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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
14.November –
Verlorengegangen auf Lesvos
Aus
dem Englischen von Gabriele Podzierski
Ja, es
ist uns endlich geglückt! Wir haben es geschafft, eine Wanderung nach der
Anleitung von Brian und Eileen Anderson zu machen, ohne dabei verloren zu gehen.
Dieses Paar aus England empfiehlt in dem Buch „LESVOS – Autotouren und
Wanderungen“, erschienen im
Sunflower-Verlag, 28 Wanderrouten. Die
Strecken sind atemberaubend schön, aber entweder sind die Wege ganz
schlecht beschrieben oder die Übersetzung ist fehlerhaft.
Bei der
Auswahl der Route, richte ich mich nach der im Buch jeweils angegebenen Dauer
der Wanderung. Langsam muss ich aber glauben, dass das Ehepaar Anderson Flügel
hat, denn die genannten Zeiten lassen darauf schließen, dass sie so schnell,
wie eine Fliege dem Geruch nach einem Leckerchen folgt, über die Wege fliegen.
Egal, wie wir es machen, immer benötigen wir die doppelte Zeit.
Nun ist
es ja unter Wanderern üblich, dass man mit schnellen Schritt geht.
Auch wir kennen solch Läufer, die sich verhalten, als müssten sie
einen Skater-Marathon absolvieren. Hältst Du sie nicht auf, schauen sie weder
nach rechts oder links und rennen in Hochgeschwindigkeit an wundervollen Blüten,
atemberaubenden Aussichtspunkten, herrlichen Bäumen und traumhaften
Landstrichen vorbei.
Bei uns
ist es genau anders herum: Wir können nicht wandern, ohne bei herrlichen
Aussichten zu verweilen, wir müssen jede schöne Blume, jeden herrlich
gewachsenen Baum fotografieren. Wenn wir einen Apfel finden, können wir uns
nicht beherrschen, nach weiteren zu suchen, jeder Pilz entfacht eine Diskussion
über seinen Namen und die Entscheidung ihn mitzunehmen oder nicht. Für uns
bedeutet Wandern nicht, Kilometer abzureißen, sondern uns an der Natur zu
erfreuen und uns von der sich stets ändernden Landschaft überraschen zu
lassen.
Nun,
ich muss gestehen, dass ich auch ab und an eine Rast einlege, weil eine
anstrengende steile Strecke hinter uns liegt. Es ist aber doch nur verständlich,
dass eine solch bergige Insel es einer Holländerin, die plattes Land gewohnt
war, manchmal schwer macht. Obwohl: Meine Kondition bessert sich von Jahr zu
Jahr. Es wird für mich immer einfacher, mich bergauf und bergab zu bewegen. Auf
den Wanderungen in den ersten Jahren war ich schon vom Anblick eines Berges
erschöpft, nun lauf ich unbeschwert auf und ab.
Letzte
Woche liefen wir also die Gewinnerstrecke, ich meine damit, die Wanderung auf
der wir uns nicht verirrten, das Stück, das wir
in Loutropoli Thermi verkehrt gelaufen sind, nicht mitgerechnet. Nun, ich
kann die Richtungsangaben kritisieren,
aber Fakt ist, dass alle uns neue überraschende Einblicke in die Insel gewährt
haben.
Wanderung
Nr. 3 ist ein Rundweg um Thermi/Panagia.
Er beginnt erst ein Stück an der Küste entlang und führt dann durch eine hübsche
sehr schicke Wohngegend. Der Sandweg geht vorbei an herrlichen Villen und Gärten.
Ich war recht überrascht von den alten Turmhäusern, manche
renoviert, andere verfallen. All dies sind Landhäuser, in denen im letzten
Jahrhundert die betuchten Griechen ihre freie Zeit außerhalb der Großstadt in
der Natur verbrachten. Die Landschaft ist grün, voll von Olivenhainen,
Orangen-, Zitronen-und Mandarinenbäumen. Ein schattiges Gebiet, mit
wundervollem Ausblick auf das immer blaue Meer. Vor allem diese Jahreszeit, mit dem buntgefärbten Laub der
riesigen Platanen, die sich an uralte Kirchlein schmiegen, bieten bezaubernde
Herbstimpressionen. Die endlosen Gärten sind stille Zeugen vergangenen
Reichtums. Es war eine schöne Abwechslung durch eine Gegend zu wandern, der der
Mensch seinen Stempel aufgedrückt hat.
Diesen
Eindruck hinterlässt der Weg Nr. 12, den wir heute machten, nicht. Agias
Anargyri, Asomatos, und zurück. Hier beschreitet man Jahrhunderte alte Pfade.
Es scheint, als sei die Zeit stehen geblieben. Tausende Olivenbäume, uralt,
stehen vor genauso alten Mauern und geben einem das Gefühl von Ewigkeit. Das
alles sieht so natürlich aus, dass man vergisst, dass all diese Mauern, Rundbögen
und Olivenhaine von Menschenhand
angelegt wurden, ebenso wie die endlosen alten Pfade.
Diese
Wege sind phantastische Wanderstrecken. Die schmalen „monopathi`s“, die
einst Platz nur für einen Esel boten und die breiteren „ kalderimi`s“, auf
denen, sagen wir mal, 3 Esel dicht nebeneinander laufen konnten. Gleichzeitig
waren dies auch die Handelsstrecken der Insel. Man sagt, dass, wenn man eine
asphaltierte Straße aufbrechen würde, garantiert so ein antiker Kalderimi zum
Vorschein käme – eine ideale Basis für die neuzeitlichen Straßen.
Route
Nr. 12 begann in dem Picknickgebiet rund
um das Kirchlein von Agias Anargyri, wo es von riesigen Platanen Blätter
regnete und wo ein prächtiges herbstliches Farbspiel und das Glucksen von fließendem
Wasser bewirkten, dass wir uns auf der Stelle in dieses Fleckchen Erde
verliebten. Doch wir waren ja hier, um zu wandern. Aber, da war schon der Start
das Problem. In welche Richtung sollten wir gehen? Der Wanderführer der
Andersons (in holländischer Sprache) ist ein echtes Puzzlebuch. Man muss immer
im Hinterkopf haben, dass ein einziger Fehler zur Folge haben kann, dass man
verloren gehen kann.
Nun,
wir gingen – wie üblich – total verkehrt, aber, dieses Mal wurden wir von
den Göttern belohnt. Bis Asomatos verlief alles prima. Ein unbeschreiblich schöner,
langsam ansteigender Pfad führte uns hinauf
und endete in dem Bergdorf nahe Agiasos. Auf dem Dorfplatz
mussten wir die Beschreibung mindestens zehnmal durchlesen, bis wir
begriffen, welcher
der richtige
Kalidermi bergab war. Doch sogar an dem Wendepunkt, gegenüber einem B 2-Gebäude,
dachten wir, richtig zu sein. Wir hatten weder eine Wegkreuzung gesehen, an der
wir uns links halten sollten, noch einen
hübschen steilen Anstieg. Das war aber absolut gut so,
denn der Weg nach Asomatos war uns für heute steil genug. Nun, wir
liefen über einen Ziegenpfad durch betörende Olivenhaine, und liefen und
liefen und liefen. Kamen vorbei an einer Kapelle, gelegen in einer
unbeschreiblich schönen Landschaft in der Mitte von Nirgendwo, durchzogen von
klaren Bächen, aber nichts, rein gar nichts, stimmte mit dem Text der Andersons
überein.
Die
Sonne begann, hinter die Berge zu wandern, die Uhr tickte unaufhaltsam weiter,
und uns drängte sich die Frage auf, was passiert, wenn wir nicht von diesem
Pfad runter kommen, bevor die Dunkelheit einbricht. Wir liefen stur weiter, in
einem Tempo, wie richtige Wanderer laufen würden. Wir hatten uns entschieden,
unserem Richtungsgefühl und nicht den Andersons zu vertrauen. Und plötzlich............:
da war der Weg, von dem wir gestartet waren!!
Resultat:
Anstatt der, wie sonst von uns für die Anderson-Routen benötigten doppelten
Zeit, haben wir nur 1 Stunde mehr gebraucht, für eine Strecke, die mit 1 Stunde und
45 Minuten angegeben war. Wir hatten einen neuen Rekord aufgestellt!!!
Als wir
die Karte später genauer studierten, stellten wir jedoch fest, dass wir einen
großen Teil der zweiten Wegstrecke abgeschnitten hatten. Gut so, denn sonst wären
wir wahrscheinlich immer noch auf der Suche nach dem richtigen Weg nach Agia
Anargyri und außerdem könnte ich mich nicht über die schlechte
Richtungsangabe in der (holländischen) Beschreibung
dieser atemberaubenden Wanderwege der Andersons beschweren.
Copyright ©Julie Smit 2005
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