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AUS DEM DSCHUNGEL

 

 

 

 

Von Narzissen und Narkotika

Aus dem Holländischen von Gabriele Podzierski 

 

Die Winter auf Lesvos sind sehr unterschiedlich. Friert es in dem einen Jahr, so bringt das nächste nur Regen mitsich, und der darauf folgende Jahresbeginn hat vielleicht sogar Schnee im Gepäck. Von diesem Winter wird man sich erzählen, dass es „der Winter der seltsamen Winde“ war. Hier, im Inselnorden, fegen zu dieser Jahreszeit normalerweise häufig eisige Nord- und Nordostwinde übers Land, und um nicht immer die Türkei für solch negative Umstände die Schuld zuzuschieben, sagen wir, dass dieser Wind aus den hohen Bergen von Tschetschenien oder Afghanistan herübergeweht kommt.

 

Aber in diesem Jahr ist alles anders: Die starken Luftströme erreichen uns aus dem Süden (häufig Regen), dem Südosten (was jedes Mal unzählige abgebrochene Olivenzweige zur Folge hat) oder dem Südwesten. Letztere türmen die Meereswellen meterhoch auf und lassen sie mit ihrer ganzen Kraft an den Küsten aufschlagen. Das Resultat sind Bilder der Zerstörung: Komplett weggespülte Hotelzimmer samt Inventar (Hotel „Olivepress“, Molyvos), eingestürzte Kaimauern (Eftalou und Petra), und brüchige Verkehrswege.

Das sind aber nicht alle Auswirkungen dieser seltsamen Winde aus Afrika, sondern es ist durch sie hier nun derzeit viel wärmer als in der Vergangenheit. Seit Monaten liegen die Tagestemperaturen zwischen 15 und 25 Grad. Derweil die Menschen in Nordwest-Europa mit dem kältesten Winter seit Jahren kämpfen, erleben wir den wärmsten (seitdem wir hier wohnen zumindest).

Die Wärme und die dazugehörigen Regenschauer tun der Natur gut. Sehr gut. Zu gut, oder was soll man dazu sagen, dass die Anemonen bereits im November und Dezember in voller Blüte standen und nun bereits die ersten rosa Blüten der Zistrosen (Cistus creticus L.) zu sehen sind, die uns sonst erst Ende Februar/Anfang März erfreuen? Auch der Kleinfrüchtige Affodill (Asphodelus aestivus Brot.) springt bereits jetzt, 2 Monate zu früh, auf, und die Straußnarzisse (Narcissus tazetta L.) verbreitet sich nicht nur schon vielfältig an der Küste und in der Natur, sondern schmückt auch die Tische in manch einem Restaurant, wo sie ihren süßen fast berauschenden Duft verströmt.

 

Für Menschen mit seltsamen Allergien (zu denen auch ich zähle) ist dies nicht immer wirklich angenehm, aber immerhin noch erträglicher, wie z.B. eine Dekoration mit Madonnen-Lilien (Lilium candidum L.) oder Zitronen-Geranien (Pelargonium graveolens L´Her.). Letztere mengt man hier sogar ab und an mal ins Essen, was für mich das Ende einer Mahlzeit und die Fahrt ins Krankenhaus bedeutet.

 

Aber ich schweife mal wieder vom Thema ab, wollte doch über das berauschende Aroma der Bukett- oder Straußnarzissen schreiben: So betörend, wie sie riechen, so giftig sind sie auch. Wenn Sie diese Blume essen, bekommen Sie heftige Krämpfe, im schlimmsten Fall gar eine bronchiale Schleimhautentzündung und/oder eine epidemische Dysenterie (bakterielle Ruhr). Ursache dafür sind die Knollen, die neben Bitterstoffen auch die Alkaloide Narcissin und Lycorin beinhalten, von denen sie nicht nur brechen müssen und an Diarrhoe erkranken, sondern deren Auswirkungen auch Schweißausbrüche, Müdigkeit, hysterische Störungen (oder Epilepsie) und/oder Lähmungserscheinungen sein können.

 

Tja, und als ob dies alles nicht schon genug ist, verursacht der Pflanzensaft auch noch lokale Hautirritationen, mit anderen Worten, sie sind stark sediert. Nicht ohne Grund leitet sich das Wort Narzisse (griech. Narkissos) von dem griechischen Wort „narkáein“ ab, welches „betäuben“ bedeutet (Substantiv „nárke“ = Lähmung, Erstarrung, Betäubung), Hinweise auf den giftigen, narkotischen Effekt der Narzisse. Auch unsere Worte Narkotikum/Narkotika kommen daher.

 

Was Narkissos hinsichtlich der griechischen Mythologie mit dem bildhübschen und selbstverliebten Jüngling Narziss (oder lat.Narcissus) zu tun hat, ist mir nicht ganz klar. Der Sage nach, wies dieser schöne Junge Mann nicht nur alle um ihn werbenden Jünglinge und Mädchen zurück, sondern auch die Liebe der Nymphe Echo und wurde dafür dergestalt bestraft, dass er in unstillbare Liebe zu seinem eigenen im Wasser widergespiegelten Abbild verfiel. Eines Tages erzeugte ein ins Wasser gefallenes Blatt Wellen, das Spiegelbild wurde dadurch getrübt, der Jüngling dachte er sei hässlich und war so schockiert, dass er verstarb (oder erstarrte er?). Weiter wird erzählt, dass er in eine Blume verwandelt wurde, die seinen Namen trägt. Seitdem assoziierten die Alten Griechen die Pflanze mit dem Tod und bekränzten die Hände ihrer Toten mit Narzissen.

 

Wollen wir mal hoffen, dass hier kein Tavernenbesitzer herumläuft, der denkt er könne die kleinen Knollen, die seine Frau als Abfall von dem herrlichen Narzissenschmuck auf dem Küchentisch hat liegen lassen, als Silberzwiebel-Ersatz verwenden, so wie die Knöllchen der Schopfigen Traubenhyazinthe (Muscari comosum (L.)Mill.) oder der Weinbergstraubenhyazinthe (Muscari neglectum Guss.ex.Ten.), die seine Frau extra für ihn im Frühjahr aus den Wiesen holt, denn diese Verwechslung hat früher* in Griechenland viele Vergiftungen zur Folge gehabt...

 

 

 

Jan van Lent/11. Januar 2010

 

 

*“früher“, denn heutzutage kaufen die meisten Festlandgriechen (ein Wort bitte) auch gewöhnlich in einem Supermarkt ein, im Gegensatz zu den armen Inselgriechen und Inselalbanern (dito), die allesamt ihre Zwiebeln selbst anbauen.