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BOULEVARD
NEWS AUS LESVOS
Die Bucht von Molyvos
13.Februar 2012 - Vom Piraten zum
Prinzen
Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski
Es war einmal ein Pirat mit dem Namen Francesco
Gattilusio, ursprünglich abstammend von einer italienischen
Kaufmannsfamilie aus Genua. Er schipperte über die Meere und erreichte
eines Tages die Insel Tenedos in der Nord-Ägäis. Dort traf er auf den
ehemaligen byzantinischen Kaiser Johannes V Palaiologos und bot diesem
seine Hilfe in dessen Kampf gegen den Gegenkaiser Johannes VI.
Kantazukenos an. Francesco machte sich mit seiner kleinen Flotte auf
nach Konstantinopel, die Hauptstadt des Byzantinischen Reichs, wo er
geschickt genug war, die Wachen mit falschen Versprechungen dazu zu
bringen, dass sie die Tore der Mauern für ihn öffneten. Er organisierte
alsdann einen Aufstand, der dazu führte, dass Johannes V Palaiologos
erneut den Kaiserthron einnehmen konnte. Als Belohnung war ausgemacht,
dass Francesco die Schwester des Herrschers zur Frau nehmen konnte und
außerdem als Brautgeschenk Regent von Lesvos wurde (1355). Und so begann
sie, die Dynastie auf der wunderschönen Insel.
Es waren turbulente Zeiten, in denen auch schon die
Türken begonnen hatten, am Byzantinischen Reich zu knabbern, an einem
Reich, das davon geplagt war, dass sich ein Komplott an den anderen
reihte, um den jeweiligen Herrscher vom Thron zu stoßen. Tja, und dann
waren da ja auch noch die Piraten, so wie Francesco Gattilusio einer
war, der nun jedoch offiziell den Namen Francesco I. Gattilusio, Herr
von Lesvos, trug.
Unter dem Gattilusio-Regime gedieh das Eiland gut, die
Burgen wurden verstärkt und die Einwohner von Lesvos hatten ein
Jahrhundert voller Ruhe und Wohlstand vor der Brust. Francesco hingegen
hatte weniger Glück: Er kam 1384 mit seinen Söhnen Andronico und
Domenico während eines Erdbebens auf Lesvos ums Leben. Zwar erbte seine
Witwe die Insel, aber als Archon folgte ihm sein 14-jähriger Sohn Jacopo,
der von da an den Namen
Francesco II. führte. Auch ihn ereilte ein früher Tod:
1404 wurde er von einem Skorpion gebissen. Aber jetzt kommt’s bizarr: Er
hätte vielleicht diesen Angriff überlebt, hätte er nicht vor Schmerzen
so laut aufgeschrien, dass eine ganze Prozession von Menschen in sein
Zimmer stürzte, um zu helfen. Der Holzboden des Raumes war für dieses
Personengewicht nicht ausgerichtet, stürzte ein, was Francesco II. nicht
überlebte.
Ihm folgte seiner Erstgeborener Jacopo nach, der den
Namen Jacopo von Lesvos annahm. Wie dieser Gattilusio starb, konnte ich
nicht recherchieren, nur, dass ihm 1428 seiner jüngerer Bruder Dorino
folgte, der ab dann den Namen, man kann es ahnen, Dorino I. von Lesvos
führte, bis er 1455 starb und sein Sohn Domenico ihm nachfolgte. Dieser
tat schlecht daran, seinen machtgierigen Bruder Niccolo als Statthalter
einzusetzen. Dieser leckte Blut, entmachtete Domenico, ließ ihn in den
Kerker werfen und schlussendlich erwürgen. In seiner Herrschaft
unterstützte Niccolo II. nun die Piraten, die an der kleinasiatischen
Küste ihr Unwesen trieben. Glück brachte es ihm nicht, denn 1462
griffen osmanische Truppen ein, landeten auf der Insel und verwüsteten
diese. Niccolo kapitulierte aber nicht sofort, sondern ergab sich erst,
nachdem der Sultan ihm zum Schein eine andere Herrschaft anbot. Niccolo
fiel darauf rein, übergab ihm die Herrschaft Lesvos, er und seine
Familie wurden nach Konstantinopel gebracht, wo er zum Islam
konvertierte (damit war er ein freier Mann) und eine Zeit als Prinz
einen ganzen Hofstaat um sich versammelte. Aber 1462 wurde der letzte
Regent von Lesvos dann doch vom Sultan unschädlich gemacht und auf
seinen Befehl hin erdrosselt.
Die Familie Gattilusio wuchs zu einer unausrottbaren
Familie heran: Kinder und Kindeskinder vermählten sich standesgemäß mit
anderen Adligen in Europa, und ein Blick auf so manch einen Stammbaum
hinterlässt ein Staunen: So führen die von Fürst Rainier von Monaco,
Erzherzog Otto von Habsburg und auch von Brooke Shields zurück zu den
Wurzeln der Gattilusio von Lesvos. Auch die Vorfahren des berühmten
französischen Schriftstellers Marquise de Sade stammen von dieser Insel.
Was jetzt noch an die Familie erinnert, sind einzig und
allein nur noch die verstärkten Burgen, wie z.B. die in Molyvos. Sie war
die Bastion von Mythimna (der andere, ältere Name des Städtchens), das
nach dem Peleponnesischen Krieg (431-404 v.Chr.) als blühender
Stadtstaat in die griechischen Geschichtsbücher einging, als die
Siedlung als einzige der Inselstädte auf Seiten des siegreichen Athen
stand und deshalb reichlich mit Vorzügen belohnt wurde. Die anderen 4
kleinen Staaten auf Lesvos schlugen sich auf die Seite von Sparta. Die
Burg von Molyvos, schwer beschädigt durch die vielen nachfolgenden
Kriege, wurde durch die Familie Gattilusio wieder aufgebaut und
ausgedehnt, so dass man noch heute das Kastell besichtigen kann.
Vor einigen Jahren wurde die Burg von Molyvos teilweise
restauriert, aber als man damals dann die Gerüste abgebaut hatte, die
Burg also eigentlich wieder Besucher empfangen konnte, standen diese
regelmäßig vor verschlossenen Toren. Missmanagement oder Krise? Das wage
ich nicht, zu beurteilen. Derzeit jedoch, wo aufgrund von Geldmangel
Straßen nicht erneuert werden können und Haushalte ohne Strom und
Heizung sind, hat die Gemeinde beschlossen, die Burg ganzjährig geöffnet
zu halten. Sicherlich gut, für die Schaffung von Arbeitsplätzen, denn es
sind einige Personen daran beteiligt, dass diese Wiege vieler Mitglieder
der Familie Gattilusio wieder aufgesucht werden kann und man sich
Träumen von dieser Dynastie hingeben kann, welche sich empor arbeitete,
vom Piraten an die Spitze diverser europäischer Königshäuser.
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