußen ein trocknendes Sonnenbad. Die Menschen putzen
und schrubben, sie machen keinen fröhlichen Eindruck.
Am Tag nach der Flut machten wir einen
Spaziergang durch „Molywood“, dem grünen Teil von Molyvos, unterhalb der
Eselstation, wo es voll von Olivenbäumen ist. Hier konnten wir sehen, wie das
Wasser sich verhalten hat: Der kleine Bach, der dort herplätschert,
war mindestens um 1,5 Meter angestiegen, was uns die vielen Schlammberge
zeigten, durch die wir watend unseren Weg bahnen mussten. Viele Wege sind beschädigt
oder zerstört, manch Ernte vernichtet. Nein, diesen Winter hat der Regen, der
so herbeigesehnt wurde, die Menschen nicht glücklich gemacht.
Copyright ©Julie Smit 2005
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