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BOULEVARD-NEWS LESVOS
Molyvos
27.Januar 2016 - Darf
man
überhaupt
noch
glücklich
sein?
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Majestätisch erstrahlen die Gipfel des Lepetimnos über den Norden der
Insel. Das mittelalterlich anmutende Molyvos, das sich an Felsen
schmiegt, aufgebaut aus dunklen Steinhäusern mit bunt gestrichenen
Holzanbauten, sieht mit diesem verschneiten Hintergrund aus wie ein
Bergdorf in Afghanistan: Exotisch und mysteriös.
Vom
Hafen aus hat man eine brillante Aussicht auf diese recht ungewöhnliche
Szenerie, denn der Inselwinter kommt nicht immer mit einem weißen Kleid.
Da, wo nun Boot an Boot vertäut am Kai liegt, ist derzeit ein
unbeschreiblich idyllischer Platz um zu verweilen. Da werkelt ein
Fischer auf seinem kleinen Königreich, dort laufen freiwillige Helfer
auf und ab, erledigen das, was für die Flüchtlinge getan werden muss und
andere harren derweil, wartend auf einen Auftrag, in der Kulisse.
Die
Sonne hat derweil Frühlingskraft entwickelt und erquickt die geplagten
Knochen, die zu schaffen machten in den von strenger Kälte erfüllten
Tagen. Wenn man ins Gespräch kommt, so dreht sich alles um die
Flüchtlingsproblematik. Über was sollte man sonst reden hier auf Lesvos,
einem Erdenplätzchen, das nunmehr als sogenanntes Flüchtlingsgebiet
einen solchen Bekanntheitsgrad erzielt hat. Tja, und obwohl mein Körper
schnurrt vor Wohlbehagen angesichts der langersehnten wärmenden
Sonnenstrahlen, rattert es in meinem Kopf und die derzeitige
problematische Situation lässt mich unruhig zurück. Das für mich
unverständliche politische Drama macht mich nicht nur kraft- und hilflos
sondern auch wütend.
Hier auf der Insel wird man konfrontiert mit der „neuen“ Welt, die von
der Politik einfach nicht gesehen werden will. Anstelle des bankrotten
griechischen Staats und des angeknacksten Europas, sind hunderte von
freiwilligen Helfern auf die Insel geeilt, um anzupacken und ihre Hände
darzureichen. Jetzt, wo die Schengen-Grenzen geschlossen werden,
sind sie es, die Grenzen helfend überschreiten, weil sie jegliches
Vertrauen in die Politik verloren haben. Während ein Flüchtlingsboot
nach dem anderen die Küste erreicht, lassen sie sich nicht abhalten von
Sturm oder Schneefall, und das, obwohl manch eine Ankunft dramatisch ist
und nicht ein jeder es schafft, sicheren Boden zu erreichen.
Ein
jedes Mal ist es eine schwere Entscheidung: Soll ich mich ereifern in
Diskussionen oder soll ich mich dem Gefühl des Glücks und der
Unbeschwertheit hingeben, das die wärmende Sonne in mir hervorruft? Es
ist eine Zeit für mich, in der ich nicht weiß, wohin mit der
Zwiespältigkeit der aufkommenden Gefühle in mir. Wenn ich so übers Meer
schaue, bin ich immer wieder überwältigt von der Schönheit dieser
gigantischen Oberfläche, die jeden Tag ein anderes faszinierendes Bild
bietet, solch Impressionen und dabei noch solch köstliche Nahrung
schenkt. Wenn ein Fischerboot am Horizont fotogen am Horizont entlang
tuckert, wie friedlich und schön erscheint mir da das Leben. Aber dann
erblickt mein Auge den Flüchtlingsabfall am Ufer und es schießt mir ins
Bewusstsein, dass dieses friedvolle rein daliegende Meer auch eine
stille todbringende Waffe ist. Die Fische sind schon lange nicht mehr
die einzigen, die in diesem Meer schwimmen.
Wenn die See, so wie erst kürzlich wieder, in ihrer Wildheit raucht, und
ich dieses Bild in Demut bewundere, dann wird meine Begeisterung je
unterbrochen, weil der Gedanke an die Menschen in mir aufkommt, die
gezwungen sind, diese tobende Naturgewalt zu überwinden, um sich auf die
Suche nach einem sicheren Zuhause zu machen.
Wenn die Sonne am späten Nachmittag ihre Farbpalette auspackt, um Wolken
leuchtendorange und weiße Berggipfel karminrot zu färben, überfällt
mich ein Angstgefühl vor der bevorstehenden Dunkelheit, dem perfekten
Schutz für die illegale Überquerung des Meeres.
Wenn ich die ersten Annemonen sehe, die mir auf meinem Weg freundlich
zulächeln und meine Gedanken dem nahestehenden Frühling freudig
entgegenlaufen lassen, der Zeit wo die Insel in einer bunten
Blumenpracht schier zu explodieren scheint, kriecht ein beklemmendes
Gefühl in mir hoch, ob es mir überhaupt möglich sein wird, diese Pracht
der Natur zu genießen, während es Menschen in meinem Umfeld gibt, die um
ihr Leben kämpfen müssen.
Wenn ich mich abends in eine wärmende Decke einkuschele, habe ich das
Bild von Schlamm und weggewehten Zelten im Lager von Moria vor Augen und
greif nach einem Buch, um es zu verdrängen.
Wenn ich meinen Blick über die klare blaue See schweifen lasse, entdecke
ein leuchtendorangefarbenes Schlauchboot und sehe dann, wie sich die
Straße mit unzähligen Autos füllt, vergrabe ich mich hinter meinem
Computer, um einfach irgendwie weiterzumachen.
Wenn ich ein freudiges Liedchen bei der Zubereitung des Essens für liebe
Gäste anstimme, ist gleich in meinem Hinterkopf das Wissen, dass die
Stimmung beim Mahl bedrückt sein wird, angesichts der Problematik und
der Sorgen die hier an der Tagesordnung stehen und Thema sein werden.
Die
Gefühle sind derzeit nicht auf Rosen gebettet, und obwohl die Schönheit
der Insel so viel Trost bietet, sind meine Empfindungen in einem steten
Zusammenprallen von Yin und Yang, Schwarz und Weiß und Gut und Böse. Die
Waagschale bewegt sich rasendschnell auf und ab vom Glücksgefühl zur
Traurigkeit, von gefühltem Frieden zum Verdruss, ja, vom Leben zum Tod.
Manchmal überkommen mich Schuldgefühle, weil ich lache, weil ich zu
essen habe, weil ich lebe. Ich weiß, dass hilft den Flüchtlingen auch
nicht und deshalb schaffe ich es, dennoch ein Lächeln auf mein Gesicht
zu zaubern, irgendwie in einen tiefen Schlaf zu fallen, ein köstliches
Mahl zu genießen und mein Leben weiterzuführen, das durch die
Flüchtlinge ein komplett anderes geworden ist.
Kurz gesagt, ich lass meinen Gefühlen hilflos freien Lauf. Empfinde
überwältigende Dankbarkeit, die mir Tränen in die Augen treibt, wenn ich
so viele Fremde sehe, die ihre Zeit und Kraft opfern, um zu helfen, und
ich weine, wenn ich wieder und wieder Schlauchboote ankommen sehe und
in die Augen voller Angst blicke und die Schreie höre.
Und
danach steigen die Wellen wieder plätschernd aus dem blauen Meer, liegt
der Strand wieder verlassen friedlich mit einem Hauch vom bevorstehenden
Sommer dar, wiegt das Geäst der Bäume im säuselnden Wind und beobachten
die Berge lautlos das Geschehen.
Ich
weiß, das Leben geht weiter, und dennoch schießt mir immer und immer
wieder die Frage in den Kopf, ob man bei all dem Elend und der Trauer
glücklich sein darf.
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