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Affodill

 

20.März 2016 - Keukenhof Lesvos

Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski

 

Was soll man sagen nach so einem schwarzen Dienstag? Mir schnürt die Angst die Kehle zu, und dieses Gefühl teile ich sicherlich mit abertausenden Menschen auf der Welt.

Laufe ich nach Luft ringend raus aus dem Haus, da Bewegung ja gut ist, um gegen Panikanfälle anzukämpfen, präsentiert sich mir ein ausgedehntes leuchtendgelbes Rapsfeld vor azurblauem Himmel, das sich im Wind wiegt, und in diesem Moment scheint Brüssel – zumindest für kurze Zeit -  weit entfernt…

 

Auch auf Lesvos kursiert die Angst, zwar nicht vor blutigen Anschlägen, aber angesichts der Unsicherheit, welche die Flüchtlingssituation mit sich bringt. Klar, die Inselbewohner haben ein Dach über dem Kopf, aber die Zeiten werden immer schwerer, die Einkommen immer magerer,  und viele Touristen haben sich für diesen Sommer abschrecken lassen. Auch die Zahl der ankommenden Flüchtlinge sinkt, und die, die jetzt noch auf Lesvos sind, wollen nur eines: Nicht zurückgeschickt werden in die Türkei, in ein Land, das niemals ein Zuhause werden kann, wo sie weder Zukunft noch Hoffnung finden werden. Der überwiegende Teil der Helfer und Ärzte hat sich schweren Herzens aus dem Auffanglager Moria zurückgezogen, das mit Stacheldraht und hohen Mauern umzäunt, nun wieder wie einst ein Gefängnis ist. Sie möchten nicht ein System unterstützen, das auf die menschlichen Bedürfnisse keine Rücksicht mehr nimmt. Viele von ihnen ziehen weiter, wie z.B. nach Athen/Idomeni, wo ihr Aufenthalt nützlicher ist.

 

Tja, und das Eiland liegt dar, als wäre alles unverändert,  wie vor Jahr und Tag. Den größten  Teil dazu trägt die Natur bei, die durch die ungewohnt hohen Gradzahlen zu dieser Jahreszeit alles was grünen und blühen kann in eine reiche Farbpalette verwandelt hat. Welch´ Trost in dieser düsteren Zeit, und ich bin unbeschreiblich glücklich und dankbar, dass ich immerhin die Möglichkeit habe, dieses Geschenk anzunehmen und zu genießen, ein Geschenk von einer Insel, die mit ihrem beeindruckend schönem Landschaftsbild, ihren unterschiedlichen Küstenregionen, den Dörfern, die unberührt von der Zeit scheinen, mich die Welt da draußen vergessen machen kann.

 

Ich bin schier verrückt nach Spargel, und in Ermangelung der dicken weißen Stängel aus Deutschland und den Niederlanden, muss ich mich hier mit der wilden Sorte zufriedengeben. Er gedeiht hier nicht im Boden sondern an stacheligem Gesträuch, dessen junge Triebe versuchen, sich überall in der Inselvegetation durchzusetzen und deren Enden dünnen Spargel entwickeln. Bei den Griechen erfreut sich dieses Gemüse großer Beliebtheit, sie verwenden es für  Omelette, ich bevorzuge es  leicht blanchiert mit einer Vinaigrette  oder als Zutat beim Eier-Garnelen-Ragout.

 

Einfach ist die Spargelsuche beileibe nicht. Die dünnen Stängel setzen alles daran, um bloß nicht aufzufallen, und so starrt man minutenlang in einen Strauch, ohne den übermütigen Spargel zu sehen, der doch direkt vor der Nase baumelt. Gerne versteckt sich die Leckerei in allerhand stacheligem widerborstigem Gebüsch, so dass Handschuhe bei der Ernte kein überflüssiger Luxus sind. Ich ziehe es jedoch vor, mich ohne diesen Schutz ganz vorsichtig  durch die angreifenden Pflanzen zu arbeiten, um gerade die dicksten Exemplare zu ergattern, die geschmacklich am besten sind.

 

Bis ich jedoch am Ziel meiner Begierde bin, muss ich mir den Weg durch leuchtendgelb  blühenden  jedoch stacheligen Ginster bahnen, rücksichtsvoll über herrlich duftenden Thymian und Oregano steigen,  luftige Höhen erklimmen oder mich in kleine Abgründe wagen, um den brutalen Spargel zu erreichen.

 

Derzeit muss ich mir bei der Fahndung oft einen Weg durch den Affodill bahnen, der mit manch einem Feld aus tausenden seiner Art ein Heer gegen mein Vorhaben zu bilden scheint.

Es scheint als habe er dieses Jahr eine besonders kräftige und reichhaltige Blüte. Diese Pflanze gedeiht hier zahllos, und es ist ein Jammer, dass sie nicht mit einem solch überwältigenden Duft ausgestattet ist, wie die Mandelblüte, was jedoch andererseits zur Folge hätte, dass die Insel aufdringlich wie ein ausgelaufener Parfumflakon riechen würde.

 

Obwohl Affodill zur Familie der Lilien gehört, haben sie den süßlichen Geruch nicht geerbt, im Gegenteil, kommt man mit der Nase an die Pflanze, stinkt sie ein wenig. Um von ihrer Schönheit zu genießen, habe ich schon einmal einen riesigen Strauß mit heimgebracht, aber das lasse ich inzwischen schön bleiben…

 

Der griechischen Mythologie nach, sind diese nach Tod riechenden Blumen, die der Unterweltsgöttin Persephone. Homer schrieb von Affodillen-Feldern im Hades, dort wo ruhelosen Seelen auf ihr Urteil warteten. Eine andere Legende erzählt davon, dass für jeden toten Krieger auf der Erde ein Affodill erblüht. Tja, und diese Geschichte macht mich derzeit betroffen und still, wenn ich vor einem der vielen riesigen Meere dieser in den Himmel ragenden Blumen stehe. Und, trotz alledem: Sie sind so wunderschön! Sie gedeihen auf einem Grund der ausgedörrt ist von Trockenheit, Überweidung oder Erosion, womit das Entstehen eines solchen Feldes zwar kein gutes Zeichen ist, aber auf der anderen Seite, werden sie umschwärmt von Hummeln und Honigbienen, was wieder positiv ist, denn diese Insekten werden langsam aber sicher vom Aussterben bedroht…

 

Affodillen schießen aus länglichen Knollen, aus denen in manchen Ländern Brot hergestellt wird und in anderen Futter fürs Vieh. In Persien wird daraus Klebstoff gefertigt, und in anderen östlichen Ländern nutzt man die Knolle zur Verstärkung von Salep (griech.Salepi), einem milchartigen Getränk, produziert aus getrockneten Wurzelknollen verschiedener Erdorchideen. Ich bin nicht sicher, ob das auch noch in Griechenland gemacht wird, hier, wo einem immer noch auf der Straße Salepverkäufer begegnen, obwohl es mittlerweile verboten ist, wertvolle Orchideenknollen dazu zu verwenden.

 

Derweil der Affodill in seiner Pracht alle anderen Blüten schier überschattet, bevorzugt die Orchidee das Versteckspiel. Die meisten ihrer Art sind kleinwüchsig und ihr Blütenumfang recht bescheiden. Aber achten Sie einmal darauf: Wenn Sie eine Orchidee aus der Nähe betrachten, dann wird Sie ihre Formgebung schlagartig in den Bann ziehen. Vor allem die aus der Ophrys-Art, die raffiniert mit einer Kopie der Sexuallockstoffe, die auch die Weibchen der jeweiligen Bienenart verströmen, die Männchen anlocken, können unfassbar prächtige Zeichnungen haben, extreme Farbgebungen und seltsame Wucherungen tragen, die an Teufelshörnchen denken lassen.

 

Gestern führte uns unsere Orchideenjagd in die Nähe von Koudouroudia, wo uns riesige Exemplare begegneten, die, wie der Spargel, inmitten von stacheligem Strauchgewächs residierten, aber einen Salepverkäufer, der sich den Weg zu ihnen bahnte, sahen wir nicht.

 

Während Europa verzweifelt versucht, das Flüchtlingsproblem in den Griff zu bekommen, ist der Frühling auf Lesvos in aller Heftigkeit ausgebrochen. Bunte Anemonen, blutroter Klatschmohn, betäubend süß riechender gelber Rhododendron, dicke fette Pfingstrosen, Nadelwälder, die wilde rote Tulpen verbergen, fröhlich im Wind schaukelnde Kiebitzblumen, bescheidene Krokusse, wilde Hyazinthen….und noch so viele mehr! Alle haben ihren Platz, den sie bis Ende Mai besetzt halten und in den Bergen sogar bis in die Junimitte. Diese ganze Zeit wird Lesvos die Insel der Blumen sein… Kommen Sie her und schauen Sie sich das an!